Vier Jahrzehnte für den Fußball
4. April 2015Colin Bell ist ein Mann, der gute Geschichten liebt. Kaum habe ich mich gesetzt, tischt mir der 53-Jährige eine seiner Lieblingsstories auf: "Als ich etwa zehn Jahre alt war, spielte Manchester City auswärts gegen Leicester City. Meine Mum und ich fuhren mit dem Bus hin. Wir waren die ersten im Stadion. Die Spieler kamen aus den Kabinen, um den Zustand des Spielfelds zu inspizieren. Ich sah Colin Bell, doch ein Polizist sagte mir, ich müsse bis nach dem Spiel warten, um ein Autogramm von ihm zu erhaschen. Also wartete ich nach dem Abpfiff vor dem Stadion. Da standen jede Menge Jungs und Polizisten herum. Nach einer Weile sagte Mum zu mir: Komm‘, wir gehen! Hier passiert nichts mehr. Aber ich wollte unbedingt mein Autogramm, also warteten wir. Was ich jetzt erzähle, ist wirklich geschehen: Einer der Polizisten trat zur Seite, ich sprintete durch die Lücke zum Bus. Zum Glück saß Colin ganz vorne und ich bekam mein Autogramm. Der Bus fuhr an, die anderen Kids riefen aufgeregt: Da ist ein Junge im Bus! Meine Mutter sagte nur: Ja, meiner."
Eine kuriose Geschichte aus einer lange zurückliegenden Epoche des Fußballs: Die Manchester-City-Legende Colin Bell war nicht der einzige Colin Bell an diesem Tag auf der Filbert Street. Der Junge, der auf der Jagd nach einem Autogramm zum Bus lief, trug nicht nur denselben Namen wie der frühere englische Nationalstürmer, sondern wurde schließlich, wie sein Vorbild, selbst Profifußballer.
Im Cadillac nach Deutschland
Bell hat genug Abenteuer erlebt, um selbst den abgebrühtesten Medienprofi mit seinen Fußball-Geschichten noch verblüffen zu können: Wenn er erzählt, wie er seinen Helden und Namensvetter auf den Seiten eines Fußballmagazins entdeckte, das er zufällig in einem Friseurladen durchblätterte. Wie er Kapitän und dann auch Trainer der Leicester Beavers wurde, weil der Schullehrer, der die Mannschaft normalerweise betreute, einen Autounfall hatte. Oder wie er als Spieler Vertragsangebote aus Neuseeland, Australien und Finnland ausschlug, um nach Deutschland zu fahren, in einem Cadillac mit einem deutschen Spielervermittler namens Willy, der kein Wort Englisch sprach. Willy sah während der Fahrt immer auf die Karte und rief ständig: "Pass auf!" Bell, der damals noch kein Deutsch sprach, hielt das für eine Beleidigung.
Englischer Fußball-Pionier in Deutschland
Als Spieler führte Bells Weg 1982 zunächst zum VfL Hamm. Seine beste Zeit erlebte er jedoch zwischen 1987 und 89 beim FSV Mainz 05, mit dem er in die 2. Liga auf- und direkt wieder abstieg. Noch während seiner aktiven Karriere wurde Bell der erste Engländer, der sein Trainerabzeichen in Deutschland machte. Beim 1. FC Köln wurde er Assistent des, so Bell, "völlig unterschätzten Trainers" Lorenz-Günther Köstner. In allen Jugendmannschaften des Vereins, führte Bell das 4-4-2-System ein, damals eine kleine Revolution. In der U14 spielte auch Lukas Podolski. Als sich die beiden kürzlich bei einem Spiel der FC-Traditionself wiedertrafen, sagte der deutsche Nationalstürmer: "Mr. Bell! Wissen Sie noch? Die Viererkette!"
Der Glaube half
Nach mehreren Trainerstationen landete Bell schließlich wieder beim FSV Mainz 05, wo er die U23 betreute. "Ich liebe Mainz. Das ist mein Verein in Deutschland", sagt Bell. Mit der zweiten Mannschaft des Clubs gewann er viermal in Serie den Südwestpokal und qualifizierte sich damit jeweils für den DFB-Pokal, Rekord für ein Amateurteam eines Profiklubs. Das alles gelang Bell im Schatten Jürgen Klopps, der damals die erste Mannschaft der Mainzer trainierte. In jener Zeit änderte sich Bells Leben. Er fand zum Glauben. Am Tag vor einem Trainingslager in der Türkei wurde er als Trainer der Mainzer U23 entlassen. Obwohl es Bell das Herz brach, seinen geliebten Verein verlassen zu müssen, nutzte er seine neu gewonnene Fähigkeit zu vergeben.
Die wurde auch bei seinem nächsten Club Preußen Münster auf die Probe gestellt. Seine Zeit dort endete abrupt, als er mit einem Hörsturz im Krankenhausbett lag. Damals, so Bell, sei er über einen Bibelvers aus dem Matthäus-Evangelium gestolpert: "Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken." Das sei ein weiterer Moment gewesen, in dem ihm klar geworden sei, dass für ihn der Fußball die richtige Heilmethode sei und er durchhalten müsse, sagt Bell. Nach drei Monaten ohne Job führte ihn sein Weg zum Arbeitsamt, voller Sorge, dass er sich zwar von einem unerschütterlichen Glauben leiten lasse, aber unbelohnt bleiben könnte.
Erst das Interview, dann der Job
Schließlich wurden seine Gebete erhört. Nach dem WM-Spiel 2006 zwischen England und Paraguay gab Bell auf dem Frankfurter Hauptbahnhof ein Interview. Auf der Heimreise klingelt sein Telefon gleich doppelt: zwei Stellenangebote. Bell unterschrieb einen Vertrag als Leiter der Jugendabteilung der TuS Koblenz, für die er schon zu Beginn seiner Trainertage gearbeitet hatte. Der Start verlief holprig. Die Fans lehnten Bell zunächst ab. Als er den Verein schließlich 2011 verließ, jubelten ihm Tausende zum Abschied zu. Er habe den Leuten gezeigt, dass er sich als Person weiterentwickelt habe, sagt Bell. Diese Fähigkeit habe es ihm schließlich auch erlaubt, zum Frauenfußball zu wechseln.
Meisterschaft und Champions-League-Triumph?
In der laufenden Saison haben Bell und sein 1. FFC Frankfurt noch die Chance auf zwei Titel. In der Tabelle der Bundesliga liegen die Hessinnen auf Platz drei, vier Punkte hinter Spitzenreiter Bayern München, bei einem Spiel weniger als die Münchenerinnen. In der Champions League stehen die Frankfurterinnen nach zwei deutlichen Siegen gegen Bristol Academy (5:0, 7:0) im Halbfinale. Im DFB-Pokal scheiterten sie als Titelverteidigerinnen in der Runde der letzten Vier an Turbine Potsdam.
Nach seiner langen Entwicklung über den Fußball als Fan, Spieler und Trainer würde es zu Bell passen, wenn er auch im Frauenfußball Erfolg hätte - in einem Bereich des Sports, über den noch niemand redete, als der zehn Jahre alte Colin Bell auf den Mannschaftsbus von Manchester City sprang.