Christoph Heubner ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Er will die Erinnerungen an den Holocaust lebendig halten. Denn die Gefahr, wieder in ähnliche Fahrwasser hineinzugeraten, sei immer da.
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Christoph Heubner: "Wir sind immer gefährdet"
12:05
Es war Anfang der 70er-Jahre, als Christoph Heubner das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz zum ersten Mal besuchte. Damals gab es noch deutlich mehr Holocaust-Überlebende, die einen ganz konkreten Auftrag an die Besuchergruppe und den jungen Heubner richteten: "Sie haben gesagt: 'Ich erwarte jetzt was von dir, dass meine Erinnerung nicht verloren geht, dass du dich engagierst und du deine Emotionen und dein Wissen hier einbringst.'"
Erinnerungen lebendig halten
Diese Aufforderung verstand der heute 69-Jährige als Auftrag für sein weiteres Leben. Heubner ist Vizepräsident des Internationalen Auschwitzkomitees. Er setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass die Geschichten der Überlebenden und Opfer des Holocausts weitergegeben werden. Denn Überlebende dieser Zeit wird es bald keine mehr geben. Die Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz hat Heubner mit aufgebaut. Im Juni vergangenen Jahres führte er die Skandal-Rapper Farid Band und Kollegah durch das KZ Auschwitz I.
Demokratie wird als Selbstverständlichkeit angesehen
Vor 74 Jahren wurde das Vernichtungslager von der Roten Armee befreit. Die Erinnerung an den Holocaust, an Auschwitz sei so wichtig, weil man auch heute wieder Gefahr laufe, in derartige Fahrwasser hineinzugeraten, sagt Heubner im Interview der Woche der DW. "Hass, Populismus, Aggressionen gegen Minderheiten: Auschwitz hat nicht in Auschwitz begonnen, sondern in all den Städten, wo man Menschen ausgegrenzt und gejagt hat, vor allem jüdische Menschen." Die Welt heute sei schläfrig geworden, sagt Heubner. "Vielen scheint Demokratie mittlerweile eine selbstverständliche Bettdecke, die ihnen eine sanfte Ruhe beschert." Doch diese Ruhe sei trügerisch. "An der Demokratie wird gerüttelt".
Rechtspopulisten wie der AfD-Politiker Björn Höcke haben Probleme mit der deutschen Erinnerungskultur. Höcke bezeichnete das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein "Denkmal der Schande". Für Heubner sind solche Äußerungen selbst eine Schande. "Das ist ein würdeloses Geschwätz, unpatriotisch, dämlich. Das deutsche Volk hat gerade seine Würde in der Erinnerung wiedergewonnen."
Warnung vor "stillem Gedenken"
Die ehrliche und ernsthafte Auseinandersetzung Deutschlands mit der Geschichte des Holocausts, die man zuvor verschwiegen und verleugnet habe, werde besonders von Auschwitzüberlebenden anerkannt, sagt Heubner und warnt zugleich vor einem "stillen Gedenken" an den Nationalsozialismus, wie es viele in der AfD gerne sehen würden. Auschwitz stehe heute wieder im Fokus von Versuchen, die Geschichte zurückzudrängen und die Erinnerungskultur verstummen zu lassen.
Gedenkstätten des NS-Terrors
Am 27. Januar 1945 wurde das KZ Auschwitz befreit. Seit 1996 ist der 27. Januar der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Gedenkstätten in Deutschland erinnern an die Opfer von Krieg und Verfolgung.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber
KZ Dachau
Eines der ersten Zwangslager während des Nationalsozialismus wurde in Dachau bei München errichtet. Bereits wenige Wochen nach Hitlers Machtergreifung wurden dort vor allem politische Gegner inhaftiert, von der SS drangsaliert und umgebracht. Dachau diente als Vorbild für die nachfolgenden Konzentrationslager im Herrschaftsgebiet der Nazis.
Bild: picture-alliance/dpa
Haus der Wannseekonferenz
Die Villa Marlier am Berliner Wannsee gilt als eines der Planungszentren des Holocausts. Am 20.1.1942 trafen sich dort 15 Mitglieder von Reichsregierung und SS, um sich über das Vorgehen beim Völkermord an den Juden abzustimmen. Seit 1992 befindet sich die Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannseekonferenz" in den Räumen der Villa.
Bild: picture-alliance/dpa
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg war von 1933 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs Schauplatz der größten NS-Propagandaveranstaltungen. Auf dem elf Quadratkilometer umfassenden Areal fanden zum jährlichen Parteitag Aufmärsche mit bis zu 200.000 Menschen statt.
Bild: picture-alliance/Daniel Karmann
KZ Bergen-Belsen
Das KZ Bergen-Belsen in Niedersachsen diente zuerst als Kriegsgefangenenlager. In den letzten Kriegsjahren wurden hier vor allem erkrankte Häftlinge aus anderen Lagern untergebracht. Der Großteil wurde vorsätzlich getötet oder starb durch Krankheit. Eines der 50.000 Todesopfer war das jüdische Mädchen Anne Frank, das durch ihre posthum veröffentlichten Tagebücher weltweite Bekanntheit erlangte.
Bild: picture alliance/Klaus Nowottnick
KZ Buchenwald
Buchenwald nahe der thüringischen Stadt Weimar war eines der größten Konzentrationslager in Deutschland. Von 1937 bis April 1945 verschleppten die Nationalsozialisten rund 270.000 Menschen aus ganz Europa hierhin und ermordeten 64.000 von ihnen.
Bild: Getty Images/J. Schlueter
Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Im Berliner Bendlerblock war das Zentrum des militärischen Widerstands gegen Adolf Hitler. Eine Gruppe von Wehrmachtsoffizieren um Oberst Graf von Stauffenberg scheiterte am 20. Juli 1944 bei ihrem Versuch Hitler zu töten. Einige der Beteiligten wurden noch in derselben Nacht im Bendlerblock erschossen. Daran erinnert dort heute die Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
Bild: picture-alliance/dpa
Tötungsanstalt Hadamar
In Hadamar in Hessen wurden ab 1941 Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen umgebracht. Von den Nazis für "lebensunwert" erklärt, starben hier fast 15.000 Menschen durch Giftinjektionen und Gas. Insgesamt fielen rund 70.000 Menschen dem sogenannten "Euthanasie"-Programm zum Opfer. Die Räume der ehemaligen Tötungsanstalt sind heute Gedenkstätte.
Bild: picture-alliance/dpa
Holocaust Mahnmal
Als zentrale Erinnerungsstätte in Deutschland dient in Berlin das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa. In unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor wurde es am 10. Mai 2005 eingeweiht. Der Architekt Peter Eisenman schuf ein Feld mit 2711 Betonstelen unterschiedlicher Größe. Es ist für Besucher frei begehbar. Eine unterirdische Gedenkausstellung ergänzt den Komplex.
Bild: picture-alliance/dpa
Denkmal für die verfolgten Homosexuellen
Der Formensprache des Holocaustmahnmals nachempfunden ist die Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Es wurde am 27. Mai 2008 im Berliner Tiergarten eingeweiht. Eine verglaste Öffnung gibt den Blick auf das Innere frei, in dem ein Film von sich küssenden Männer- und Frauenpaaren in Endlosschleife gezeigt wird.
Bild: picture alliance/Markus C. Hurek
Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma
Gegenüber des Reichstagsgebäudes in Berlin erinnert seit 2012 eine Gartenanlage an die 500.000 in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma. Auf dem Rand des Brunnens ist auf Englisch, Deutsch und Romanes das Gedicht "Auschwitz" von Santino Spinelli zu lesen: "Eingefallenes Gesicht/ erloschene Augen / kalte Lippen / Stille / ein zerrissenes Herz / ohne Atem / ohne Worte / keine Tränen".
Bild: picture-alliance/dpa
Stolpersteine
Der deutsche Künstler Gunter Demnig begann in den 1990er Jahren ein Projekt zur Aufarbeitung des Holocausts: Vor den ehemaligen Wohnorten der Opfer ließ er mit Messingplatten versehene Steine ein, auf denen Namen und Todesumstände eingraviert sind. Über 45.000 Gedenksteine in Deutschland und 17 weiteren europäischen Ländern sind bisher Teil der weltweit größten dezentralen Holocaust-Gedenkstätte.
Bild: picture-alliance/dpa
NS-Dokumentationszentrum München
Am 70. Jahrestag der Befreiung Münchens von den Nationalsozialisten, am 30. April 2015, eröffnete an historischer Stelle ein neues Dokumentationszentrum. Wo früher das "Braune Haus" - die Parteizentrale der NSDAP - stand, erhebt sich jetzt ein weißer Kubus. Daneben im "Führerbau" hatte Hitler sein Büro. Nach Berlin und Nürnberg beleuchtet damit auch München das dunkelste Kapitel seiner Geschichte.
Bild: picture-alliance/dpa/Sven Hoppe
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Wenn Heubner Schülergruppen durch das ehemalige Konzentrationslager führt, sieht er, wie emotional der Besuch für die Jugendlichen ist. "Sie fühlen sich verantwortlich - nicht für das, was geschehen ist - aber für das, was in ihrer Gegenwart geschieht und was sie für die Zukunft gestalten müssen." Heubners Ansicht nach sollten Besuche ehemaliger Konzentrationslager für Schüler eine Selbstverständlichkeit sein - daraus eine Pflicht zu machen, lehnt er ab. Dabei wissen 41 Prozent der deutschen Schüler ab 14 Jahren nicht, dass Auschwitz-Birkenau ein Konzentrations- und Vernichtungslager war. Das ergab eine Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung.
Erinnerungskultur als Qualitätssiegel
Trotz der Versuche von rechts, die deutsche Erinnerungskultur leiser werden zu lassen, blickt Heubner auch positiv in die Zukunft und gibt sich kämpferisch. Es gebe so viele Gedenkveranstaltungen zu Auschwitz in Deutschland wie lange nicht. Die Menschen verstünden, dass die Erinnerungskultur hart und schmerzhaft erarbeitet worden sei. "Und wir lassen sie uns nicht kaputt reden, weil sie ein Qualitätssiegel unserer Demokratie ist."