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Christo - 80 und voller Tatendrang

Gaby Reucher13. Juni 2015

Als Verpackungskünstler will Christo nicht bezeichnet werden, auch wenn er zuweilen große Pakete schnürt. Die Verhüllung des Berliner Reichstags war eine seiner größten Aktionen. Auch mit 80 ist er nicht zu bremsen.

Der von Christo und Jeanne-Claude verhüllte Reichstag
Bild: picture-alliance/dpa/Kneffel

Verhüllungs-Aktionist Christo wird 80

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Ob sich der weltberühmte Künstler Christo an seinem Geburtstag fit fühlt, braucht man ihn nicht zu fragen. Derzeit arbeitet er an drei Projekten gleichzeitig. Eines davon, "Floating Pears", wird in Italien gerade realisiert. Auch die beiden anderen Projekte "Over the river" in Colorado und "The Mastaba" in Abu Dhabi halten den Künstler auf Trab. Mit "The Mastaba" würde Christo sein erstes permanentes Großobjekt schaffen. Geplant ist eine bunte Pyramide ohne Spitze aus 410.000 Ölfässern.

Christo hat also noch viel vor, aber gerade die Arbeit halte ihn jung, betont er immer wieder. "Er flitzt in Abu Dhabi die Dünen rauf und runter, da komme ich selbst schon aus der Puste", sagt Fotograf Wolfgang Volz, der seit über 40 Jahren mit dem Künstlerpaar Christo & Jeanne-Claude eng zusammenarbeitet.

Christo und Jeanne-Claude in Abu DhabiBild: Christo and Jeanne-Claude/W. Volz

Enthüllen durch Verbergen

Christo hat als Vertreter der sogenannten "Land Art" gemeinsam mit seiner 2009 verstorbenen Frau Jeanne-Claude spektakuläre Verhüllungs- und Gestaltungsaktionen von Gebäuden, Parks und ganzen Landstrichen in Angriff genommen. In den 60er Jahren, einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, hatte "Land Art" eine politische Dimension. Es war der Protest gegen das Besitzbürgertum. Geografischer Raum wurde zu einem Kunstwerk verwandelt, das man nicht ausstellen oder besitzen konnte. Diese Idee schwingt auch in Christos Werken mit, wobei er heute seine groß angelegten Projekte ohne ihre Kommerzialisierung gar nicht verwirklichen könnte.

Das Einwickeln, Verhüllen oder Verkleiden von Gegenständen wie Dosen, Flaschen, Kisten oder Motorrädern war schon immer Christos Markenzeichen. Die Deutung seiner Kunst hat er dabei anderen überlassen. Er hat die Dinge nie bis zur Unkenntlichkeit verpackt und dadurch die Neugierde des Betrachters geweckt. Jeder sollte die Dinge mit seinen eigenen Augen sehen. Christos Biograph David Bourdon spricht vom "Enthüllen durch Verbergen".

"The Wall": Einst politisch motiviert, heute ein ästhetisches Motiv für viele AusstellungenBild: picture-alliance/S. Simon

Auch die Ölfässer tauchen früh in Christos Biografie auf – verhüllt oder gestapelt. So sorgte er 1962 mit seinem Projekt "Mauer aus Ölfässern – Eiserner Vorhang" für Aufregung. Ohne Genehmigung der Behörden versperrte er mit einer Mauer aus 441 Ölfässern die Pariser Rue Visconti, um so seinen Protest gegen das DDR-Regime und den Bau der Berliner Mauer auszudrücken.

Christo war selbst Flüchtling aus einem kommunistischen Land. In Sofia hatte der gebürtige Bulgare Christo Vladimiroff Javacheff in den fünfziger Jahren Malerei, Bildhauerei und Architektur studiert. 1956 floh er über die tschechoslowakische Grenze. In Paris fand er Anfang der 60er Jahre Anschluss an die Künstlergruppe der "nouveaux réalistes", der neuen Realisten. Sie wollten wie er die Wirklichkeit mit anderen Augen sehen, die Gesellschaft aufrütteln, indem sie mit neuen Techniken und Materialien Objekte aus der Realität in die Kunst integrierten und verfremdeten. Parallel hielt sich Christo mit Porträtmalerei über Wasser. Als er die Frau eines Generals zeichnete, lernte er dessen Tochter Jeanne-Claude kennen. Zufällig war sie am gleichen Tag wie er geboren, am 13. Juni 1935.

Christo & Jeanne-Claude

Christos künstlerische Begabung ergänzte Jeanne-Claude durch ihr Organisationstalent. Gemeinsam planten sie groß angelegte Projekte wie etwa 1969 die Verhüllung eines Teils der Küste von Australien oder den überdimensionalen Vorhang durch ein Tal in Colorado "Valley Curtain" Anfang der 70er. Spektakulär auch in den 80ern die rosa ummantelten Inseln "Surrounded Islands" von Florida und die verhüllte Brücke "Pont Neuf" in Paris. Spektakulär auch Anfang der 90er "The Umbrellas". Christo und Jeanne-Claude ließen 3000 blaue und gelbe Sonnenschirme in Kalifornien und Japan aufstellen. Fast immer gab es zunächst Ärger mit den Behörden, dann faszinierten die gigantischen Kunstobjekte die Massen.

Das Künstlerpaar stellt "The Umbrellas" vorBild: picture-alliance/dpa/R. Manzanares

Mit Jeanne Claude konnte sich Christo über die gemeinsamen Projekte ereifern und streiten. Das fehle ihm, sagt Wolfgang Volz. "Die Rolle übernehmen jetzt sein Neffe, der Filmemacher Vladimir Yavachev, und ich." Das erfordere den vollen Einsatz, zumal Christos slawisches Temperament immer mal wieder durchschlage, wenn etwas nicht so gut laufe. "In einem Moment schimpft er so am Telefon, dass ich ihn auch ohne Hörer von New York aus hören könnte, aber eine Minute später ist dann alles wieder gut."

Die "Arbeitsfamilie" wächst

Wolfgang Volz schätzt die Arbeit mit Christo wie damals auch mit Jeanne-Claude: "Obwohl Christo einen Weltruf hat, habe ich nie 'für' die beiden gearbeitet, sondern 'mit' ihnen als gleichberechtigter Partner. Auf diese Weise hat die Zusammenarbeit so lange gehalten". Was sich im Laufe all der Jahre geändert hat? "Mit der wachsenden Größe der Projekte wurde die 'Arbeitsfamilie' anders", sagt Volz. "Es wurden Ingenieure, professionelle Kletterer und andere Spezialisten benötigt."

Wolfgang Volz (l.), die rechte Hand von Christo und Jeanne-ClaudeBild: picture alliance/Sven Simon

Volz selbst arbeitete nicht nur als Exklusiv-Fotograf für Christo und Jeanne-Claude, sondern auch als Projektleiter. Etwa bei der spektakulären Reichstagsverhüllung 1995. Rund 100.000 Quadratmeter feuerfester Kunststoff wurden an den Fassaden des Reichstags heruntergelassen. Kletterer umspannten und verschnürten das Ganze mit kilometerlangen Seilen. Fünf Millionen Menschen besuchten dann in zwei Wochen das Spektakel, befühlten und bestaunten den silbrig glitzernden Stoff und tanzten auf der Wiese vor dem Reichstag: Ein Happening. "Fünf Millionen Besucher in zwei Wochen, das war Weltrekord für ein kulturelles Ereignis in so kurzer Zeit".

Kunst für den Augenblick

Christos Großprojekte im Freien sind zwar nur kurze Zeit zu sehen, dafür aber öffentlich und für alle kostenfrei zugänglich. "Dass sie verschwinden ist ein Teil des ästhetischen Konzeptes. Dadurch sind sie tief verwurzelt mit der Freiheit, denn die Freiheit ist Feind des Besitzes und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauerhaftigkeit", sagte Christo im Zuge der Arbeiten am Berliner Reichstag. Freiheit ist ein zentraler Begriff für den einstigen Flüchtling. Deshalb bleibt er auch finanziell unabhängig und finanziert seine Projekte selbst aus dem Verkauf von Skizzen, kleineren Objekten und signierten Fotos.

Doch so kurz die Werke auch zu sehen sind, so lange mussten die Künstler oft auf die jeweiligen Genehmigungen warten. Sie blieben beharrlich. Auch beim Projekt "Berliner Reichstag". Von der ersten Idee bis zur Verwirklichung dauerte es 23 Jahre, begleitet von heftigen Kontroversen um die Symbolik des geschichtsträchtigen Baus. Als der Bundestag endlich für die Verhüllung stimmte, war das für Christo ein großer Moment: "Bis 1989 war der Reichtag ein Mausoleum, ein Gebäude ohne Zukunft, eine schlafende Schönheit. Das Aufregende ist, dass wir das Projekt Reichstag in diesem Moment der Umstrukturierung realisieren und dass wir diese Umgestaltung physikalisch demonstrieren können."

Das neue Projekt "Floating Pears" wird im Juni 2016 fertiggestelltBild: Christo/A. Grossmann

Jetzt wartet Christo wieder: Auf den endgültigen Gerichtsentscheid, ob er elf Kilometer des Arkansas River in den USA mit Kunststoffbahnen für sein Projekt "Over the river" überspannen darf. "Es ist nicht schön, nur um Genehmigungen zu kämpfen", sagt Wolfgang Volz. "Deshalb haben wir mal wieder ein Projekt in Europa gemacht, das sich schneller realisieren ließ." Das Projekt "The Floating Pears" nahm vor einem Jahr konkret Gestalt an. Schon im Juni 2016 können Besucher zwischen den Inseln des italienischen Ideosees auf schwimmenden Pontons spazieren gehen. An seinem Geburtstag am 13. Juni wird Christo genau dort am See in Oberitalien sein und feiern. Alle Partygäste – wie könnte es anders sein – gehören zur großen Arbeitsfamilie und haben irgendwie mit diesem Projekt zu tun.

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