"Cloud Atlas": Deutsches Kino der Superlative
13. September 2012"Immer das Gleiche", murmelt Tom Tykwer in den Nachthimmel von Toronto. Er meint die Fragen der Journalisten, die ihn schon den ganzen Tag belagern. Auch in seiner Filmwelt hat er dem "ewig Gleichen" den Kampf angesagt, mit "Cloud Atlas" mehr denn je.
Dabei hatte er prominente Unterstützung. Die "Matrix"-Macher Lana und Andy Wachowski führten mit ihm Regie und die Liste der Schauspieler liest sich wie der Weihnachts-Wunschzettel von Steven Spielberg: Tom Hanks, Halle Berry, Susan Sarandon, Hugh Grant und viele mehr.Hinter so einer Besetzung vermutet der Kritiker schnell den altbewährten Einheitsbrei, den Hollywood so gerne serviert, um ja die Kosten wieder einzuspielen. Tykwer will es anders und traut dem Publikum damit viel zu.
"Ich hab einfach das Gefühl, dass es ein großes Bedürfnis nach Originalität im Erzählerischen gibt", erklärt er am Rande eines weiteren Empfangs, "und dass es ein Publikum gibt, das sich unterfordert fühlt im Gegenwartskino."
Von Unterforderung kann schon bei der Vorlage, dem gleichnamigen Buch von David Mitchell keine Rede sein. Sein Werk erzählt sechs verschiedene Geschichten aus sechs verschiedenen Zeiten, vom 19. Jahrhundert bis in eine ferne Zukunft. In allen Geschichten geht es um Unterdrückung und Auflehnung in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen.
Ein unverfilmbarer Stoff
Zudem sind die welt- und zeitumspannenden Handlungsstränge auch noch miteinander verknüpft: durch ein überliefertes Tagebuch, Liebesbriefe, einen Film oder ein Hologramm.
Das Buch bekam schnell den Stempel "unverfilmbar" aufgedrückt. Tykwer gibt zu, dass es eine Herausforderung war, "dafür eine filmische Übersetzung zu finden, die irgendwie plausibel ist, einfach nur durchs Gucken."
Der Durchbruch für das Regieteam war die Idee, die Hauptdarsteller verschiedene Rollen übernehmen zu lassen, eine in jeder der sechs Zeiten. So spielt Tom Hanks unter anderem einen kriminellen Arzt, einen irischen Gangster-Schriftsteller und den Vertreter einer primitiven postapokalyptischen Kultur.
Lob von einem der Größten
Neben dieser riesigen Herausforderung war für Hanks der wichtigste Aspekt, mit Leuten zusammen zu arbeiten, mit denen er sonst nie die Gelegenheit bekommen hätte, erzählt er der Deutschen Welle auf dem Roten Teppich in Toronto, "und das auch noch in einer Stadt, die wirklich weiß, wie man Filme macht."
Gemeint sind Berlin und das Studio Babelsberg in Potsdam, wo – neben Schottland und Mallorca - das Gros des Films produziert wurde. Am Ende steht ein Werk, das viel vom Zuschauer erwartet, fast drei Stunden lang und mit ständigen Wechseln zwischen den Geschichten und Zeiten.Tykwer sitzt in einem Sessel, mitten in einem Theatersaal, und rund um ihn herum stehen rund 2000 begeistert klatschende Zuschauer. Toronto hat die Premiere von "Cloud Atlas" offenbar gefallen - eine Bestätigung des deutschen Regisseurs in seinem Kampf für mehr Mut beim Filmemachen, auch wenn Budgets wie das dieser bisher größten deutschen Koproduktion viel Raum zum Scheitern lassen.
Warten auf den Kinostart
"Die größte Angst die man hat, ist, dass es sich nicht vermittelt", so Tykwer, "aber in dem Moment, wo nur einer für sich selber was daraus machen kann, ist der Film eigentlich schon gelungen."
Die Angst scheint angesichts des Erfolgs in Toronto unbegründet, aber: Es ist eben immer etwas anderes, wenn man einen Film auf einem Festival zeigt. An der Kinokasse muss "Cloud Atlas" ab dem US-Start am 26. Oktober erst noch funktionieren. Viele Zuschauer werden wegen der Stars kommen und klassische Hollywood-Kost erwarten. Sie werden überrascht sein, denn eines ist der Film bestimmt nicht: "Immer das Gleiche".