Clinton besucht überraschend Islamabad
27. Mai 2011Mahmoud Shaukat ist auf dem Weg zum Freitagsgebet in der Roten Moschee in Islamabad. Eigentlich misstraut er westlichen Reportern und will nicht sprechen, doch dann gewinnt sein Hass auf Amerika die Oberhand. "Die Diffamierung der Muslime in der Welt zwingt die Menschen dazu, das AK 47 in die Hände zu nehmen", bricht es aus dem 37-Jährigen heraus. Das AK 47 ist ein Schnellfeuergewehr, eine tödliche Waffe. "Die USA schaffen eine Lage, in der Muslime gezwungen sind, Gewalt gegen sie zu gebrauchen."
Ziel des Blitzbesuchs: Wogen glätten
Aus Shaukats Äußerungen kann man schließen, wie vergiftet das Verhältnis zwischen Pakistan und den USA ist. Und daher ist es nicht verwunderlich, dass US-Außenministerin Hillary Clinton am Freitag (27.05.2011) zu einem Blitzbesuch nach Islamabad gereist ist. Sie will die angespannte Situation verbessern, denn in Pakistan ist die Empörung über die eigenmächtige Aktion der US-Spezialeinheit zur Tötung Osama bin Ladens am 2. Mai 2011 immer noch groß.
Clinton traf am Freitag zunächst mit Präsident Asif Ali Zardari zusammen. Anschließend sprach sie mit Premierminister Yousuf Raza Gilani und Armeechef Ashfaq Parvez Kayani. In einer ersten Stellungnahme kündigte die US-Außenministerin ein härteres Vorgehen gegen muslimische Extremisten an. Sowohl die USA als auch Pakistan müssten den Kampf gegen Islamisten verstärken, erklärte Clinton weiter.
Kein Beweis für Mitwisserschaft Pakistans
Die amerikanische Chefdiplomatin erklärte auf der Pressekonferenz, dass es "absolut keinen Beweis" dafür gebe, dass die höchste Regierungsebene von Bin Ladens Versteck in Abbottabad wusste. Clinton kritisierte aber den in Pakistan herrschenden "Anti-Amerikanismus". Die in der Öffentlichkeit herrschende feindliche Einstellung gegenüber den USA sowie "Verschwörungstheorien" würden dem Land "nicht helfen, seine Probleme zu lösen", sagte sie.
Clinton bezog sich damit vor allem auf jüngste Anschläge der pakistanischen radikalislamischen Taliban im Land, die Aktionen angekündigt hatten, um Bin Ladens Tod zu rächen. Die Taliban sind mit Al Kaida verbündet.
"Pakistan und die Vereinigten Staaten haben zusammengearbeitet, um viele dieser Terroristen hier auf pakistanischem Boden zu fangen oder zu töten", sagte die Ministerin. "Aber wir erkennen beide an, dass viel mehr Arbeit notwendig ist, und es ist dringend." Mit dem Tod Bin Ladens sei ein "Wendepunkt" erreicht worden. Al Kaida bleibe aber eine ernste Bedrohung für Pakistan und Amerika. Zu den Bemühungen um Versöhnung mit den Taliban in Afghanistan erklärte Clinton, Pakistan müsse ein Teil dieses Prozesses sein. Da viele Taliban-Anführer weiterhin in Pakistan lebten, habe Islamabad die Verantwortung dafür, Aufständische daran zu hindern, von Pakistan aus Ziele in Afghanistan anzugreifen.
Bin Ladens Haus in Abbottabad darf durchsucht werden
Es ist der hochrangigste Besuch aus Washington seit Bin Ladens Tod in Abbottabad. Vor Clinton hatten sich bereits der einflussreiche US-Senator John Kerry und der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Marc Grossman, um Entspannung bemüht. Clinton wird von US-Generalstabschef Michael Mullen begleitet.
Pakistan hat dem US-Geheimdienst CIA unterdessen nach Angaben der "Washington Post" grünes Licht für die Durchsuchung des Anwesens gegeben, in dem Bin Laden getötet wurde. Demnach darf ein Forensik-Expertenteam das Gebäude in Abbottabad mit hochmodernen Geräten durchkämmen. Ziel sei es, Material aufzuspüren, das etwa in Wänden versteckt oder auf dem Grundstück vergraben sein könnte, berichtete die Zeitung unter Berufung auf US-Regierungsbeamte.
Pakistani üben scharfe Kritik
Das pakistanische Parlament hatte die Operation gegen Bin Laden als Verletzung der Souveränität Pakistans scharf kritisiert. Die Abgeordneten hatten gedroht, im Wiederholungsfall den Nachschub für die NATO-Truppen in Afghanistan abzuschneiden. Dieser läuft vor allem durch Pakistan.
Nach dem Einsatz gegen Bin Laden sagte in einer Umfrage des Senders Geo TV nur noch ein Prozent der Pakistaner, die Verbindungen zwischen Pakistan und den USA seien eng. Die allermeisten nannten Amerika einen Rivalen oder Feind. Im Volk herrsche "ein extremes Gefühl des Verrats" durch die USA, sagt der Oberhaus-Abgeordnete der mächtigen islamistischen Jamaat-e-Islami, Professor Ahmed Kurshid. Die Pakistaner seien besonders von US-Präsident Barack Obama enttäuscht. Er habe Wandel versprochen, sei aber nicht anders als sein Vorgänger George W. Bush. "Sie (die Amerikaner) müssten Pakistan als Frontstaat im Krieg gegen den Terrorismus behandeln, stattdessen greifen sie Pakistan an", sagt Kurshid. Er warnt Washington: "Strapazieren Sie unsere Geduld nicht über Gebühr."
Sündenbock Amerika
Diese Meinung teilen nicht nur Islamisten. Sein Land werde "kontinuierlich betrogen", sagt der frühere Chef des pakistanischen Geheimdienstes Intelligence Bureau (IB), General i.R. Ahmed Imtiaz. "Die Wahrnehmung tief in den Köpfen ist, dass dieser Krieg gegen den Terrorismus nur dem Interesse Amerikas dient, während das pakistanische Volk den Preis bezahlt." Der Hass gegen die USA sei auf einem "Allzeithoch".
Der Bildungsexperte Salim Ahmad meint, früher hätten Pakistaner vor allem die Sowjetunion für Fehlentwicklungen im eigenen Land verantwortlich gemacht. Nach dem Kollaps des Ostblocks sei nur noch ein Sündenbock übrig geblieben - Amerika. "Der Hass gegen die Vereinigten Staaten ist tief verwurzelt und er wächst Tag für Tag", warnt Ahmad. Längst nicht immer sei die Abneigung rational. "Wenn Sie mit einer Frau auf dem Markt sprechen, dann wird sie Obama für die gestiegenen Gemüsepreise verantwortlich machen."
Tanz auf dem Vulkan
Auch der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Islamabad, Babak Khalatbari, sagt: "Man dämonisiert die USA und nimmt sie als Kreuzritter wahr." Im Volk gebe es kein Verständnis mehr dafür, dass die Armee im Anti-Terror-Krieg mit Amerika kooperiere. "Für die Zivilregierung ist es ein Tanz auf dem Vulkan."
Denn die Regierung ist nach Ansicht von Experten auf die Milliardenhilfen der USA angewiesen. Doch auch diese Meinung teilen nur noch wenige Pakistaner. Nach jüngsten Regierungsschätzungen hat der Krieg gegen den Terrorismus - also das Bündnis mit den USA - seit Ende 2001 volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von 68 Milliarden Dollar für Pakistan verursacht, berichteten einheimische Medien vor wenigen Tagen. Die US-Unterstützung habe sich seitdem nur auf 15 bis 17 Milliarden Dollar belaufen. Mit der Finanzhilfe, so die Theorie, wolle Washington Pakistan in wirtschaftlicher Abhängigkeit halten.
"Ich hasse Amerika"
Clinton mag bei ihrem Blitzbesuch das beschädigte Verhältnis mit der pakistanischen Regierung flicken können. Ihr werde es aber nicht gelingen, die Stimmung im Volk zu drehen. Der Wirtschaftsstudent Mohammad Siddique von der renommierten Quaid-e-Azam-Universität in Islamabad sagt, seine Regierung sei ohnehin von Washington gekauft, und die USA seien die Wurzel allen Übels. "Ich glaube, dass die Amerikaner Pakistan zerstören und die muslimische Welt kontrollieren wollen", meint der 22-Jährige. "Ich hasse Amerika."
Autorin: Marion Linnenbrink (afp, dpa, rtr)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot