Chronologie einer Affäre
3. Januar 201225. Oktober 2008:
Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens aus Osnabrück einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses in Burgwedel bei Hannover zu einem Zinssatz von vier Prozent. Sicherheiten sind nicht erforderlich. Wulff will sich nach der Scheidung von seiner ersten Frau Christiane ein neues Leben mit seiner zweiten Frau Bettina aufbauen.
März 2009:
Der VW-Konzern steigt bei Porsche ein und rettet die Nobelmarke so vor einer drohenden Insolvenz. Im Präsidium des Aufsichtsrats sitzt der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff von Amts wegen. Nach Informationen des "Spiegel" entwickelte er mit dem VW-Patriarchen Ferdinand Piech eine "Grundlagenvereinbarung" für den Einstieg bei Porsche. Damit können die Baden-Württembergische Bank (BW-Bank) und die Landesbank Baden-Württemberg aufatmen – beide Banken sind Geldgeber von Porsche.
Herbst 2009:
Der langjährige Freund und Osnabrücker Unternehmer Egon Geerkens kontaktiert einen BW-Bank-Kundenberater und leitet nach Informationen der Bank damit ein Gespräch mit Christian Wulff ein. Dieser habe sich dann telefonisch auf Empfehlung von Egon Geerkens auch gemeldet.
Dezember 2009:
Nach eigenen Angaben nimmt Christian Wulff auf Anregung von Egon Geerkens erst im Dezember 2009 Kontakt zur BW-Bank auf, um über ein Darlehen zu verhandeln, mit dem er den Privatkredit bei Edith Geerkens ablösen kann.
18. Februar 2010:
Im niedersächsischen Landtag beantwortet Ministerpräsident Christian Wulff eine Anfrage über seine geschäftlichen Beziehungen zum Unternehmer Egon Geerkens. Im Sinne der Anfrage verneint er geschäftliche Beziehungen zum ihm und verschweigt auch den Privatkredit von dessen Frau Edith.
21. März 2010:
Christian Wulff unterschreibt nach eigenen Angaben einen Kreditvertrag mit ungewöhnlich günstigen Konditionen. Die BW-Bank gewährt ein "kurzfristiges und rollierendes Geldmarktdarlehen" mit niedrigen Zinsen. Angeblich lagen die Zinsen mit 0,9 bis 2,1 Prozent rund 50 Prozent unter denen einer "normalen" Immobilienfinanzierung.
30. Juni 2010:
Nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler wird Christian Wulff im dritten Wahlgang von der Bundesversammlung zum 10. Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.
Herbst 2010 – Herbst 2011:
Mehrere Medien recherchieren zu Wulffs Privatkredit.
25. November 2011:
Nach Angaben seines Anwaltes wird die neue Kreditvereinbarung mit der BW-Bank an diesem Tag "fixiert". Diese Information wird später von der Bank bestätigt.
12. Dezember 2011:
Bundespräsident Christian Wulff befindet sich anlässlich einer Reise in die Golfregion in Katar. Er hat Informationen bekommen, die "Bild"-Zeitung plane eine Geschichte über seine Hausfinanzierung zu veröffentlichen. Er versucht den Chefredakteur Kai Diekmann anzurufen, erreicht aber nur seine Mailbox, auf der er Beschimpfungen und Drohungen hinterlässt. Der "Rubikon" sei überschritten, von "endgültigem Bruch" und einem "Krieg" soll die Rede gewesen sein – für den Fall, dass "diese unglaubliche Geschichte" veröffentlicht werde. Er droht den Autoren des Berichts auch mit strafrechtlichen Konsequenzen.
13. Dezember 2011:
Die "Bild"-Zeitung veröffentlicht die Geschichte über die Finanzierung des Einfamilienhauses in Burgwedel bei Hannover.
15. Dezember 2011:
In einer schriftlichen Erklärung teilt das Bundespräsidialamt mit, Christian Wulff habe das zinsgünstige Geldmarktdarlehen der BW-Bank in ein langfristiges Bankdarlehen umgewandelt. Gleichzeitig bedauert er, am 18. Februar 2010 bei der Anhörung vor dem niedersächsischen Landtag, den Privatkredit bei Frau Geerkens nicht offen gelegt zu haben.
19. Dezember 2011:
Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass der niedersächsische Unternehmer Carsten Maschmeyer ("AWD – der Finanzoptimierer") während des Landtagswahlkampfs Ende 2007 Zeitungsanzeigen für Wulffs Buch "Besser die Wahrheit" bezahlt hat.
21. Dezember 2011:
Erst jetzt unterschreibt der Bundespräsident den neuen Kreditvertrag, lässt ihn aber noch einige Tagen liegen. Der Vertrag kommt am 27. Dezember 2011 bei der Bank an. Die Konditionen waren schon am 25. November 2011 ausgehandelt worden. Die Laufzeit des Darlehens beginnt am 16. Januar 2012.
22. Dezember 2011:
Zum ersten Mal äußert sich der Bundespräsident selbst. In einer persönlichen Stellungnahme entschuldigt sich Christian Wulff, weist allerdings darauf hin, dass er alle Auskünfte erteilt habe. Ferner sei er durch die Offenlegung der Verträge seiner Aufklärungspflicht nachgekommen.
31. Dezember 2011:
Der "Spiegel" veröffentlicht eine Geschichte über den Einstieg von VW bei Porsche im März 2009. Bundespräsident Christian Wulff dementiert umgehend eine "Interessenkollision" und verweist darauf, dass er der Verschwiegenheit über derartige Vorgänge unterliege.
2. Januar 2012:
Medien veröffentlichen die Telefonanrufe Wulffs bei "Bild"-Chefredakteur, Kai Diekmann und Springer-Konzernchef Mathias Döpfner sowie bei der Mehrheitsaktionärin Friede Springer. Politische Weggefährten schweigen zu den neuerlichen Vorwürfen.
3. Januar 2012:
"Welt" und "Spiegel" berichten, dass Christian Wulff bereits im Sommer 2011 einen Autoren der "Welt am Sonntag" ins Berliner Schloss Bellevue "einbestellt" habe. Der Bundespräsident habe "an höchsten Verlagsstellen" und dem Journalisten gegenüber mit unangenehmen und öffentlichkeitswirksamen Konsequenzen für den Fall gedroht, dass ein Artikel über seine Halbschwester veröffentlicht werden würde.
Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Arne Lichtenberg