1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Schmidt: Stillstand in Bosnien aufbrechen

Zorica Ilic | Zoran Arbutina
28. Juli 2022

Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina hat über Änderungen im Wahlgesetz entschieden - vorwiegend technischer Natur. Im Vorfeld gab es große Proteste gegen ihn. Im DW-Gespräch erklärt er sein Handeln.

Bosnien Herzegowina Christian Schmidt
Christian Schmidt, Hoher Repräsentant für Bosnien und HerzegowinaBild: Elman Omic/AA/picture alliance

Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina (OHR) hat eine wichtige Rolle: er überwacht die Umsetzung der zivilen Aspekte des Daytoner Friedensabkommens, mit dem 1995 der dreieinhalbjährige Krieg im Land beendet wurde. Dafür verfügt er über sehr weitreichende Vollmachten. Er kann beispielsweise Gesetze er- oder bestimmte Personen aus staatlichen Ämtern entlassen. Zurzeit bekleidet der frühere deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt die Funktion des Hohen Repräsentanten.

Als vor wenigen Tagen in der bosnischen Öffentlichkeit ein Dokument auftauchte, das angeblich vorbereitete Entscheidungen über einige Änderungen im Wahlgesetz enthalten sollte, löste das einen Sturm der Entrüstung aus. Vor allem von Seiten der Bosniaken, die im Land die Mehrheit stellen, wurde Schmidt vorgeworfen, die ethnische Teilung in Bosnien weiter zu vertiefen und die Kroaten gegenüber den Bosniaken zu bevorteilen. Manche hochrangige bosniakische Politiker deuteten sogar die Möglichkeit neuer bewaffneter Konflikte an.

Protest gegen Christian Schmidt in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo im Juli 2022Bild: Klix.ba

Nun hat der Hohe Repräsentant seine Entscheidungen verkündet. Von den im Vorfeld angekündigten Veränderungen der Wahlmodalitäten, die durchaus Folgen für die Zusammensetzung des Parlamentes in der bosniakisch-kroatischen Föderation zur Folge hätten, ist nichts geblieben. Vorerst wurden nur einige technische Entscheidungen getroffen. Sie sollen ermöglichen, die im September anstehende Parlamentswahl besser durchzuführen.

"Territoriale Integrität aufrechterhalten"

Im Gespräch mit der DW weist Christian Schmidt entschieden Vorwürfe zurück, wonach er vorgehabt habe, mit Gesetzesänderungen die ethnische Spaltung des Landes voranzutreiben: "Manche Menschen hatten den Eindruck, man würde damit nur diejenigen belohnen, die in einem Gebiet mit vielen ethnischen Landsleuten leben, etwa Kroaten bei Kroaten. Darum ging es aber überhaupt nicht. Und vor allem, es darf auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, man wolle eine Aufteilung von Bosnien und Herzegowina in unterschiedliche Volksregionen vollziehen. Nein, um Gottes Willen! Ich bin ja gerade dazu da, dass ich das verhindere, ich bin dazu da, die sogenannte territoriale Integrität aufrechtzuerhalten."

Demonstranten in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo protestieren gegen Christian SchmidtBild: Klix.ba

Ihm ginge es vielmehr darum, so Schmidt, bestehende Mängel zu beseitigen: "Einerseits ist leider das Wahlrecht für die allgemeinen und freien Wahlen in Bosnien und Herzegowina noch verbesserungsbedürftig, wenn es um die Verhinderung von Wahlbetrug geht. Etwa die falsche Auszählung der Stimmen, oder wenn jemand versucht, mit Hassreden Einfluss zu nehmen und andere bedroht. Da habe ich das Strafmaß erhöht. Ich entspreche damit übrigens den Vorstellungen des Europarats und der Venedig-Kommission (Anm.d.Red.: Die Venedig-Kommission berät den Europarat juristisch). Ihre Vorschläge wurden von allen Parteien in Bosnien Herzegowina unterstützt. Und was ist passiert? Nichts. Es ist im Parlament gescheitert. In zwei Monaten sind Wahlen, und man muss die Sachen, die noch notwendig sind und gemacht werden können, implementieren. Und das habe ich jetzt getan, auch in einer gewissen Abstimmung mit der Europäischen Union und der internationalen Gemeinschaft."

"Ich will das geltende Wahlrecht nicht ändern"

Auf der anderen Seite seien die zentralen Institutionen des Landes - die Regierung der bosniakisch-kroatischen Föderation und das Verfassungsgericht - durch die Blockadetaktik der Parteien gelähmt: "In den letzten Jahren ist überhaupt kein Präsident der Föderation gewählt worden, weil die Wahl blockiert wurde. Und das Verfassungsgericht? Es sollen neun Richter da sein. Aber wie viele Posten sind besetzt? Fünf. Übrigens scheidet in den nächsten sechs Monaten eine Dame aus, die das 70. Lebensjahr erreicht. Damit sind es nur noch vier Richter - die können dann gar nichts mehr entscheiden. Das liegt daran, dass der geschäftsführende Ministerpräsident die Vorschläge für die Nominierung von Richtern nicht einmal ans Parlament weiterleitet. Das heißt, es gibt im wahrsten Sinne des Wortes einen Stillstand der Rechtspflege aus politisch-taktischen Gründen. Ich möchte, dass eine Regierung zustande kommt und dass das Verfassungsgericht entscheidungsfähig ist."

Christian Schmidt bei seiner Pressekonferenz am 27.07.2022 in SarajewoBild: Selma Boračić-Mršo/DW

Über die Änderung der Wahlmodalitäten in einzelnen Wahlkreisen - was im Vorfeld zu der heftigen Kritik und zahlreichen Protestkundgebungen führte - hat Schmidt vorerst keine Entscheidung getroffen: "Da ist etwas falsch kommuniziert worden. Ich will das geltende Wahlrecht nicht ändern, aber ich habe mir vorgenommen, bei verschiedenen kleineren Fragen einen richtigen Weg zu finden. Und da kann ich auf meine Vollmachten, die sogenannten Bonner Vollmachten, zurückgreifen, wenn es denn gar nicht anders geht."

"Dieses Land ist eine Porzellankiste"

Nun hat Schmidt den politischen Parteien sechs Wochen Zeit gegeben, in gegenseitigen Verhandlungen eine Lösung für die Ungereimtheiten in den Wahlmodalitäten zu finden. Er gibt gleichzeitig zu verstehen, dass er es ernst meint: "Die Wahl ist in zwei Monaten. Das ist ein überschaubarer Zeitraum. Der Druck wird von meiner Seite jetzt erhöht. Und dann schauen wir mal! Aber die Parteien sollten nicht vergessen, dass meine exekutiven Möglichkeiten ja bestehen. Ich habe sie ja nicht aufgegeben. Ich habe sie nur bisher nicht genutzt."

Dennoch ist der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina beunruhigt über eine mögliche Destabilisierung des Landes: "Ich habe schon Sorgen, auch wegen der entzündlichen Rhetorik. Jetzt hat ein Parteiverantwortlicher, es ist Bakir Izetbegovic (Anm.d.Red.: Vorsitzender der größten bosniakischen Partei SDA) völlig daneben gegriffen, indem er davon gesprochen hat, wie man junge Leute mehr oder weniger bewaffnen kann. Er hat auch weiteren Blödsinn gesagt. Das muss ich deutlich zurückweisen. Dieses Land ist eine Porzellankiste. Da darf man nicht mit solcher Rhetorik durch die Gegend gehen, vor allem im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. Ich will nicht unterstellen, dass man hier einen Krieg beginnen will, aber wer weiß, was für russische Gedanken es gibt."

Das Gespräch führte Zorica Ilic

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen