1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Claudia Roth warnt vor Wasserkriegen im Nahen Osten

21. Juni 2017

Bei der Bewältigung der Klimakrise im Nahen Osten sollte Deutschland dem Iran, dem Irak und Syrien helfen, meint die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Im DW-Interview warnt sie vor Millionen Umweltflüchtlingen.

Claudia Roth (Vice President, German Parliament, Germany); Session: The significance of identity and diversity in a globalized world
Bild: DW/K. Danetzki

DW: Die Türkei will den Staudamm Ilisu am Euphrat zu Ende bauen. Ein international umstrittenes Projekt, weil massive Auswirkungen auf die Umwelt befürchtet werden, die extreme Wasserknappheit in den Nachbarländern verursachen und möglicherweise Millionen Umweltflüchtlinge verursachen könnte. Deutschland hatte 2009 aus diesen Gründen die Zusammenarbeit mit dem Ilisu-Projekt gestoppt. Kann Deutschland eine Vermittlungsrolle übernehmen, um eine konstruktive Lösung zu finden?

Claudia Roth: Ich kenne die Debatte seit vielen Jahren aus dem Irak. Die Irakis sagen, es kann ja nicht sein, dass ein Land - die Türkei - die Flüsse vereinnahmt, als wären sie ihr persönliches Eigentum und sich dadurch die Möglichkeit verschafft, den Hahn zu zudrehen. Es gibt die Wasser-Konvention der UN und da heißt es: ein Land darf nicht Flüsse einfach unterbrechen, weil dadurch der Zugang zu Wasser zu einem Mittel der Politik wird. Die wichtigen UN-Konventionen sind von der Türkei gar nicht unterschrieben und ratifiziert worden.

Wir hatten das Problem mit der Stadt Hasankeif in der Türkei, eine Weltkulturerbe-Stätte, die wird zerstört, wenn der Staudamm Ilisu gebaut wird. Es werden ganze Dörfer verschwinden, es werden Minderheiten, die dort leben - in dem Fall die Kurden - vertrieben. Es muss aufhören, dass man mit Wasser versucht, möglicherweise neue Kriege anzuzetteln.

Zumal im Iran die Frage des Wassers auch ein riesengroßes Thema ist. Wenn die Nachbarstaaten mit Flüssen und Dämmen Politik betreiben und Druck ausüben, dann werden neue Konflikte noch wahrscheinlicher und die können wir ganz sicher nicht brauchen. 

Auf Twitter weisen die Umweltaktivisten auf eine Petition hin, die in vier Sprachen gegen das Staudamm-Projekte in der Türkei gerichtet ist.
 

Am 20. Juni war Weltflüchtlingstag. Sie und ihre grüne Partei verlangen eine menschenwürdige Flüchtlings- und Asylpolitik in Deutschland. Wie sollte die aussehen?

Laut UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk, gab es seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so viele Flüchtlinge. Wir reden von 65,7 Millionen registrierten Menschen, die auf der Flucht sind. Und da reden wir noch nicht von den Millionen von Flüchtlingen, die ihre Heimat jetzt schon verloren haben, weil sie Klima-Flüchtlinge sind. Und wenn wir der Klima-Krise nicht etwas entgegen setzen, sprechen Wissenschaftler und auch die Berater der Bundeskanzlerin von 200 bis 400 Millionen Umwelt-Flüchtlingen. Wenn man über die Bekämpfung von Fluchtursachen redet, dann heißt das nicht, dass wir möglicherweise schäbige Deals mit Erdogan, mit Bashir, mit Al-Sisi abschließen, oder neue Mauern errichten, sondern dass wir uns überlegen: Wie wirkt denn unsere Art des Wirtschaftens, unsere Art des Konsumierens, unsere Handelspolitik, unsere Agrarpolitik, unsere agroindustrielle Logik? Auch unsere Rüstungsexportpolitik trägt dazu bei, dass Menschen ihre Heimat verlieren.

Deutschland sollte sich in Europa massiver dafür einsetzen, dass wir uns nicht abhängig machen von Autokraten wie Erdogan, sondern dass wir eine eigenständige, europäische, faire Flüchtlings-Politik haben, die das Grundrecht auf Asyl nicht entzieht. Die aber auch dafür eintritt, dass es eine Unterscheidung gibt - was wir in Deutschland noch nicht haben - zwischen Asyl und Einwanderung.

Wir sollten legale Wege haben, legale Zugangswege zu uns, beispielsweise endlich ein Einwanderungsgesetz. Und wir sollten nicht versuchen, außenpolitische Realitäten umzudefinieren, indem man per Dekret Afghanistan zum sicheren Herkunftsland erklärt, was einfach nicht geht. Aber das ist natürlich ein sensibles Thema, von dem ich hoffe, dass es nicht missbraucht wird im Wahlkampf. 

Sie waren zuletzt im Januar 2015 im Iran. Ihre Reise wurde damals heftig kritisiert. In Deutschland, weil Sie im Iran das Kopftuch getragen haben. Im Iran, weil sie den Reformpolitiker Aref getroffen und ihre Sympathie für die inhaftierten Oppositionellen gezeigt haben. Wann fliegen sie wieder in den Iran?

Sobald wie möglich! Ich glaube, die letzte Wahl war ein wichtiges Signal vor allem der jungen Generation, dass sie raus wollen aus dieser Enge, dass sie international unterwegs sein wollen, dass sie Anerkennung wollen, dass sie die Demokratie wollen, dass sie Freiheit wollen. Und ich glaube, jetzt geht es darum, nicht neue Mauern zu errichten wie Herr Trump das ja tut, indem er die Saudis massiv unterstützt und so eine Front aufbaut gegen den Iran. Sondern jetzt muss man die jungen, die demokratischen die unglaublich gebildeten Kräfte im Iran unterstützen. Und das ist ein großes Anliegen. Es ist einer der jüngsten Gesellschaften auf der ganzen Welt, eine der am besten ausgebildeten Gesellschaften. Ein Land mit vielen Frauen an den Universitäten. Es gibt einen Hunger nach gleichen Rechten, nach Freiheit, nach Demokratie und das muss man unterstützen.

Die konservativen Abgeordneten im Iran waren verärgert, als die Bundestagsvizepräsidentin den Reformpolitiker Aref getroffen und ihre Sympathie für die inhaftierten Oppositionellen gezeigt hatteBild: Irna

Und es gibt ein zweites großes Anliegen im Iran. Ich habe mich vor kurzem mit der Umweltministerin getroffen. Der Iran leidet massiv unter der Klimakrise. Es gibt eine ökologische Katastrophe am Urmiasee, so stark und so gefährlich wie am Aralsee. Da sollten und müssen wir helfen. Und der dritte Grund ist, dass Iran immer mehr zum Reiseland wird. Unglaublich viele Menschen reisen in den Iran, wollen dieses wunderschöne Land sehen, die Herzenswärme der Menschen kennen lernen, die eine unglaubliche Gastfreundschaft zeigen. Ich finde es richtig, dass der Tourismus gefördert wird, weil Tourismus Türen öffnet. Zum einen, um bei uns Vorurteile und Klischees gegen den Iran abzubauen; zum anderen, um Begegnungen zu ermöglichen. 

Gibt es eine Möglichkeit für die parlamentarische Zusammenarbeit mit den reformorientierten Parteien im Iran?

Nach der Bundestagswahl (24. September) werden wir ganz sicher sehr schnell die deutsch-iranische Parlamentarier-Gruppe wieder konstituieren und diese Abgeordneten werden versuchen genau diesen Kontakt, diese Brücken zu bauen. Es kommt darauf an, dass wir die Brücken etablieren, mehr Brücken bauen zur Zivilgesellschaft - und zwar auf allen Ebenen: auf der kulturellen Ebene, im Sport, auf Tourismusebene, auf wirtschaftlicher Ebene, um eine Stabilisierung der demokratischen Entwicklung zu erreichen, oder die Möglichkeit einer demokratischen Entwicklung mit zu unterstützen, um nicht den Hardlinern das Feld zu überlassen.

Claudia Roth ist Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages und war lange Jahre Vorsitzende der Partei Bündnis90/Die Grünen. 

Das Interview führte Shabnam von Hein.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen