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Ein Jahr NSU-Prozess

Anja Fähnle6. Mai 2014

Am 6. Mai 2013 beginnt der NSU-Prozess. Weil sich zwei der drei Mitglieder, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, das Leben genommen haben, ist Beate Zschäpe die Hauptangeklagte - wegen zehnfachen Mordes.

Erster Tag NSU-Prozess am 6. Mai 2013, die Hauptangeklagte Beate Zschäpe steht mit dem Rücken zu den Foto-Journalisten, Foto von Peter Kneffel, dpa
Bild: picture-alliance/dpa/Peter Kneffel/

17. April 2013: Paukenschlag schon vor dem NSU-Prozess: Eigentlich soll an diesem Tag das Verfahren am Oberlandesgericht in München gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte beginnen. Aber das Gericht verschiebt den Prozess zwei Tage vorher um drei Wochen. Grund ist der Streit um die Vergabe der Presseplätze. Diese müssen jetzt neu verteilt werden -auch an Vertreter von ausländischen Medien. Für die Angehörigen und Nebenkläger ist das eine mittlere Katastrophe, so Barbara John, Ombudsfrau für die Opfer und ihre Angehörigen.

6. Mai 2013: Gleich zum Auftakt gerät der Prozess ins Stocken. Nach zwei Befangenheitsanträgen der Verteidigung setzt das Gericht die Verhandlungen bis Mitte Mai aus. Für die Nebenklägerin Gamze Kubasik ist die erneute Prozessverschiebung "ein totaler Schock", so ihr Anwalt Sebastian Scharmer. Das Verhalten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe an diesem ersten Tag im Gerichtssaal sorgt bei den Opfer-Angehörigen, die hier als Nebenkläger auftreten, für Unverständnis: Zschäpe lacht und scherzt und strotzt vor Selbstbewusstsein in ihrem Business-Kostüm, obwohl sie den Fotografen den Rücken kehrt.

14. Mai 2013: Bundesanwalt Herbert Diemer verliest die Anklageschrift gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe sowie vier weitere Beschuldigte. Zschäpe wird Mittäterschaft bei sämtlichen Verbrechen des NSU vorgeworfen. Im Saal kommt es zu heftigen Wortgefechten zwischen den Juristen. Die Zahl der Nebenkläger ist von 77 auf 86 gestiegen, darunter zahlreiche Opfer der Nagelbombenanschläge in Köln.

6. Juni 2013: "Mir tut das schreckliche Ausmaß der Verbrechen leid." Als erster Angeklagter entschuldigt sich Holger G. im NSU-Prozess mit gebrochener Stimme in einer vorgelesenen Erklärung für seine Taten bei den Angehörigen der Mordopfer. Er sei bereit, für seinen Teil die Verantwortung zu übernehmen. Holger G. gesteht, das rechtsextreme NSU-Trio mit Ausweisen versorgt zu haben. Er bestreitet, von terroristischen Straftaten der Gruppe gewusst zu haben.

Der Angeklagte Carsten S. verbirgt sein Gesicht vor den JournalistenBild: picture-alliance/dpa

11. Juni 2013: Der Angeklagte Carsten S. macht "reinen Tisch". Unter Tränen schildert er, wie er den mutmaßlichen Mitgliedern der Terrorgruppe NSU eine Pistole besorgt hat. Ralf Wohlleben, ein führender Funktionär der rechtsextremen Partei NPD, der neben ihm auf der Anklagebank sitzt, habe ihm den Auftrag gegeben. Der 33-jährige Carsten S. ist aus der Neonazi-Szene ausgestiegen und derzeit im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes (BKA). Neun Tage später entschuldigt sich Carsten S. bei den Angehörigen der Opfer: "Ich wollte Ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken", sagt er. Vor den Fotografen verbirgt er immer sein Gesicht.

6. August 2013: Das Schweigen der Beate Zschäpe: Die Hauptangeklagte verweigert beharrlich die Aussage. Sogar Fragen des Vorsitzenden Richters nach ihrem Befinden lässt sie von den drei Pflichtverteidigern beantworten. Nach 32 Verhandlungstagen ist jetzt vier Wochen lang Sommerpause. Das Oberlandesgericht bestätigt, dass der NSU-Prozess zwei Jahre oder länger dauern könnte.

12. September 2013: Ein 15 Jahre altes TV-Video sorgt für Gesprächsstoff. Eine Beamtin des Landeskriminalamtes spricht in der TV-Sendung "Kripo live" des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR)1998 von gestiegener Gewaltbereitschaft im rechtsextremen Milieu. Es wird der Fahndungsaufruf nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gezeigt. Kurz zuvor waren sie nach einer Durchsuchung am 26. Januar 1998 abgetaucht. Zschäpe war damals 20 Jahre alt.

Ismail Yozgat hält eine Rede in Kassel am achten Todestages seines Sohnes HalitBild: picture-alliance/dpa

1. Oktober 2013: Der Vater eines Mordopfers klagt an. "Warum haben sie meinen Sohn getötet", fragt Ismail Yozgat mit tränenerstickter Stimme. Sein Sohn Halit war das neunte von zehn Opfern, die mutmaßlich vom NSU erschossen wurden. Der 21-Jährige stirbt in den Armen seines Vaters am Arbeitsplatz in einem Kasseler Internetcafé. Ismail Yozgat fällt es schwer, während der Befragung die Fassung zu bewahren, er schluchzt immer wieder laut.

5. November 2013: Die Tochter eines NSU-Opfers erhebt die Stimme. Gamze Kubasik spricht über das Leid ihrer Familie nach dem Mord an ihrem Vater. Denn die Polizei ermittelte gegen das Opfer und gegen die Familie, bald wurde über den dreifachen Familienvater getuschelt und gelästert. Dem Verdacht auf rechtsextreme Täter gingen die Dortmunder Ermittler damals nicht nach. Jetzt will Tochter Gamze hundertprozentige Aufklärung.

18. November 2013: Der Vater von Uwe Mundlos beschimpft Richter: "Sie sind ein kleiner Klugsch….", fährt Siegfried Mundlos den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an. Dieser droht dem 67-jährigen Mathematiker Ordnungsmittel an, setzt die Befragung aber fort. Dem Verfassungsschutz gibt Siegfried Mundlos eine Mitschuld am Abgleiten seines Sohnes in die rechte Szene. Den Angehörigen der NSU-Opfer spricht er sein Mitgefühl aus. Aber er stellt die Opferperspektive auf den Kopf und erklärt die mutmaßlichen Terroristen, seinen Sohn und Böhnhardt, indirekt ebenfalls zu Opfern. Eine Respektlosigkeit gegenüber den Angehörigen der NSU-Opfer, findet Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer.

20. Dezember 2013: Eine Nachbarin kann Zschäpe nicht entlasten. Beate Zschäpe ist auch des versuchten Mordes an Charlotte E. angeklagt. Am 4. November 2011 steckt sie die Wohnung in Zwickau in Brand, in der sie mit Böhnhardt und Mundlos gewohnt hatte. Direkt nebenan wohnt die gehbehinderte Charlotte E. Das Haus geht in Flammen auf. Die Nichten der älteren Dame retten sie, bevor das Feuer auf die andere Haushälfte überschlägt. Warnte die Angeklagte sie? Eine Videokonferenz mit der mittlerweile 91-Jährigen scheitert, Charlotte E. ist überfordert und schläft schließlich ein. Die Bundesanwaltschaft will in naher Zukunft eine weitere Befragung direkt im Pflegeheim durchführen.

Mehr als 600 Zeugen sollen im NSU-Prozess aussagenBild: picture-alliance/Sven Simon

16. Januar 2014: Ein NSU-Mord voller Rätsel: Michèle Kiesewetter ist Ende April 2007 das letzte Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds. Sie wird während der Mittagspause erschossen, ihr Kollege Martin Arnold überlebt schwerverletzt. Die Dienstwaffen der Polizisten und andere Beweismittel werden erst vier Jahre später in dem ausgebrannten Wohnmobil entdeckt, in dem die Leichen von Böhnhard und Mundlos gefunden wurden.

12. März 2014: Ein Verfassungsschützer am Tatort: Als Beamter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) war Andreas T. im Internet-Café, als der türkischstämmige Halit Yozgat dort erschossen wurde. Davon will er aber nichts bemerkt haben. Er habe im Internet Partnerbörsen besucht, eine dienstliche Erklärung gibt er nicht ab und wird schließlich vom Dienst suspendiert. Seine Auftritte im Prozess bleiben dubios.

3. April 2014: "Sie war ein liebes, nettes Mädchen", sagt die Mutter des mutmaßlichen Täters Uwe Mundlos über Zschäpe. Heute sehe sie sie zum ersten Mal wieder, so die Zeugin. Zschäpe sei immer freundlich und hilfsbereit gewesen. Ähnlich hatten sie bereits schon andere Nachbarn charakterisiert.

6. Mai 2014: Der NSU-Prozess dauert jetzt genau ein Jahr. Es ist kein Ende in Sicht. Noch mehr als 70 Verhandlungstage stehen bereits fest. Bisher spricht nichts für große Überraschungen im weiteren Verfahren - außer wenn die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihr Schweigen bricht.

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