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"Eine Welle der Ökonomisierung kommt auf uns zu"

Rick Fulker
16. März 2017

In den USA wird Kultur vor allem privat gefördert. Herrschen in Deutschland bald amerikanische Verhältnisse? Der Präsident des Deutschen Kulturrats sieht im DW-Gespräch auch hierzulande den Trend zur Kommerzialisierung.

Christian Höppner
Bild: DW/Jan Röhl

Deutsche Welle: In den USA will Präsident Trump die öffentliche Kulturförderung einstellen. Dort ist die öffentliche Kulturförderung zwar viel niedriger als in Europa - speziell im Vergleich zu Deutschland. Die Systeme sind grundverschieden. Dennoch sehen etwa Klassik-Musiker auch hierzulande amerikanische Verhältnisse auf Deutschland zukommen: also etwa mehr privates Sponsoring, weniger Staat. Sehen Sie das auch so?

Christian Höppner: Ja, ich sehe eine Welle der Ökonomisierung nahezu aller Lebensbereiche und damit auch der ­Bildungs- und Kulturbereiche. Die rollt auf uns zu, wenngleich auch nicht in dem Ausmaß wie es in den USA der Fall ist. Ich sehe eine Gefahr, dass das, was wir an großen Schätzen haben, an der Ökonomisierung leiden wird - ob es um das Kulturerbe, zeitgenössische Ausdrucksformen oder den interkulturellen Bereich geht. 

Trotz Kürzungen oder Schließungen in Deutschland und Europa, haben wir aber immer noch ein beachtliches Reservoir an kultureller Vielfalt.

Manche sagen, dass wenn sich etwas nicht verkaufen lässt, es nicht gut sei - auch ein Kulturerzeugnis. Kann man dagegen von der anderen Seite behaupten, dass sich nur Minderwertiges verkaufen lässt? Qualität und kommerzieller Erfolg: Ist das ein Widerspruch?

Ich kann weder der ersten noch der zweiten Aussage zustimmen. Es gibt hervorragende künstlerische Leistungen, die sich nicht verkaufen, und andere, die sich verkaufen lassen. Es muss eine Balance geben zwischen dem Markt und dem, was an künstlerischer Freiheit immerhin in unserem Grundgesetz festgeschrieben ist.

Das Grundverständnis, dass Bildung und Kultur eine öffentliche Aufgabe, eine öffentliche Verantwortung und damit überwiegend öffentlich finanziert werden, dieses Grundverständnis prägt einfach europäisches Denken und Handeln. Wenn wir hier die Kommerzialisierung weiter betreiben, käme es zu einer Verarmung der Angebote. Jedes Kind, das in unserem Land auf die Welt kommt, muss das Recht haben, die ganze Bandbreite von Kulturvielfalt zu erfahren.

Der Bundestag debattierte darüber, den Stellenwert der Kultur in das Grundgesetz aufzunehmenBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Konservative Kreise in den USA setzen staatliche Kulturförderung mit staatlicher Kulturbevormundung gleich. Sie halten beispielsweise die Trennung von Staat und Kirche hoch und sagen, man solle auch die Trennung von Staat und Kultur anstreben. Was sagen Sie, wenn Sie das hören?

Es hat die Diskussion im deutschen Bundestag über einen Zeitraum von sechs Jahren und über drei Legislaturperioden gegeben, dass die Kultur Staatsaufgabe sei, und dass man dies im Grundgesetz festhalten solle, dass man da schreibt: "Der Staat schützt und fördert die Kultur". Bisher ist diese Diskussion ohne Ergebnis geführt worden, aber dass die Diskussion überhaupt stattfand, sagt im Grunde aus, dass dies für eine Mehrheit der Bevölkerung nichts mit staatlicher Bevormundung zu tun hat, oder dass der Staat sich da herauszuhalten habe.

Aber vieles, was es an kulturellen Schätzen in unserem Land gibt, wird gar nicht erst gehoben, weil die Mittel angeblich nicht vorhanden sind oder weil Kürzungen greifen oder das kommerzielle Interesse fehlt. Selbst bei den Stiftungen sehe ich die Tendenz - was ich ihnen eigentlich nicht vorwerfen kann - dass sie eigene Interessen durchsetzen. 

Gibt es eine Statistik darüber, wie groß der Anteil der Kultur am Bruttosozialprodukt ist, oder etwa, wie viel der Staat in die Kultur investiert und wie viel dabei finanziell herauskommt, etwa in Form von Steuereinnahmen? Kann man also die Bedeutung der Kultur auf diese Weise erfassen?

Der Musikbereich ist nach der Automobilindustrie der zweitgrößte Industriebereich in Deutschland Bild: © jamdesign - Fotolia.com

Es gibt Berechnungen, demzufolge der gesamte Musikbereich nach der Automobilindustrie der zweitgrößte Industriebereich Deutschlands ist. Das ist eine unglaubliche Dimension. Da reden wir natürlich mit dem erweiterten Kulturbegriff, in dem die Unterhaltungsmusik inbegriffen ist. Kultur ist also volkswirtschaftlich ein gewichtiger Faktor, gar keine Frage.

Aber dieser Wunsch nach Messbarkeit, Investition und die Frage, was kommt zurück, dies halte ich für nicht durchführbar, weil die Rentabilität manchmal erst in zehn, 20 oder 30 Jahren messbar ist. Wie wollen Sie etwa die Rentabilität berechnen, wenn ein Kind mit acht Jahren - so wie ich damals - die Möglichkeit bekommt, Instrumental-Unterricht in der Kirchengemeinde zu erhalten, um dann 25 Jahre lang bei Aufführungen von Bach-Kantaten mitzuwirken. Wie wollen Sie diese Prägung, diesen Mehrwert in Zahlen ausdrücken? Die Neugierde zu wecken und zu erhalten, das sind Prozesse, die wir in unserer Gesellschaft dringend brauchen. 

Im Januar durfte ich in Hamburg bei der Eröffnung der Elbphilharmonie dabei sein und da waren die Ansprachen von den hochrangigen Politikern vor Ort voller persönlicher Bekenntnisse zum Wert und zur Bedeutung von Kultur und Musik. Ist der Staat wirklich auf dem Rückzug, was die Kulturförderung in Deutschland betrifft?

Inzwischen fallen bis zu 80 Prozent des Musikunterrichts in den Grundschulen aus, so HöppnerBild: DW/S. Cords

Es ist eine ganz verrückte Entwicklung. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals so viele Bekenntnisse zur Bildung und Kultur hatten, so einen Reichtum an auch glaubhaften Statements! Es gibt auch so viele Projekte, wie, ich glaube, noch nie zuvor. Das will ich auch nicht schlecht reden. Projekte können wichtige Impulse setzen und vorhandene Aktivitäten fördern.

Aber auf der anderen Seite braucht Kultur eine Kontinuität - und auch eine Qualität. Und genau hier geht es bergab. Wenn man erfährt, dass bis zu 80 Prozent des Musikunterrichts in den Grundschulen ausfällt, und auch die Hochschulen, die ebenfalls eine exzellente Arbeit machen, finanziell nicht in der Lage sind, diese Aufgabe adäquat zu erfüllen, wird deutlich: Es wird an der guten kulturellen Infrastruktur gesägt, um dann das Pflaster eines Projekts darauf zu kleben. Das ist eine fatale Entwicklung.

Klar kann sich ein Politiker mit einem Projekt schmücken. Aber dass guter Schulunterricht stattfindet, oder dass die freie Theaterszene lebt, ist nicht sexy für einen Politiker. Aber es ist das, was wir bräuchten. Wir haben einen Riesen-Fachkräftemangel auch im Musikbereich. Es geht darum, diese Struktur zu stärken.

Prof. Christian Höppner ist Cellist, Dirigent und Präsident des Deutschen Kulturrats. Er unterrichtet Cello an der Berliner Hochschule der Künste. Mit ihm sprach DW-Kulturredakteur Rick Fulker.

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