Mit Florian Gallenberger versucht sich erneut ein deutscher Filmemacher an der Geschichte dieser grausamen Siedlung in Chile. Nach der Weltpremiere in Toronto ist "Colonia Dignidad" jetzt auch in Deutschland zu sehen.
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Nein, es war nicht allein Paul Schäfer, der die Colonia Dignidad, 400 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile, möglich machte. Die Schreckensherrschaft in der 1961 gegründeten Siedlung deutscher rechtsextremer Emigranten verfügte über viele Anhänger in Chile und in Deutschland.
"Es ist erstaunlich, dass die Colonia Dignidad in den Medien so nah am Tatsächlichen beschrieben wurde, und so wenig Übertreibung, Phantasie und Gruseliges hinzugefügt wurde. Vielleicht lag das daran, dass die Realität nur noch schwer zu übertreffen war", schrieb der Fernsehjournalist Gero Gemballa bereits 1998 in seinem Buch "Colonia Dignidad".
Gemballa beschreibt darin ein Geflecht aus deutschen, chilenischen und internationalen Wirtschafts- und Geheimdienstinteressen. Er beklagt die aktive Komplizenschaft bei Folter und Mord von Gegnern des Pinochet-Regimes. Diese Komplizenschaft habe die Colonia Dignidad ("Kolonie der Würde") unantastbar gemacht.
Regisseur Florian Gallenberger hat diese harte Geschichte für die Leinwand aufbereitet. Weltpremiere hatte der Film "Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück" beim 40. Internationalen Filmfest in Toronto (10.-20.09.2015). Am Donnerstag (18.2.2016) startet der Film auch in den deutschen Kinos.
Politische Lobby in Bayern
Schäfer und seine Mitstreiter konnten damals auch in Deutschland mit politischer Unterstützung rechnen. Insbesondere die CSU zeigte sich beeindruckt von der Verbundenheit mit dem bayerischen Brauchtum in den fernen Anden. Der Kommunalpolitiker Wolfgang Vogelsgesang besuchte die Colonia zwischen 1978 und 1982, und auch der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß machte der Kolonie seine Aufwartung.
"Staat im Staate"
Die Regierung Chiles versuchte nach dem Ende der Diktatur 1990 die Existenz der Kolonie zu beenden. Für den damaligen Präsidenten Patricio Aylwin, der den Übergang zur Demokratie einleitete, war die 300 Quadratkilometer große abgeschottete Siedlung ein "Staat im Staate". 1991 entzog seine Regierung der Kolonie den Status der Gemeinnützigkeit, sie verlor das Privileg der Steuerfreiheit, und löste sie damit formal auf.
Doch in der Praxis existierte die Kolonie weiter, auch ohne ihre Gründerväter. Selbst nach der Festnahme und Verurteilung von Paul Schäfer, Gerhard Mücke, Kurt Schnellenkamp und Gerd Seewald lebten auf dem riesigen Gelände, das fast so groß wie das Bundesland Bremen ist, immer noch über 100 Bewohner.
Späte Reue
2006 bekannten die Bewohner in einer öffentlichen Erklärung ihre Mitschuld an der Schreckensherrschaft: "Wir tragen die Schuld, dass wir uns nicht gegen den despotischen Leiter erhoben haben; die Schuld, dass auf unserem Grundstück Menschen ungesetzlich festgehalten wurden, von denen einige umgebracht worden sein sollen und deren Leichen verschwunden sind", heißt es in dem Schreiben, das im April 2006 in der chilenischen Presse veröffentlicht wurde.
Schauriger Tourismus
Mittlerweile hat die Kolonie ihre Pforten geöffnet und wirbt sogar um auswärtige Besucher. Als "Villa Baviera", bayerisches Dorf, wollen sich die Bewohner eine neue Existenz aufzubauen. Alpine Folklore und bayerisches Brauchtum sollen einheimische Besucher, aber auch Touristen aus ganz Chile und Lateinamerika anziehen.
"Die Idee ist, dass die Villa Baviera sich mittelfristig in ein kleines deutsch-chilenisches Dorf mit freiem Zugang verwandelt", erklärte kürzlich Anna Schnellenkamp in einem Radio-Interview. Die Tochter des verhafteten Mitbegründers Kurt Schnellenkamp setzt auf Tourismus und Offenheit: "Die Villa Baviera soll nie wieder abgeschlossen werden, wie das früher mal war".
2012 wurde auf dem Gelände das "Hotel Baviera" eröffnet. In der kleinen Stadt Bulnes betreibt die Colonia zudem ein deutsches Restaurant. Anna Schnellenkamp will auch ein Museum eröffnen, das die grausame Vergangenheit in der Colonia Dignidad aufarbeitet, ein Projekt, das bei vielen Bewohnern allerdings noch umstritten ist.
Colonia Dignidad - Kolonie des Verbrechens
Von dem Namen "Colonia Dignidad" geht noch immer eine finstere Anziehungskraft aus. Im Süden Chiles wurden Gegner des Pinochet-Regimes gefoltert und getötet. Nun entsteht dort "Villa Baviera", ein bayerisches Dorf.
Von Wohltätigkeit keine Spur
"Gesellschaft für Wohltätigkeit und Erziehungsanstalt der Würde" - so lautet der ausführliche Name für die abgeschottete Siedlung Colonia Dignidad im Süden Chiles. Die Sekte wurde 1961 von dem deutschen evangelikalen Jugendarbeiter Paul Schäfer aus Bonn gegründet und diente während der Militärdiktatur in Chile (1973 - 1990) als Folterzentrum.
Bild: picture-alliance/dpa
Der gute "Onkel Paul"
In den 1950er Jahren misshandelte Paul Schäfer Kinder einer Baptistengemeinde in Deutschland. Als die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnahm, floh er nach Chile und gründete dort 1961 die Sekte Colonia Dignidad. Die zum Teil aus Deutschland entführten Kinder mussten Zwangsarbeit leisten und wurden sexuell missbraucht. "Onkel Paul" unterhielt gute Beziehungen zu rechtsextremistischen Kreisen.
Bild: dpa - Bildfunk
Herr über Leben und Tod
In der Colonia wurden Regimegegner der Militärdiktatur gefoltert und ermordet, Kinder mit Elektroschocks gequält und missbraucht. Nach dem Ende der Diktatur 1990 flüchtete Schäfer vor der Justiz und tauchte unter. 2005 wurde er in Buenos Aires verhaftet und ein Jahr später wegen Missbrauchs in 25 Fällen verurteilt. Am 24. April 2010 starb er im Gefängnis von Santiago de Chile.
Bild: picture-alliance/AP Photo/N. Pisarenko
Wo sind unsere Kinder?
Am 5. Mai 1988 demonstrierten Angehörige von Jugendlichen, die in der Colonia Dignidad festgehalten worden waren, vor der Siedlung. Sekten-Gründer Schäfer gab vor, dort eine urchristliche Gemeinschaft aufbauen zu wollen. In Wirklichkeit wurde die Kolonie während der Diktatur von General Pinochet zu einer Filiale des chilenischen Geheimdienstes Dirección Nacional de Inteligencia (DINA).
Bild: dpa
Stippvisite beim Diktator
Der ehemalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauss (l.) pflegte nicht nur gute Beziehungen zu Chiles Diktator Augusto Pinochet (r.), den er im November 1977 besuchte. Er war auch ein gern gesehener Gast in der Colonia Dignidad. Dort hing bis Mitte der 1990er Jahre am zentralen Bau der Siedlung ein signiertes Porträt von dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten.
Bild: picture alliance/UPI
Pinochet geht, die Kolonie bleibt
Für Chiles Ex-Präsident Patricio Aylwin (1990-1994) war die Colonia Dignidad "ein Staat im Staat". Als erstes Staatsoberhaupt nach dem Ende der Diktatur (im Bild rechts mit Pinochet) bemühte er sich um einen ordnungsgemäßen Übergang zur Demokratie und verfolgte die Schließung der Enklave. 1991 entzog er der Organisation den Status der Gemeinnützigkeit.
Bild: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile
Späte Sühne
Seit 2013 sitzt auch Kurt Schnellenkamp, Mitbegründer der Colonia, in Haft. Der 88-Jährige wurde von der chilenischen Justiz wegen Freiheitsberaubung Minderjähriger und sexuellem Missbrauch verurteilt. Sein Sohn Klaus, der aus der Siedlung floh, veröffentlichte 2007 unter dem Titel "Geboren im Schatten der Angst" ein umfassendes Dokument über seine Jugend in der Sekten-Siedlung.
Bild: Reuters
Noch immer auf freiem Fuß
Die Gnade der deutschen Justiz scheint grenzenlos: Der frühere Vize-Chef der Colonia und Krankenhausarzt der Siedlung, Hartmut Hopp, floh nach einem Urteil der chilenischen Justiz 2011 nach Deutschland. Obwohl er mit einem internationalen Haftbefehl gesucht wird, soll er nach Medienberichten unbehelligt in Krefeld leben, weil Deutschland keine Landsleute ausliefert.
Bild: picture alliance/dpa
Ausflug in die Vergangenheit
Noch immer leben auf dem über 30.000 Hektar großen Gebiet in der Nähe der südchilenischen Stadt Parral ehemalige Colonia-Bewohner. Die Schlafsäle, wo früher Männer, Frauen und Kinder getrennt schliefen, wurden in Wohnungen umgewandelt, in denen jetzt Familien leben.
Bild: dpa - Bildfunk
Willkommen im Reich des Schreckens
Unfassbar, aber wahr: Nach dem Ende der Schreckensherrschaft in der Colonia Dignidad wollen die Bewohner ihre Siedlung touristisch vermarkten. In der neuen "Villa Baviera" gibt es Jeep-Touren, Oktoberfest und Pläne für ein Museum, das die dunkle Vergangenheit zeigen soll. Doch der Widerstand gegen den wundersamen Wandel zum Eventdorf in den Anden wächst.
Bild: Archivo Villa Baviera
Hinter den Mauern der "Villa Baviera"
Die Suche geht weiter. 2005 gab Chiles Justiz ein Geheimarchiv der Colonia Dignidad frei, die nun unter dem Namen "Villa Baviera" firmiert. Das Archiv wurde auf dem Gelände der Siedlung gefunden und enthält rund 39.000 Karteikarten über Personen. Menschenrechtsgruppen erhoffen sich davon weitere Angaben über das Schicksal der Verschwundenen der Pinochet-Diktatur.
Bild: AP
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Opfer fühlen sich verhöhnt
Bei den Opfern und ihren Angehörigen stößt der Trend zum Tourismus auf Ablehnung. Eine Stippvisite in die ehemalige Folterkammer des Pinochet-Regimes, abgerundet mit bayerischer Folklore, das kommt für viele einer Verhöhnung ihrer Leiden gleich.
Opfer-Anwalt Winfried Hempel, der selbst in der Kolonie aufwuchs und 1997 floh, kritisiert die Tourismus-Idee von Bewohnerin Anna Schnellenkamp. Außerdem will der deutsch-chilenische Rechtsanwalt Chile und Deutschland verklagen. Beide Staaten hätten der Schreckensherrschaft Schäfers früher ein Ende setzen sollen. Stattdessen schauten sie weg und ließen Schäfer und seine Helfershelfer gewähren. Die Würde eines Menschen war in der "Kolonie der Würde" nichts wert.