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Gesellschaft

"Auschwitz hat nicht in Auschwitz begonnen"

Thomas Spahn | Rahel Klein
27. Januar 2019

Christoph Heubner ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Er will die Erinnerungen an den Holocaust lebendig halten. Denn die Gefahr, wieder in ähnliche Fahrwasser hineinzugeraten, sei immer da.

Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees Christoph Heubner
Bild: picture-alliance/ZB/J. Büttner

Christoph Heubner: "Wir sind immer gefährdet"

12:05

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Es war Anfang der 70er-Jahre, als Christoph Heubner das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz zum ersten Mal besuchte. Damals gab es noch deutlich mehr Holocaust-Überlebende, die einen ganz konkreten Auftrag an die Besuchergruppe und den jungen Heubner richteten: "Sie haben gesagt: 'Ich erwarte jetzt was von dir, dass meine Erinnerung nicht verloren geht, dass du dich engagierst und du deine Emotionen und dein Wissen hier einbringst.'"

Erinnerungen lebendig halten

Diese Aufforderung verstand der heute 69-Jährige als Auftrag für sein weiteres Leben. Heubner ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitzkomitees. Er setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass die Geschichten der Überlebenden und Opfer des Holocausts weitergegeben werden. Denn Überlebende dieser Zeit wird es bald keine mehr geben. Die Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz hat Heubner mit aufgebaut. Im Juni vergangenen Jahres führte er die Skandal-Rapper Farid Band und Kollegah durch das KZ Auschwitz I.

Christoph Heubner mit den Rappern Farid Bang (m.) und Kollegah (r.) an der sogenannten Todeswand in AuschwitzBild: picture-alliance/KEYSTONE/Iak/B. Oertwig

Demokratie wird als Selbstverständlichkeit angesehen

Vor 74 Jahren wurde das Vernichtungslager von der Roten Armee befreit. Die Erinnerung an den Holocaust, an Auschwitz sei so wichtig, weil man auch heute wieder Gefahr laufe, in derartige Fahrwasser hineinzugeraten, sagt Heubner im Interview der Woche der DW. "Hass, Populismus, Aggressionen gegen Minderheiten: Auschwitz hat nicht in Auschwitz begonnen, sondern in all den Städten, wo man Menschen ausgegrenzt und gejagt hat, vor allem jüdische Menschen." Die Welt heute sei schläfrig geworden, sagt Heubner. "Vielen scheint Demokratie mittlerweile eine selbstverständliche Bettdecke, die ihnen eine sanfte Ruhe beschert." Doch diese Ruhe sei trügerisch. "An der Demokratie wird gerüttelt".

Rechtspopulisten wie der AfD-Politiker Björn Höcke haben Probleme mit der deutschen Erinnerungskultur. Höcke bezeichnete das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein "Denkmal der Schande". Für Heubner sind solche Äußerungen selbst eine Schande. "Das ist ein würdeloses Geschwätz, unpatriotisch, dämlich. Das deutsche Volk hat gerade seine Würde in der Erinnerung wiedergewonnen."

Warnung vor "stillem Gedenken"

Die ehrliche und ernsthafte Auseinandersetzung Deutschlands mit der Geschichte des Holocausts, die man zuvor verschwiegen und verleugnet habe, werde besonders von Auschwitzüberlebenden anerkannt, sagt Heubner und warnt zugleich vor einem "stillen Gedenken" an den Nationalsozialismus, wie es viele in der AfD gerne sehen würden. Auschwitz stehe heute wieder im Fokus von Versuchen, die Geschichte zurückzudrängen und die Erinnerungskultur verstummen zu lassen.

Wenn Heubner Schülergruppen durch das ehemalige Konzentrationslager führt, sieht er, wie emotional der Besuch für die Jugendlichen ist. "Sie fühlen sich verantwortlich - nicht für das, was geschehen ist - aber für das, was in ihrer Gegenwart geschieht und was sie für die Zukunft gestalten müssen." Heubners Ansicht nach sollten Besuche ehemaliger Konzentrationslager für Schüler eine Selbstverständlichkeit sein - daraus eine Pflicht zu machen, lehnt er ab. Dabei wissen 41 Prozent der deutschen Schüler ab 14 Jahren nicht, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager war. Das ergab eine Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung.

Erinnerungskultur als Qualitätssiegel

Trotz der Versuche von rechts, die deutsche Erinnerungskultur leiser werden zu lassen, blickt Heubner auch positiv in die Zukunft und gibt sich kämpferisch. Es gebe so viele Gedenkveranstaltungen zu Auschwitz in Deutschland wie lange nicht. Die Menschen verstünden, dass die Erinnerungskultur hart und schmerzhaft erarbeitet worden sei. "Und wir lassen sie uns nicht kaputt reden, weil sie ein Qualitätssiegel unserer Demokratie ist."

Das Gespräch führte Thomas Spahn.

Redaktionelle Zusammenfassung: Rahel Klein.

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