Mit extremen Nahaufnahmen ist der Fotograf Martin Schoeller bekannt geworden. Von Obama bis Merkel, von Clint Eastwood bis Herbert Grönemeyer - Stars und Politiker wollen von ihm fotografiert werden.
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"Close Ups": Extreme Nahaufnahmen von Martin Schoeller
Vor seiner Kamera sind sie alle gleich: Barack Obama, George Clooney, Drag Queens und Obdachlose. Martin Schoeller schaut jedem direkt in die Augen. In Berlin sind seine außergewöhnlichen "Close Ups" zu sehen.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Angela Merkel,2010 // Aje Unique Graham, 2015
Berühmt wurde Martin Schoeller, der in Frankfurt aufgewachsen ist, mit seinen seriellen "Close Ups". Egal ob Hollywoodstars wie Denzel Washington oder Meryl Streep oder prominente Politiker wie Barack Obama oder hier Angela Merkel: Für seine extrem nahen Portraits fotografiert er alle gleich, die Kamera auf Augenhöhe. Auch Obdachlose und Prostituierte setzt er so exponiert vor die Kamera.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Lars Eidinger, 2019
Der extrovertierte Schauspieler ist einer der angesagtesten Stars der Theater- und Filmszene in Deutschland. Martin Schoeller hat Lars Eidinger hier für eine Fotostrecke im Kundenmagazin der Deutschen Bundesbahn (DB Mobil) abgelichtet. Die Idee mit dem fiesen Glasauge stammt von Eidinger selbst, verrät Schoeller im Interview. Die Schlange gehört einem Berliner Reptilienfan – und ist lebendig.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
George Clooney, 2008
Statt Blitzlicht verwendet Schoeller weiches Neonlicht. Der Hintergrund ist schlicht, mal zart grau, mal weiß. Wer Spaß daran hat, darf sein Portrait mit inszenieren. Hollywood-Star George Clooney spielt mit der Maskierung des professionellen Schauspielers, der jederzeit ein Gesicht aufsetzen kann. Für Martin Schoeller zählt der kostbare "Augenblick einer kurzen Unbedachtheit", wie er das nennt.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Star-Portraits von Zidane (2006) und Cher (2010)
Porentief und hautnah: Bei den großformatigen Portraits seiner Close Ups sieht man jede Hautunebenheit, jeden Pickel, jede Sommersprosse. Retuschiert wird hinterher nichts. "Nur bei Nasenhaaren sind wir gnädig", verrät Martin Schoeller im Gespräch mit der DW. Der französische Fussballstar Zinédine Zidan (li). setzte sich - stark lädiert vom letzten Spiel - vor die Kamera.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Serielle Portraits "Close Up"
Auch deutsche Fussball-Prominenz wie Bundestrainer Jogi Löw (2.v.li.) saß bei Martin Schoeller vor der Kamera. Das Fotosetting, das auf nur wenigen Quadratmetern Platz findet, baut Schoeller mit seinem Team aus New York immer gleich auf. Die schwere Glasplatten-Kamera wird auf Augenhöhe des Gegenübers hochgeschraubt und millimetergenau positioniert. Die Gesichter wirken fast wie Landschaften.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Serie: "Female Bodybuilder"
Durch Zufall kam Martin Schoeller in Kontakt mit der US-amerikanischen Bodybuilder-Szene. Staunend registrierte er, wie hart und kräftezehrend vor allem die weiblichen Athleten vor den Wettbewerben trainieren mussten. "Ich war extrem fasziniert von diesen Frauen, die so ihre Muskeln aufbauen, dass sie nicht mehr unserem Schönheitsideal entsprechen." Bräunungsspray bringt die Muskeln zur Geltung.
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
Drag Queen Los Angeles
Die "Drag Queens" ist Martin Schoellers aktuellste Serie und als Arbeit noch nicht abgeschlossen. Im März 2020 fotografierte er in Berlin eine der bekanntesten Berliner Drag Queens. Wer es ist, verriet er nicht. Da ist er diskret: "Heutzutage leben Fotos ja im Netz für immer weiter. Und die Menschen machen sich Sorgen um ihr Image und haben Angst, dass es da peinliche Fotos gibt."
Bild: Martin Schoeller/Foto: Heike Mund/DW
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Diese porentiefen Nahaufnahmen fielen auf in der Fotoszene: Porträts, die jede Falte, jede Reliefnuance eines Gesichtes abbilden. Intime Momentaufnahmen, die auch von großem Vertrauen zum Mann auf der anderen Seite der Kamera erzählen. "Close Up" nennt der deutsche Fotograf Martin Schoeller seine eindrucksvollen Porträtfotos.
Großformatige Fotografien und auch noch nicht gezeigte, neue Arbeiten sind jetzt in der Berliner Fotogalerie Camera Work zu sehen, die sich der Fotokunst verschrieben hat. Eine klassische Eröffnung wird es wegen der Corona-Auflagen nicht geben. Ab dem 20.6.2020 ist die Bilderschau mit 40 Fotoarbeiten für das Publikum geöffnet. Alle Porträts können auch online in Ruhe betrachtet werden.
Steile Karriere in New York
Martin Schoellers Entschluss, 1993 nach New York zu ziehen, war folgenreich: Drei Jahre lang arbeitete er als Assistent für Starfotografin Annie Leibovitz. Mit ihr und ihrem Team reiste er um die Welt und lernte viele Stars aus der Film- und Musikbranche kennen. Der junge Mann mit den auffälligen Dreadlocks eignete sich schnell alle Finessen der professionellen Fotografie an, die den künstlerischen Fotografen vom reinen Techniker unterscheiden. Das Handwerk guter Fotografie hatte er von der Pike auf beim Berliner Lette-Verein gelernt.
Schon bald ging der junge Deutsche eigene Wege. Als freier Profi-Fotograf in den USA suchte er seinen persönlichen Stil, bot seine Ideen verschiedenen Redaktionen an. "Am Anfang haben die Redakteure meine Close-Ups gar nicht verstanden", erzählt Schoeller im DW-Interview. "In der Zeit habe ich vor allem Freunde fotografiert. Bis ein Fotoredakteur mir mal einen Fototermin, ein Shooting mit Vanessa Redgrave, gab."
Dieses Shooting katapultierte ihn von einem Tag auf den anderen in eine andere Liga. "Das ging dann los wie eine Lawine. Da hatte ich 1999 auf einmal 127 Jobs, das war schon überwältigend. Geschlafen habe in der Zeit im Durchschnitt vier Stunden, weil es einfach so viel Arbeit war." Schoeller staunt selbst heute noch über seinen rasanten Karrierestart.
Klare Haltung, keine Starallüren
Inzwischen kann der international gefragte Fotograf alles gelassener angehen. Ein zuverlässiges Team von Mitarbeitern und Assistenten arbeitet ihm zu und bereitet die Fotoshootings extrem professionell vor. Aber wenn die zahlreichen Lampen- und Kamerakoffer verladen werden, packt Schoeller auch selbst mit an. Starallüren kennt der 52-jährige Deutsche nicht. Humor gehört für ihn dazu, um die Präzision für die Profiarbeit aufzubringen.
Geboren wurde Martin Schoeller 1968 in München, aufgewachsen ist er in Frankfurt am Main. Sein Vater war der bekannte TV-Journalist und Literaturkritiker Wilfried F. Schoeller (1941-2020). Seine Schwester Bettina ist Regisseurin. Kunst und Literatur gehörten zum Familienleben.
Martin interessierte sich für Fotografie. Was er an der Berliner Lette-Schule gelernt hat, ist bis heute sein Fundament. Die seriellen Arbeiten von August Sander und Bernd und Hilla Becher prägten nachhaltig sein Denken und seine Sichtweise auf die Fotografie als Kunstform. Erstklassiges Handwerk eben. "Anfangs habe ich gedacht: Warum immer die gleichen Wassertürme? Bis ich begriff, dass ich mich an jedes einzelne Detail erinnern konnte", erzählt er mit Bewunderung in der Stimme.
"Survivors": Gesichter wie Seelenlandschaften
Die Falten der Erinnerung sind tief eingegraben, das Erlittene hat seine Spuren hinterlassen. 75 Überlebende des Holocaust, die alle in Israel leben, haben sich vor die Kamera von Starfotograf Martin Schoeller gewagt.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Hannah Goslar-Pick, Jg. 1928
Hannah wurde 1928 in Berlin geboren. Nachdem die Anfeindungen gegen Juden und die öffentlichen Repressalien in Nazi-Deutschland unerträglich wurden, zog ihre Familie in die Niederlande, nach Amsterdam. Aber auch dort konnten sie der Judenverfolgung nicht entkommen. Sie wurde verhaftet und ins Durchgangslager Westerbork abtransportiert. Von dort deportierte sie die SS ins KZ Bergen-Belsen.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Baruch Shu, Jg. 1924
Baruch Shu stammt aus Vilnius. Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Stadt zu Polen, heute ist sie Teil von Litauen. Das Ghetto von Vilna überlebte Shu, weil er in die polnische Untergrundbewegung ging und mit den Partisanen gegen die Nazis kämpfte. Er fühlt sich verpflichtet, der heutigen Generation immer wieder vom Holocaust zu erzählen - damit die Erinnerung für die Zukunft erhalten bleibt.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Lily Gombash, Jg. 1930
Lily wurde in in Zagreb in Jugoslawien geboren. Heute gehört die Stadt zu Kroatien. Sie hat viel durchgemacht und überlebte als weiblicher KZ-Häftling mit knapper Not die Torturen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Heute beklagt sie, dass es soviel Hass in der Welt gäbe. Sie wünscht sich und allen Menschen ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Ester Hurwitz, Jg. 1919
Die alte Dame mit den feuerroten Haaren stammt aus Deutschland und lebt heute in Israel - wie alle Holocaust-Überlebenden, die Martin Schoeller für das Projekt "Survivors" fotografiert hat. 1919 wurde sie in Düsseldorf geboren. Später zog die Familie nach Polen. Von dort wurde ihre Mutter zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verschleppt. Ester wurde von deutschen Christen versteckt.
Batsheva (links) wurde in Lodz in Polen geboren. Sie überlebte das Ghetto von Warschau und arbeitete unter falschem Namen bei einer Nazi-Familie in Schweina. Aber sie wurde entdeckt und ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Moshe Trossmann wurde ebenfalls in Polen geboren, in Rokitna. Er konnte kurz vor der Liquidierung des Ghettos fliehen und schloss sich einer Partisanengruppe an.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Aus allen Ländern Europas
Alle Holocaust-Überlebenden, deren großformatige Portraitfotografien zur Zeit in der Ausstellung "Survivors" in der Zeche Zollverein in Essen hängen, leben heute in Israel. Dort fühlen sie sich sicher, haben eine neue Heimat gefunden. Damals kamen sie aus allen Ländern Europas: aus Griechenland, Italien, Jugoslawien und Russland, aus Bulgarien, Rumänien, Polen und auch aus Deutschland.
Bild: Martin Schoeller, NY/Foto: DW/H. Mund
Martin Schoeller, Jg. 1968 Fotograf mit Tiefgang
Die intensive Portraitarbeit mit den zum Teil hochbetagten Holocaust-Überlebenden sei für ihn das emotional bewegendste Projekt, das er je fotografiert habe, erzählt Martin Schoeller. Für ihn als Deutschen, der in New York lebt, war sein Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem eine wichtige Einstimmung auf das "Survivors"-Projekt. Das Fotoshooting fand in Yad Vashem statt.
Bild: DW/H. Mund
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Reporter für den "New Yorker"
Der Termin für ein Fotoshooting mit Tony Hawk, mehrfacher Skateboard-Weltmeister und YouTube-Star - übrigens derselbe Jahrgang wie Schoeller - bescherte dem jungen Fotografen aus Deutschland einen festen Vertrag beim Magazin "The New Yorker". "Da war ich dann 13 Jahre als Fotograf angestellt", erinnert er sich im Interview.
Inzwischen sind seine Close-Ups von Prominenten auf den Titelseiten der internationalen Magazine zu finden: von "Time" bis "Vanity Fair", von der "New York Times" über den "Stern" bis zum Musikmagazin "Rolling Stone". 2000 wurde er vom "Life"-Magazin als "Best Talent" ausgezeichnet.
Martin Schoeller reist ständig rund um den Globus, um seine Shootings und auch eigene Projekte zu realisieren. Und regelmäßig arbeitet er als Fotoreporter für die populärwissenschaftliche Zeitschrift "National Geographic", die ihm seine Projektarbeit "Identical" ermöglichte. Neben den lukrativen Engagements gehört für ihn soziales Engagement dazu: Die Erlöse für die Porträts von Obdachlosen und Transgender-Frauen spendet er großzügig.
International gefragt
Seit 15 Jahren sind seine Arbeiten in Ausstellungen zu sehen. Die erste zeigt 2005 die Galerie Camera Work in Berlin, die ihn als Künstler exklusiv in Deutschland vertritt. Später kamen Museen und Galerien in New York, Boston und Beverly Hills dazu. Seit 20 Jahren managt Anke Degenhard, Agentin, Kuratorin und Spezialistin für zeitgenössische Fotografie, seine Fotoausstellungen. Oft findet sie mit Gespür genau den passenden Ort für seine Arbeiten, wie die ehemalige Koksmischanlage auf der Zeche Zollverein.
2020 ist Martin Schoeller in Deutschland gleich mit drei Ausstellungen vertreten: Auf der Zeche Zollverein in Essen mit "Survivors", für die er in enger Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Yad Vashem 75 Holocaust-Überlebende in Israel fotografiert hat. Das NRW-Forum in Düsseldorf zeigt noch bis Juli 2020 seine Werkschau. Die Galerie Camera Work in Berlin stellt neben Bekanntem auch ganz neue Arbeiten, unter anderem von Herbert Grönemeyer, aus.
Werkschau in Düsseldorf
Das vielleicht wichtigste Projekt des engagierten Fotografen ist derzeit im NRW-Forum in Düsseldorf zu sehen: Porträts von Todeskandidaten, die viele Jahre unschuldig in US-Gefängnissen saßen - und zum Teil im letzten Moment vor der Hinrichtung freigesprochen wurden. Gesichter, in die sich eine harte persönliche Geschichte eingegraben hat.
Es dauerte lange, bis der Fotograf, der in New York lebt und arbeitet, dafür Vertrauen bei den Protagonisten aufbauen konnte. Aber was in diesen eindrucksvollen Porträts von Schoeller zu sehen ist, geht weit über gängige Porträtfotografie hinaus. Es sind Lebenslinien, die er dort eingefangen hat.
Die neuen Fotografien, die er in der Berliner Ausstellung bei Camera Work ausstellt, haben eine ähnliche Anmutung. Prominente deutsche Künstler, Filmemacher und Musiker wie Urgestein Udo Lindenberg und Herbert Grönemeier tragen deutlich ihre Lebensgeschichte(n) im Gesicht.
Vor allem Campino, dem Frontsänger der Düsseldorfer Punkband "Die Toten Hosen", sieht man an, dass seine exzessiven Konzertauftritte und der jahrelange Punk auf der Bühne tiefe Spuren in seinem Gesicht hinterlassen haben. Schoeller hat sie behutsam eingefangen.