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Politik

"Ich hoffe, dass die EU jetzt aufwacht"

Helena Kaschel
8. Oktober 2018

Der Fall der getöteten bulgarischen Journalistin Viktoria Marinowa ist der dritte Journalistenmord in der EU binnen zwölf Monaten. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, sieht Brüssel in der Pflicht.

Slowakei Bratislava Demonstrationen nach Journalistenmord
Nach der Ermordung des Journalisten Ján Kuciak im Februar gingen in der Slowakei Zehntausende Menschen auf die StraßeBild: Reuters/R. Stoklasa

Wieder sorgt ein aufsehenerregender Journalistenmord in Europa für Entsetzen: Die bulgarische Fernsehmoderatorin Viktoria Marinowa wurde der Staatsanwaltschaft zufolge am Samstag in einem Park in der nordbulgarischen Stadt Ruse ermordet aufgefunden. Der Tod sei durch Schläge auf den Kopf und Ersticken ausgelöst worden. Nach Angaben von Innenminister Mladen Marinow wurde Marinowa auch vergewaltigt. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar, die Polizei prüfe sowohl berufliche als auch persönliche Gründe für den Mord, hieß es.

Laut der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr in keiner anderen Weltregion so stark verschlechtert wie in Europa. Kommende Woche jährt sich der Mord an Daphne Caruana Galizia zum ersten Mal. Die maltesische Bloggerin und Journalistin, die für ihre investigative Arbeit bekannt war, wurde am 16. Oktober 2017 in ihrem Auto mit einer Bombe getötet. In der Slowakei löste Ende Februar dieses Jahres der Mord an dem Investigativ-Reporter Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová Massenproteste aus - Ministerpräsident Fico und Innenminister Robert Kalinák mussten zurücktreten. In beiden Fällen sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.

DW: Herr Mihr, handelt es sich bei der Ermordung von Daphne Galizia, Ján Kuciak und jetzt Viktoria Marinowa um Einzelfälle oder haben wir es mit einer größeren Entwicklung zu tun? Wird es in Europa gefährlicher für Journalisten?

Christian Mihr: Es sind insofern Einzelfälle, als diese Morde in drei unterschiedlichen Ländern stattgefunden haben, aber es gibt auch Verbindendes. Erstens haben sie in der EU stattgefunden, zweitens in neuen EU-Mitgliedstaaten, die in den vergangenen 15 Jahren der EU beigetreten sind: Slowakei, Malta und in diesem Fall Bulgarien. Ich glaube, was sich dort zeigt, sind Versäumnisse im Rahmen von EU-Beitrittsverhandlungen in der Vergangenheit. Das ist auch eine Mahnung für aktuelle laufende Beitrittsverhandlungen mit Serbien, mit der Türkei, mit Mazedonien. Wir haben immer wieder kritisiert, dass das Thema Pressefreiheit bei diesen Verhandlungen keine wichtige Rolle gespielt hat.

Inwiefern?

Es gibt in den Beitrittsverhandlungen sogenannte Fortschrittsberichte, die in der Regel die Problemlagen in vielen Ländern beschreiben, aber nie konkret Verantwortlichkeiten benennen: Welche Politiker, welche Wirtschaftsakteure sind wirklich verantwortlich für Beschränkungen der Pressefreiheit, für Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten? Wenn man die jüngsten Fortschrittsberichte zu Serbien und zur Türkei sieht, habe ich den Eindruck, dass man auch bei aktuellen Beitrittsverhandlungen keine Lektion daraus gezogen hat. Auch dort wird man nie konkret, wenn es darum geht, Ross und Reiter zu nennen.

Wer ist denn beispielsweise in Serbien für die Beschränkung von Pressefreiheit verantwortlich? Das ist Präsident Aleksandar Vučić persönlich, der zum Teil Verquickungen mit Wirtschaft und mit Medienunternehmen hat und zumindest hinter Drohungen zu stehen scheint. Es ist erschütternd, dass solche Journalistenmorde in EU-Ländern passieren und ich glaube, die Chance, die alle drei Länder jetzt haben, ist, zumindest zu zeigen, dass die Rechtsstaatlichkeit funktioniert und die Hintermänner überführt werden. Aber nach den bisherigen Ermittlungen in den ersten beiden Fällen habe ich zumindest leise Zweifel.

Fordert, dass die Lage der Pressefreiheit bei EU-Beitrittsverhandlungen stärker berücksichtigt wird: Christian MihrBild: Reporter ohne Grenzen/Schler

Ob Viktoria Marinowa wegen ihrer journalistischen Arbeit getötet wurde, ist noch unklar. Doch auch ohne dies hat Bulgarien unter allen EU-Staaten die schlechteste Bewertung im ROG-Ranking zur Pressefreiheit. Warum?

Es gibt in wenigen Ländern eine solch enge Verquickung von Wirtschaft, Politik und Medien wie in Bulgarien. Das Mediensystem wird de facto von Deljan Peewski bestimmt, an ihm wird die Problematik besonders sichtbar: Einerseits ist er Medienmogul, er ist gleichzeitig Abgeordneter im Parlament und war früher einmal Geheimdienstchef. Es gibt sehr starke oligarchische Medienstrukturen, die Medien werden eingespannt für wirtschaftliche und politische Interessen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Drohungen gehabt gegen Journalistinnen und Journalisten in Bulgarien, viele berichten uns von Selbstzensur, wenn es um heikle Themen geht, die die Medienbesitzer betreffen.

In den USA fürchten viele, dass die kontinuierlichen Angriffe von Präsident Donald Trump gegen die Medien zu Gewalt gegen Journalisten führen könnten. Auch in Europa wettern Spitzenpolitiker gegen die Medien. Welche Rolle spielt eine derartige Rhetorik von staatlicher Seite mit Blick auf Gewalt gegen Journalisten?

Ich glaube schon, dass es da einen Zusammenhang gibt. Das ist ja das Gefährliche bei so einer Rhetorik: Dass sie ermutigt zur Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung und als Mittel, um kritische Berichterstattung abzuwehren. Gefährlicher noch als die Worte selbst ist das Klima, das dadurch geschaffen wird.

In der Sendung der TV-Journalistin Viktoria Marinowa ging es zuletzt um angeblichen Betrug mit EU-FördergeldernBild: Reuters

In den Fällen Galizia und Kuciak hat die schnelle Aufklärung, die sich viele gewünscht hatten, nicht stattgefunden. Die Ermittlungen laufen schleppend. Ist auch das ein Symptom mangelnder Pressefreiheit in den entsprechenden Ländern?

Es ist einerseits ein Symptom und gleichzeitig zeigt es, dass Pressefreiheit einen ganz wichtigen Pfeiler hat, ohne die sie nicht ermöglicht werden kann, und das ist Rechtsstaatlichkeit. Wir haben ja auch in Deutschland Angriffe auf die Pressefreiheit etwa durch ein BND-Gesetz, das die Überwachung von Journalisten möglich macht. Aber es gibt eine starke, unabhängige Justiz, die am Ende immer wieder der Pressefreiheit den Rücken stärkt. Gerade in Ländern wie Malta und Bulgarien erleben wir dagegen eine sehr politisierte Justiz, die zwar noch weit entfernt ist von dem, was wir in der Türkei erleben, aber zum Teil von Korruption geprägt ist.

Ich hoffe, dass die EU jetzt aufwacht und Druck macht und die bulgarische Regierung daran erinnert, dass sie dafür Sorge tragen muss, dass die eigenen Behörden die Ermittlungen richtig durchführen. Ich bin kein Wahrsager, aber ich habe zumindest eine gewisse Skepsis, wenn ich bisherige Ermittlungen in Bulgarien sehe. Bei vielen Drohungen werden die Hintermänner nicht ermittelt.

Christian Mihr ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen.

Das Gespräch führte Helena Kaschel.