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Politik

Ciudad Juárez - Stadt der Gewalt

27. November 2009

Sie gilt als gewalttätigste Stadt der Welt. In der nordmexikanischen Grenzstadt kämpfen Drogenkartelle um die Vorherrschaft. Ein Armee-Einsatz sollte das Blutvergießen beenden - bewirkt hat er das Gegenteil.

Ein Konvoi des mexikanischen Militärs unterwegs am 14. September 2009 in die Grenzstadt Ciudad Juarez (Foto: AP)
Präsident Calderon erklärte den Kartellen den KriegBild: AP

Früher war die Avenida Juárez beliebte Ausgehmeile der Gringos, so der Spitzname der US-Amerikaner. Sie kamen über die Rio-Grande-Brücke aus El Paso/Texas um sich zu amüsieren. Hunderte Bars und zwielichtige Etablissements in der Straße machten ein gutes Geschäft mit den Gringos, aber jetzt bleiben sie leer.

Seit einem halben Jahrhundert betreibt Jose Calvo einen kleinen Laden auf der Avenida Juarez. In der letzten Zeit verdient er nichts, erzählt der 75-Jährige. Nicht mal ein Prozent von dem, was früher in die Kasse kam. Die grassierende Gewalt ließ das Geschäft in den vergangenen zwei Jahren einbrechen. "Hier sehen sie nur noch Einheimische. Dabei ist es für Touristen gar nicht gefährlich, die Straße wird doch vom Militär gesichert."

Tausende Mexikaner wie Jose Calvo sind in den vergangenen Jahrzehnten nach Ciudad Juárez gezogen – in der Hoffnung auf ein kleines Stückchen vom Reichtum der USA. Sie schuften in einem der Billiglohnbetriebe, die für den US-Markt produzieren, oder als Prostituierte in einem der Gringo-Bordelle.

Enorme Korruption innerhalb der Sicherheitskräfte

Jetzt ist Ciudad Juárez eine Stadt im Krieg: Verfeindete Drogenkartelle machen Jagd aufeinander. Militär und Bundespolizisten stehen zwischen den Fronten. Nachdem im Jahr 2008 über 1600 Menschen ums Leben gekommen waren, schickte die Regierung von Präsident Felipe Calderon mehr als 10.000 Beamte in die Grenzstadt. Zunächst konnten sie nicht viel ausrichten, weil die meisten lokalen Polizisten auf den Gehaltslisten der Drogenbarone standen, gesteht der Bürgermeister. Zu groß sei die Korruption innerhalb der Polizei gewesen. "Ich habe alle Polizeiführer abgesetzt. Der Einsatzchef wurde zwei Monate später verhaftet, als er eine Tonne Drogen in die USA bringen wollte. Die Korruption ging von Oben nach Unten. Jetzt haben wir den Polizeiapparat gesäubert: die Hälfte der 1600 Polizisten wurde entlassen."

Juárez wurde auch zum Synoym für "Feminizide" - Am 23.11.2009 protestierten Frauenrechtlerinnen gegen die vielen brutalen Frauenmorde in der Stadt und forderten: "Nicht eine einzige mehr."Bild: AP

Unvorstellbare Brutalität

Anfang 2009 kehrte für einige Wochen relative Ruhe ein, aber inzwischen bricht Ciudad Juárez wieder alle traurigen Rekorde: Schon mehr als 2000 Menschen haben in diesem Jahr ihr Leben verloren. Die meisten gehörten zu den Drogenbanden. Mit unvorstellbarer Brutalität wurden sie gefoltert, oft zerstückelt, wie Abfall an den Straßenrand geworfen. Ein alltäglicher Horror, unter dem vor allem die Bevölkerung leidet.

Im mexikanischen Drogenkrieg geht es längst nicht mehr nur um Drogenschmuggel in die USA, es geht um den Konsum im Land selbst. Entführungen, Erpressungen, Schutzgeld, Banküberfälle, Raubkopien, Menschen- und Waffenhandel sind die wichtigsten Geschäftszweige des organisierten Verbrechens. Nachwuchs gibt es in den Armenvierteln des Landes genügend, berichtet Sozialarbeiterin Andrea Baltazar. "Wenn man kleine Kinder fragt, was sie werden möchten, sagen sie, ich werde einmal Killer, denn die können töten und sind stark".

Killer als einzige Karriereoption

Aus diesem kindlichen Berufswunsch werde bei Jugendlichen, die keine Chance auf Ausbildung und Arbeit haben, schnell Realität, so Baltazar. "Zuerst gehen Dealer auf die Jugendlichen zu und schenken ihnen irgendeine Droge oder geben ihnen welche zum Weiterverkaufen in der Schule. Wenig später kommen 15-Jährige von sich aus zum Drogenhändler und der sagt, 'ich gebe dir 700 Pesos die Woche und du dealst für mich oder bringst jemanden um'."

Über 2000 Morde allein 2009 - trotz massiver MilitärpräsenzBild: AP

Wer erst einmal in einer Bande ist, so Andrea Baltazar, kommt da nicht mehr raus - höchstens tot. In einem der ärmlichsten Viertel von Ciudad Juárez ist die Arbeitslosigkeit sichtbar: mittags lungern junge Männer auf den staubigen, ungepflasterten Straßen herum. Sergio hat drei kleine Kinder. Vor über einem Jahr verlor er seinen Job in einem Billiglohnbetrieb. Jetzt bringt er die Familie "irgendwie" durch, sagt er. Er ist im schmutzigen Geschäft der Drogenkartelle. Irgendwie müsse man halt über die Runden kommen, irgendwie müssten die Kartoffeln auf den Tisch. "Man riskiert zwar seine Haut dabei, aber man kann doch nicht mit verschränkten Armen daneben stehen, wenn die Kinder nach Süßigkeiten schreien." Aber ob Sergio wirklich 'dazu' gehöre? "Das bleibt mein Geheimnis."

Keiner mag gern zugeben, dass er mitspielt. Es geht um viel Geld – Schätzungen sprechen von 25 Milliarden US-Dollar, die das organisierte Verbrechen im vergangenen Jahr in Mexiko umgesetzt hat. Lieber einmal reich sein und jung sterben als arm bleiben – Armut und Perspektivlosigkeit treiben die Menschen in die Arme des organisierten Verbrechens. Polizei und Armee werden die sozialen Probleme Mexikos nicht lösen – schon gar nicht in Ciudad Juárez.

Autorin: Anne-Katrin Mellmann

Redaktion: Sven Töniges