Die Kandidatin
17. Juni 2011Sie war die erste Frau, die das Wirtschaftsministerium in Paris lenkt, die erste Wirtschaftsministerin der G8-Staaten und sie könnte die erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds werden. Diesen Posten musste der Franzose Dominik Strauß-Kahn verlassen, weil er verdächtigt wird, ein Zimmermädchen in einem New Yorker Hotel sexuell attackiert zu haben. Auf ihn kommt ein Gerichtsverfahren wegen versuchter Vergewaltigung zu.
Die Chancen Lagardes den Chefsessel von Strauß-Kahn zu beerben stehen gut. Bislang war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Posten von einem Europäer besetzt wird. Als Kandidatin der Europäer erhält Lagarde nicht nur Unterstützung vom alten Kontinent, sondern auch von Seiten der OECD. Um für sich zu werben, reiste die französische Finanzministerin jüngst rund um den Globus und sicherte sich dabei auch die Zustimmung afrikanischer Staaten. Ihre Zusage sich dafür einzusetzen, dass die Entwicklungsländer beim IWF künftig besser vertreten seien und mehr Stimmrechte erhielten, könnte außerdem wichtige Schwellenländer wie Indien und China auf ihre Seite zu bringen. Auch wenn sich die USA offiziell noch nicht auf eine Person festgelegt haben, es wird allgemein erwartet, dass sie ebenfalls für Lagarde stimmen werden. Zusammen mit den europäischen Ländern halten die Amerikaner mehr als die Hälfte der IWF-Stimmrechte, womit sie genügend Macht haben, über die Führung des Fonds zu entscheiden.
Auf internationalem Parkett zu Hause
Christine Lagarde ist den Amerikanern sicher keine unwillkommene Kandidatin, hat sie doch enge Bindungen an die USA. So hat die Französin einen Collegeabschluss in Washington gemacht und sammelte politische Erfahrungen als Praktikantin bei dem republikanischen Abgeordneten William S. Cohen, der später Verteidigungsminister unter Bill Clinton wurde. Danach kehrte sie nach Frankreich zurück, studierte Jura und Englisch und startete anschließend ihre berufliche Laufbahn als Anwältin in Paris bei der amerikanischen Anwaltsfirma Baker und McKenzie. Nach 18 Jahren kehrte sie in die USA zurück, um als Geschäftsführerin der Baker- und McKenzie-Zentrale in Chicago zu arbeiten. 2005 überredete der frühere französische Regierungschef Jean-Pierre Raffarin sie zur Rückkehr nach Frankreich und zum Einstieg in die Politik.
Aus den USA mitgebracht hat sie ihre pragmatische angelsächsische und teamorientiere Art, Probleme anzugehen. Zu Anfang wurde sie dafür von den Franzosen als ungeschickt, ohne Fingerspitzengefühl belächelt. Aufsehen erregte sie beispielsweise, als sie den Franzosen ein rigoroses Sparprogramm ankündigte - waren die doch bislang die fürsorgliche Hand des Staates gewohnt. Als ihre Landsleute dann noch über die hohen Benzinpreise klagten, riet sie ihnen pragmatisch, doch aufs Fahrrad umzusteigen. Auch später scheute Lagarde sich nicht, bei anderen anzuecken. Trotzdem überzeugte ihre direkte Art am Ende nicht nur ihre Landsleute. Eines ihrer größten Verdienste war es sicherlich, dass sie dazu beigetragen hat, dass in der Finanzkrise 2009 der 750-Milliarden-Euro Rettungsfonds auf die Beine gestellt wurde und dass den Hedge Fonds Zügel angelegt wurden. Von der "Financial Times" wurde sie daraufhin zur "Finanzministerin des Jahres" gekürt.
Eine Liberale mit sozialem Einschlag
Wirtschaftspolitisch verfolgt Lagarde einen ähnlichen Kurs wie Strauss-Kahn: Pro Marktwirtschaft, pro Globalisierung, aber es muss klare Spielregeln geben. Und sie möchte, wie der französische Präsident Sarkozy, dass der IWF zu einer Art Weltwirtschaftsregierung ausgebaut wird. Dafür könnten ihr die guten Kontakte in der internationalen Wirtschafts- und Finanzwelt, die sie während ihrer bisherigen Arbeit gesammelt hat, sehr von Nutzen sein.
Stets braun gebrannt, ein elegantes Kostüm und ein distinguiertes Lächeln - die weltgewandte gepflegte Lagarde strahlt Optimismus aus. In einer Männerwelt musste sich sie sich als älteste Schwester von drei Brüdern schon früh durchsetzen. Sie kann aber auch Teamplay und schaffte es als Synchronschwimmerin bis in die französische Nationalmannschaft. Ihr Vater, ein Englisch-Professor, stirbt früh - Lagarde war gerade 17 Jahre alt. Auch ihr späteres Familienleben verlief nicht ganz reibungslos. Zweimal hat Christine Lagarde geheiratet und sich wieder scheiden lassen. Heute ist sie Mutter zweier Söhne und mit dem Marseiller Geschäftsmann Eachran Gilmour liiert.
Stolperfalle vor dem Chefsessel?
Ihre berufliche Vergangenheit gilt als makellos - bis auf einen Fall, der ihr den Weg nach Washington versperren könnte: Als Ministerin hatte Lagarde 2007 entschieden, dass ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen dem Skandalunternehmer Bernard Tapie und der ehemals staatlichen Bank Crédit Lyonnais um den Verkauf des deutschen Sportartikelherstellers Adidas nicht den normalen Rechtsweg gehen, sondern durch ein Schiedsurteil beigelegt werden sollte. Der Unternehmer bekam daraufhin eine staatliche Entschädigung in Höhe von 285 Millionen Euro.
In Folge steht Lagarde im Verdacht, sie könnte ihr Amt ausgenutzt haben, um Tapie die Millionensumme aus Steuergeldern zukommen zu lassen. Allerdings verweisen mehrere Oppositionspolitiker darauf, dass die Ministerin auf Anweisung von Präsident Nicolas Sarkozy gehandelt habe, der mit Tapie befreundet ist.
Die französische Justiz wird erst am 8. Juli entscheiden, ob gegen Lagarde Ermittlungen wegen Amtsmissbrauchs eingeleitet werden. Der Chefposten des IWF soll aber bereits am 30. Juni neu besetzt sein.
Autor: Insa Wrede
Redaktion: Monika Lohmüller