Christian Günter ist beim SC Freiburg Kapitän und Identifikationsfigur. Das Finale im DFB-Pokal ist für den 29-Jährigen und "seinen Sportclub" das größte Spiel der Geschichte - und der Höhepunkt des gemeinsamen Weges.
Anzeige
Ein großer Titel dürfte in der Karriereplanung von Christian Günter nicht unbedingt vorgesehen gewesen sein. Alleine schon deswegen, weil die Laufbahn des Kapitäns des SC Freiburg einem eher ungewöhnlichen Karriereplan gefolgt ist: 16 Jahre bei demselben kleinen Verein sind in der heutigen Zeit eine absolute Ausnahme. Nun steht der langjährige Leistungsträger der Freiburger mit 29 Jahren vor dem Spiel seines Lebens: Das DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig ist für ihn und seinen Klub der bisherige Gipfel eines langen und erfolgreichen gemeinsamen Weges.
Mit dem Zug nach Freiburg
Für seine fußballerische Ausbildung beim Sportclub hat Günter schon früh einiges auf sich genommen. Fast täglich ging es für ihn bereits in jungen Jahren abwechselnd mit dem Zug oder mit dem Auto von seinem Wohnort Schramberg im Schwarzwald ins eine Stunde entfernte Freiburg. 2006 war er als 13-Jähriger in die C-Jugend des SC gewechselt. "Mit der Schule hat es immer mal wieder Probleme gegeben", sagte Günter dem SWR einmal über seine ersten Jahre. Doch letztlich sei es "immer gegangen".
"Mein Vater, meine Mutter und mein Opa haben mich immer unterstützt und gefahren", erinnert sich Günter an seine Jugendzeit und die Herausforderung, die tausende junge, talentierte Fußballer bewältigen müssen. Der Aufwand, den Günter schon früh für seinen Sport und eine Chance beim Sportclub betrieben hat, verbinden ihn bis heute eng mit seinem Verein. Er steht für Bodenständigkeit und regionale Identifikation. Neben seinen guten Leistungen auf dem Platz ist das ein weiterer Baustein, der Günter zu einem der Aushängeschilder des Bundesliga-Klubs aus dem Breisgau gemacht hat. "So wie ich erzogen wurde, so wie das Leben zu Hause ist, so ist es auch hier", sagt der 29-Jährige über seine nicht nur sportliche Heimat. "Deshalb bin ich schon so lange da, weil ich mich so wohl fühle."
Günter habe sich "durchbeißen müssen", erinnert sich Freiburgs Trainer Christian Streich, der seinen heutigen Kapitän bereits aus gemeinsamen Tagen in der Freiburger Jugend kennt. Mit Blick auf den damals 17 Jahre alten Günter sei er sich überhaupt nicht sicher gewesen, ob dieser "es später mal in die Bundesliga schaffen" würde. Doch Günter hat es geschafft, ist mit 269 Bundesliga-Spielen mittlerweile Rekordspieler des Sportclubs. Ab 2014 schaffte Günter sogar immer wieder mal den Sprung in die Nationalmannschaft (6 Länderspiele). 2021 stand er im deutschen EM-Kader, kam bei der EURO aber nicht zum Einsatz.
Anzeige
Untrennbar mit Streich verbunden
Diese Erfolge hätten "viel mit seinem Willen und seiner Einstellung zu tun gehabt", sagt Trainer Streich und bezeichnet die Karriere seines Schützlings als "ein kleines Märchen" und "Sinnbild" des Erfolgs des SC Freiburg. Keiner könnte das wohl besser beurteilen als der 56 Jahre alte Streich, der die Geschicke der Freiburger Profis seit 2012 leitet und davor bereits jahrelang als Jugendtrainer beim Sportclub arbeitete.
Im Juniorenbereich erlebten Streich und Günter auch ihre bislang größte gemeinsame Sternstunde: In Berlin gewannen sie 2011 den Junioren-DFB-Pokal. Schon damals vertraute der Trainer, für den es nach 2006 und 2009 der dritte Pokalsieg mit den Freiburger A-Junioren war, auf seinen Kapitän Christian Günter: Elf Jahre später soll der Titel bei den Junioren nun die Blaupause für den ganz großen Wurf bei den Profis werden. Streich, Günter und der gesamte SC Freiburg greifen in Berlin mit dem DFB-Pokal nach dem größten Triumph der Klubgeschichte. Es wäre der erste große Titel des Klubs.
Bereits im Jugendalter avancierte Günter zum Kapitän und zur Identifikationsfigur. Im Dezember 2012 feierte er als 19-Jähriger sein Bundesliga-Debüt bei den Profis. Streich und Günter verbindet die gemeinsame Vergangenheit und die Klub-DNA: Beide sind unabhängig vom Ausgang des Pokalfinals die Aushängeschilder des Bundesligisten aus dem Schwarzwald.
Der Erfolg wird in Freiburg nicht an Titeln gemessen, sondern am Gemeinschaftsgefühl. Und das verkörpert kein Freiburger Spieler mehr als Christian Günter.
DFB-Pokal: SC Freiburg greift nach dem Pokal
Der Sportclub war schon immer der "etwas andere Verein": In 22 Jahren Bundesliga gab es nur vier Trainer. Mit Volker Finke und Christian Streich sind zwei von ihnen Kultfiguren. Jetzt winkt der erste Titelgewinn.
Bild: Norbert Schmidt/picture alliance
Nur die Nummer zwei in der Stadt
Lange Zeit steht der 1914 gegründete Sportclub Freiburg im Schatten des größeren Vereins der Stadt: Der Freiburger FC ist 1907 deutscher Meister geworden und bis Ende der 1970er Jahre der erfolgreichere der beiden Klubs. Als ab 1978 beide, SC und FFC, gemeinsam in der 2. Liga spielen, erfolgt die Wachablösung.
Bild: imago sportfotodienst
Mitläufer in der 2. Liga
15 Jahre lang spielt der Sportclub ununterbrochen in der 2. Liga und ist spätestens nach dem Abstieg von Konkurrent Freiburger FC im Jahr 1982 die Nummer eins in Freiburg. Dreimal kann der Sportclub den Abstieg aus dem Profifußball nur knapp verhindern. Ansonsten bewegt sich der Klub am Ende der Zweitliga-Saison meist zwischen den Plätzen fünf und acht der Tabelle.
Bild: imago sportfotodienst
Wurzeln in Freiburg
Damals trägt ein geschmeidiger und technisch beschlagener Angreifer einige Jahre lang das Freiburger Trikot: Joachim Löw (r.). Der spätere Bundestrainer und Weltmeister kommt aus Schönau, einem Dorf rund 20 Kilometer südlich von Freiburg. Dreimal (1978-1980, 1982-1984, 1985-1989) schließt er sich dem Sportclub an und erlebt dort seine erfolgreichsten Zeiten als Profi.
Bild: imago sportfotodienst
Der "ewige" Präsident
Die Konstante beim SC Freiburg ist Achim Stocker. Von 1972 bis zu seinem Tod im Jahr 2009 ist er 1. Vorsitzender des SC. Eine Besonderheit: Stocker sieht sich die Spiele seines Vereins nie live an - weder im Stadion, noch im Fernsehen. Er ist einfach zu aufgeregt und will sein Herz schonen. Im Alter von 74 Jahren stirbt Achim Stocker - an den Folgen eines Herzinfarkts.
Bild: Herbert Rudel/Pressefoto Rudel/picture alliance
Absoluter Glücksgriff
Stocker ist auch für die Verpflichtung von Volker Finke (r.) verantwortlich. 1991 lotst er den studierten Lehrer - bis dato Trainer bei Zweitliga-Aufsteiger TSV Havelse - nach Freiburg. Was damals keiner ahnt: Gemeinsam mit Co-Trainer Achim Sarstedt (l.) wird Finke bis 2007 Cheftrainer beim SC bleiben und den Verein - sportlich und strukturell - grundlegend verändern.
Bild: Mavericks/IMAGO
Aufstieg in die Bundesliga
Unter Finke gelingt den Freiburgern schon im zweiten Jahr der Aufstieg in die Bundesliga. Der SC dominiert damals die 2. Liga, die wegen der Neusortierung nach dem Zusammenschluss von West- und Ost-Fußball mit 24 Vereinen spielt. Freiburg schießt in 46 Partien 102 Tore und steht an 39 Spieltagen an der Tabellenspitze.
Bild: Pressefoto Baumann/imago
Hattrick gegen die Bayern
Finkes Mannschaft hat im Oberhaus zunächst Startprobleme. Nach der Hinrunde ist der SC Zwölfter, startet dann aber mit einem 3:1-Sieg gegen den FC Bayern in die Rückrunde. Am Ende steht auch wegen dieser beiden gewonnenen Punkte der Klassenerhalt. Dreifacher Torschütze gegen die Bayern ist Uwe Wassmer (Foto). "Das hat mich in der Region Freiburg unsterblich gemacht", erinnert er sich später.
Bild: Rolf Haid/dpa/picture alliance
Die Breisgau-Brasilianer
1995 ist erneut der FC Bayern Opfer der Freiburger. Die damals von Giovanni Trapattoni trainierten Münchener gehen - neun Tage nach der legendären Pokalpleite bei Vestenbergsgreuth - in Freiburg mit 1:5 unter. "Breisgau-Brasilianer" werden die Freiburger wegen ihres spannenden Offensivstils genannt - dabei ist ihr einziger echter Südamerikaner mit Rodolfo Cardoso ein Argentinier.
Bild: Rolf Haid/dpa/picture alliance
Kultfigur im Strandkorb
Anders als andere Vereine hält der Sportclub auch in Krisenzeiten an seinem Trainer fest. Dreimal steigt Finke mit den Freiburgern in die Bundesliga auf (1993, 1998, 2003), aber dreimal auch wieder ab (1997, 2002, 2005). Zweimal erreicht man den UEFA-Pokal (1995, 2001) Die Heimspiele verfolgt Finke ab 2001 aus einem Strandkorb: ein Dank der Insel Langeoog für zehn Jahre Trainingslager des SC.
Bild: Sven Simon/picture-alliance
Der andere Verein
Anders ist auch die Vereinsphilosophie. Als erster Bundesligist versuchen die Freiburger Mitte der 1990er Jahre Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz umzusetzen - eine DNA, die sich bis heute hält. "Das waren damals keine Kuschelthemen", sagt SC-Marketingleiter Hanno Franke gegenüber der DW. Der SC hat als erster Verein eine Solaranlage auf dem Stadion und produziert seinen eigenen Öko-Strom.
Bild: Daniel Schoenen/imageBROKER/picture alliance
Die Ära der "Willis"
Sportlich etabliert sich der SC immer fester in der Bundesliga: Nach dem ersten Abstieg wechselt 1997 der Georgier Alexander Iashvili (r.) nach Freiburg. Ihm folgen 1998 mit Levan Kobiashvili (l.) und Levan Tskitishvili zwei Landsleute nach. Die drei werden Publikumslieblinge. Da passt es, dass mit Tobias Willi damals auch ein deutscher Spieler den passenden Nachnamen hat.
Bild: imgo images
Ende der Ära Finke nach 16 Jahren
Als der SC 2007 in der 2. Liga eine sportliche Krise erlebt, will der Vorstand Finke loswerden. Man ist sich nicht mehr grün, vieles hat sich angestaut. Robin Dutt wird zur nächsten Saison als Nachfolger verpflichtet. Doch plötzlich gewinnt Finke wieder und es regt sich Widerstand. Die Fan-Initiative "Wir sind Finke" kämpft um seinen Verbleib. Am Ende muss Finke aber trotzdem gehen - im Unfrieden.
Bild: Rolf Haid/dpa/picture-alliance
Solide Arbeit
Finkes Nachfolger startet keine nächste Ära auf der Trainerbank. Robin Dutt bleibt "nur" vier Jahre in Freiburg. Er bringt den Sportclub in seinem zweiten Jahr zurück in die Bundesliga und etabliert ihn dort. Nachdem er die Saison 2010/2011 mit dem SC als Neunter abgeschlossen hat, folgt Dutt dem Ruf von Bayer Leverkusen, um dort Nachfolger von Jupp Heynckes zu werden.
Bild: Fishing 4/IMAGO
Erste Trainerentlassung in der Bundesliga
Aus vier Jahren Dutt werden bei dessen Nachfolger Marcus Sorg (l.) nur ein paar Monate. Sportlich läuft es unter dem heutigen Co-Trainer des DFB-Teams überhaupt nicht. Man verliert beim FC Bayern mit 0:7, ist Ende der Hinrunde Letzter. Sorg muss gehen und wird durch seinen Co-Trainer Christian Streich ersetzt (r.). Es ist die erste Entlassung eines Freiburger Trainers in der Bundesliga.
Bild: augenklick/firo/picture alliance
Die nächste Kultfigur
Mittlerweile ist Christian Streich seit über zehn Jahren Cheftrainer in Freiburg - und ähnlich erfolgreich wie Volker Finke. 2015 steigt er mit dem SC ab, aber direkt wieder auf. Streich, ehemaliger Jugendtrainer der Freiburger, kommt mit seiner kauzigen Art gut an. Seine Pressekonferenzen in breitestem Dialekt sind Kult, seine Ansichten auch zu gesellschaftlichen und politischen Themen gefragt.
Bild: Norbert Schmidt/picture alliance
Starkes Team
Die sportliche Leitung des SC schafft es immer wieder, auch schmerzhafte Abgänge zu kompensieren. Es wächst ein Team heran, dass sich zuletzt nur selten Abstiegssorgen machen muss. Fast schafft es Freiburg in dieser Saison erstmals in die Champions League. Am Ende steht nach 2013 und 2017 zum dritten Mal unter Streich die Teilnahme an der Europa League. Außerdem winkt im Pokal der erste Titel.