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GesellschaftEuropa

Claus Peymann über Theater, Krieg und Sinnlosigkeit

22. Juli 2022

Claus Peymanns Ionesco-Inszenierung "Der König stirbt" hat beim Theaterfestival in Hermannstadt viel Beifall geerntet. Die DW sprach mit ihm über die Wirkung des Theaters, den Krieg in Europa und das Absurde.

Rumänien Hermannstadt | Theaterfestival Der deutsche Regisseur Claus Peymann
Theaterlegende Claus Peymann beim DW-Gespräch in HermannstadtBild: Medana Weident/DW

DW: Herr Peymann, Sie haben kürzlich zum ersten Mal die rumänische Stadt Hermannstadt besucht und an dem Internationalen Theaterfestival dort teilgenommen. Was hat Sie während ihres zehntägigen Aufenthalts am meisten beeindruckt? 

Claus Peymann: Es ist wunderbar, in einem Land zu sein, in dem so ein Theaterfestival stattfindet, ein Kunstfestival, und dass hier eigentlich eine Begegnung der Menschen ist. Wenn man sich vorstellt, dass keine zehn Minuten Flugzeit entfernt ein Krieg tobt, ist das natürlich eine besondere Spannung. Man sieht, wie die Menschen miteinander umgehen, hier in Frieden, sie spielen voreinander, mit viel Lachen und Weinen, und nicht weit entfernt, fliegen die Raketen und die Bomben. Das ist schon ein besonderer Augenblick, der uns Theaterleuten und Künstlern auch zeigt, was Kunst kann, nämlich Frieden ohne Waffen.

Und dann die kleinen Dörfer, wo die Leute sich noch an ihre deutschsprachige Herkunft erinnern. Dieser Mischmasch - manchmal guckt auch Ceausescu um die Ecke (lacht) - aber die Leute sind friedlich, und diese kleine Stadt wirbelt ja vor Kunst und Kultur und Begegnungen, und man kommt ganz schön außer Atem.

Theaterregisseur Peymann wird in Hermannstadt mit einem Stern auf dem "Walk of Fame" ausgezeichnetBild: Medana Weident/DW

Zwischendurch habe ich auch die Gegend erkundet. Es war schön, auch dass wir einen so großen Erfolg mit unserem Stück "Der König stirbt" von Eugene Ionesco hatten. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland etwas Vergleichbares haben. Hier macht die ganze Stadt mit. Jetzt haben wir den großen Dramatiker Ionesco, der ja ein Rumäne ist, ein großes Genie, hier in Hermannstadt zeigen können. Die Rumänen können stolz sein auf ihre Künstler. Mit der großen Schauspielerin Joana Maria Gorvin (Anm. d. Red.: eine gebürtige Hermannstädterin) habe ich viel gearbeitet. Den Dirigenten Sergiu Celibidache liebe ich. Den Schauspieler Sabin Tambrea habe ich am Berliner Ensemble engagiert, und dort hat er große Rollen gespielt. Theater ist auch etwas, was die Menschen verschiedener Länder zusammenbringt. Insofern sind wir wieder beim Festival, wo eine ganze Stadt so pulsiert und mitmacht. Schön. Gratulation! 

Was war Ihnen wichtig bei dieser Ionesco-Inszenierung, die Sie aus Wien nach Hermannstadt gebracht haben? 

Ionesco war ein großer Freund der deutschen Literatur. Er kannte sicherlich auch Hofmannsthal und hat einen sehr modernen "Jedermann" geschrieben. Das aufzuspüren und mit den wunderbaren Schauspielern des Theaters in der Josefstadt zu vermitteln, war natürlich ein Glück. 

Wie aktuell ist Eugene Ionesco heute? 

Am Burgtheater, wo ich 13 Jahre Direktor war, habe ich das letzte große Stück von Thomas Bernhard, "Heldenplatz", inszeniert, was tatsächlich zu einer gewissen Veränderung von ganz Österreich geführt hat. Oder das Stück "Publikumsbeschimpfung" von Peter Handke, das ich uraufgeführt habe. Ich sah, dass Theater wirken kann. Egal, ob es um Kleist, Büchner, Brecht, Peter Turrini, Jelinek ging, ich war immer überzeugt vom politischen Theater.

Probe zum Stück "Vor dem Ruhestand" von Thomas Bernhard unter der Regie von Peymann am Wiener Burgtheater im Januar 1999Bild: AP

Jetzt, als 85-Jähriger, sehe ich die Dinge anders. Wenn ich zurückschaue, denke ich, es war wirklich eine Illusion, ein Traum, dass Theater die politische Wirklichkeit beeinflussen könne, die Menschen erziehen, wie Schiller und Lessing, die großen deutschen Klassiker es einmal behauptet haben. Ich sehe, dass alle unsere Bemühungen folgenlos, wirkungslos blieben. Jetzt tobt wieder ein Krieg mitten in Europa, in einer Zeit, wo wir das nicht für möglich gehalten haben. Die Schlussfolgerung, dass Theater tatsächlich den Lauf der Welt verändern kann, im Sinne Brechts - da ist bei mir das große Fragezeichen entstanden.

Manchmal denke ich, und da folge ich Eugene Ionesco, dass das, was passiert, so absurd und unvorstellbar ist - ich habe den Hitler-Krieg ja als kleiner Junge noch erlebt -, dass das jetzt wieder entsteht, mitten in Europa, dass wir uns bis an die Zähne bewaffnen. Wir haben nicht das Geld für die Emigranten und wir helfen nicht den Flüchtlingen aus Afrika, die vor dem Hunger davonlaufen. Plötzlich aber haben wir Milliarden, um diesen Krieg zu finanzieren. Plötzlich ist das Geld da.

Da frage ich mich, ob das Theater nicht das höhnische Gelächter der Sinnlosigkeit anstimmen sollte. Und Ionesco sagt: Das Logische ist sowieso falsch, richtig ist und war die Surrealität. So hab ich seine Stücke "Die Stühle" und "Der König stirbt" gemacht. In der ganzen Lächerlichkeit dieses sterbenden Königs, über dessen Ende wir dann schließlich weinen müssen und begreifen, dass wir alle sterben. Wir sitzen hier auf dieser Hotelterrasse unter dem Sonnenschirm und wissen: Wir werden sterben. 

Claus Peymann: "War es eine Illusion, Theater könne die politische Wirklichkeit beeinflussen?"

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So sehr hat sich Ihr Blick in den Jahren Ihres Schaffens an den großen Theatern verändert? 

Je älter man wird, desto mehr begreift man die Absurdität einer Wirklichkeit, die wieder aufeinander schießt. Ich will kein Zyniker werden wie Heiner Müller, mit dem ich sehr befreundet war. Der didaktische Zeigefinger, wie er vielleicht von Schiller, Lessing etc. und Brecht ausging, ist vielleicht wirklich verdorrt, und es ist großes Gelächter über den Untergang, über den Tod.

Auch mit 85 noch aktiv und voller Ideen: Claus Peymann in Hermannstadt im Juni 2022Bild: Medana Weident/DW

Dieser König im Stück von Ionesco glaubt ja bis zuletzt ans Überleben, wie wir das ja wahrscheinlich alle hoffen - mit 85 wird es ein bisschen anders. Ich weiche dem Tod nicht mehr aus. Ich weiß, er wird kommen, die Schwächen werden sichtbar, das Gedächtnis lässt nach, ich laufe nicht mehr 2000 Meter jeden Morgen. Aber ich kann noch inszenieren, ich habe noch Freude an der Arbeit. Mit 85 fragt man sich: Ist das die letzte Inszenierung, die ich jetzt mache? Oder die vorletzte? Oder gar die drittletzte? Wer weiß. Den Autor Ionesco hätte ich vor 50 Jahren nie gespielt - da hätte ich gesagt: nein, wir müssen es ernst nehmen, denn ich war ja sehr deutsch. Es ist überraschend: So verändert sich der Blick. 

Vielleicht kann das Theater die Welt nicht verändern, aber die vergangenen zwei Jahre der Pandemie haben ja deutlich gezeigt, wie schwierig es ist, ohne Theater, ohne Kunst und Kultur zu leben. 

Die Verantwortlichen für die Subventionen der Theater sagen, ihr habt es zwei Jahre geschafft, ohne dass gespielt wird, vielleicht können wir ein bisschen Geld sparen. Das wäre fatal. Es könnte sein, dass wir in Gefahr geraten, entbehrlich zu sein. Theater kann sicherlich ermutigen. 

Und Fragen stellen? 

Genau. Wir glauben an die Metamorphose durch die Theaterkunst oder Malerei, durch die Musik. Was gibt es schöneres als Musik? Um das Theater ist mir nicht bange. Es kann nur sein, dass das System der finanzierten Toleranz vielleicht zusammenbricht, wenn die kurzsichtigen Politiker glauben, sie wissen es besser.

Schuld sind aber nicht nur die anderen, schuld sind auch wir selber. Das Geld spielt inzwischen eine zu große Rolle, auch bei den Gagen, und junge Regisseure glauben, sie sind besser als Kleist, besser als Moliere. Das habe ich nie gewollt. Ich habe immer versucht, wie ein guter Kapellmeister, etwas ganz Neues in einer Mozartoper zu entdecken, ohne die Mozartoper aus dem Auge zu verlieren. Das hört sich sehr konservativ an. Für mich war immer die Dichtung der Mittelpunkt, und die Spieler waren die Musikanten. Die Regisseure sind dann die Kapellmeister. 

Sie waren immer ein großer Freund der Kontroverse. Wenn Sie auf ihre lange Karriere zurückblicken, sei es in Stuttgart, Bochum, am Burgtheater oder Berliner Ensemble, welche dieser Stationen hat Ihnen am meisten bedeutet? 

Alle. Ich war ein unrasierter Rowdy in Stuttgart, ein Enfant terrible in Wien mit dem Freund Bernhard, der eine Art Wegweiser für mich war und mich gewarnt hat: "Vorsicht, wenn dich die Wiener umarmen, dann haben sie einen Dolch im Gepäck." 

Claus Peymann spricht am 1.12.2014 als Intendant des Berliner Ensembles zu den MitarbeiternBild: picture-alliance/dpa/Jörg Carstensen

Aber ich denke an das nächste Stück. Was mache ich als Nächstes? Einen Beckett oder doch Hamlet? Ich bin ein Theatertier, und Tiere wissen, wo das beste Futter steht. Von den 150 Inszenierungen, die ich gemacht habe, sind die Hälfte Uraufführungen gewesen. Das europäische Theater lebt von der Literatur. An erster Stelle steht der Text, dann die Schauspieler, und mit ganz viel Abstand kommt der Dirigent. Ich bin ein sehr guter Dirigent, gnadenlos, aber nicht der Erfinder. Das ist mein Credo.

Und wie geht es weiter? 

Ich bin auf der Suche nach einem Stück für das Theater in der Josefstadt, am Ende der nächsten Spielzeit. Ich mache sehr viele Lesungen mit Thomas-Bernhard-Texten und bin sehr viel unterwegs. Ich dachte, wenn ich nicht mehr Direktor bin, ist alles ein bisschen leichter. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Ich wäre gerne Zirkusdirektor geworden, aber dazu ist es jetzt zu spät (lacht). Aber eigentlich habe ich mein ganzes Leben lang den Theaterzirkus in Gang gehalten. Jetzt haben Sie auch ein schönes Schlusswort.

Das Gespräch führte Medana Weident.

Medana Weident Autorin, Reporterin, Redakteurin, vor allem für DW Rumänisch
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