"Islam muss offen sein für Diskussion"
27. März 2017Der Journalist Constantin Schreiber hat sich in mehreren Moscheen in verschiedenen Teilen Deutschlands 13 Freitagspredigten auf Arabisch und Türkisch angehört. Anschließend hat er sie übersetzen und von renommierten Islamwissenschaftlern analysieren und deuten lassen. Er hat auch das Gespräch mit den Imamen, die die Predigten hielten, gesucht. Die Ergebnisse hat er in seinem dieser Tage erscheinenden Buch "Inside Islam" veröffentlicht.
DW: Herr Schreiber, was hat Sie veranlasst, ein Buch über Freitagspredigten in deutschen Moscheen zu schreiben?
Constantin Schreiber: Ich war im vergangenen Jahr eher zufällig bei einem Freitagsgebet in einer Moschee in Deutschland. Vorher war ich natürlich schon des Öfteren in Moscheen - im Ausland ebenso wie in Deutschland, aber noch nie bei einer Freitagspredigt. Mein damaliger Arbeitgeber bat mich, in einer deutschen Moschee zu drehen. In der Moschee stieß ich auf merkwürdige Broschüren mit anti-demokratischem Inhalt. Darauf folgte dann ein eigenartiges Gespräch mit dem Imam. Schließlich stellte sich ein Moscheebesucher selbst noch als "Islamist" vor. Es waren also merkwürdige Erfahrungen, die mich dazu angeregt haben, mir in einer ganzen Reihe von deutschen Moscheen Freitagspredigten anzuhören.
Die Auswahl der Moscheen erfolgte nach keiner Systematik. Einen Anspruch auf Repräsentativität stellen Sie nicht. Dennoch: Was ist Ihr Gesamteindruck von diesen Predigten?
Die türkischen Predigten, die ich gehört habe, waren immer politisch - teils offensichtlich, teils etwas subtiler, so dass man etwas recherchieren musste. Aber es gab immer einen politischen Kontext. Die arabischen Predigten hingegen waren eher spirituell-theologisch, dabei aber konservativ in der Ausrichtung. Alle aber warnten vor den Gefahren des Lebens in Deutschland.
Worin äußerte sich dieser konservative Charakter?
Ich hatte erwartet, dass es eine gewisse ideologische Bandbreite geben würde, ein ideelles Spektrum, innerhalb dessen die Imame sich äußern. Darin hätten natürlich auch liberalere Töne eingeschlossen sein können. Diese habe ich aber gar nicht entdeckt, und das hat mich schon verwundert - zumal es das Jahr 2016 war, in dem ich diese Predigten gehört habe. Unzählige Deutsche haben sich für arabische Flüchtlinge eingesetzt. Es hat islamistisch motivierte Terroranschläge gegeben, die Muslime und Nicht-Muslime gleichermaßen betrafen. Man hätte also sehr leicht auf das Gemeinsame eingehen können, anstatt das Trennende zu betonen. Dass das nicht der Fall war, hat mich schon überrascht.
Liest man die Predigten, die Sie in Ihrem Buch veröffentlicht haben, erstaunt doch, dass einige der Imame ihre Zuhörer in einen fast schon märchenhaften Orient versetzen. So veranschaulicht ein Imam seine Beispiele anhand von Datteln und Kamelen. Wie bewerten Sie das?
Das trägt dazu bei, dass zumindest Teile des Islams hier nicht ankommen. Man könnte die Predigten ja auch auf das Leben in Deutschland oder Europa beziehen. Aber genau darauf verzichten die meisten Imame. Das zeigte sich auch in den Gesprächen mit ihnen. Unter "Heimat" verstanden sie die Türkei oder Ägypten, aber niemals Deutschland. Auf meine Frage, ob er Kontakt zu Deutschen habe, antwortete ein Imam, ja, er habe auch Kontakt zu seinen ausländischen Mitbürgern. Für ihn waren also die Deutschen in Deutschland die Ausländer. Dieser Ansatz setzt sich auf verschiedenen Ebenen fort: Mal wird Deutschland explizit abgelehnt, mal werden die Zuhörer in einer ganz anderen Welt gehalten.
Dies ist etwa der Fall, wenn einer der Imame vor den kulturellen Gefahren durch Weihnachten warnt. Muslime, so die Botschaft, dürften sich diesem Fest nicht öffnen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Ich empfinde das als recht niederschmetternd. Vor allem auch darum, weil diese Predigt in der Woche nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt gehalten wurde. Der Anschlag wird verklausuliert erwähnt: Es habe einen Vorfall gegeben, Menschen wurden getötet und nun werde versucht, gegen den Islam vorzugehen. Es wird gar nicht explizit von einem Anschlag gesprochen. Stattdessen erklärt der Imam, die größte aller Gefahren gehe von Weihnachten aus. In dieser Konstellation empfand ich das als eine Verhöhnung der Opfer und auch eine Verhöhnung der anschließenden Sicherheitsdebatten.
Sie haben nach jeder Predigt, die Sie gehört haben, den Kontakt zu den Imamen gesucht. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Eine Gesprächsanfrage wurde offen verweigert, mehrere Imame haben das Interview so lange hinausgezögert, bis es de facto zu spät war. Das ist per se nichts Ungewöhnliches: Niemand ist verpflichtet, ein Interview zu geben. Das kennen wir Journalisten ja auch aus ganz anderen Zusammenhängen. Ich wollte den Imamen die Möglichkeit geben, sich zu erklären. Sie hätten mir ihre Texte auf diese Weise erklären können. Vielleicht meinten sie ja etwas ganz anderes als das, was ich verstanden habe.
Man hört und liest - auch in wissenschaftlichen Studien - oft, junge Muslime würden nur noch in geringer Zahl in Moscheen gehen. Was war Ihr Eindruck?
Ich habe keine repräsentative Studie erhoben, sondern eine Reportage geschrieben. Aber diesen Befund kann ich auf Grundlage meiner Erfahrung nicht bestätigen. Die meisten Zuhörer waren sehr, sehr jung.
Haben Sie eine Vorstellung, wie sich die Integration verbessern ließe?
Ich bin kein Politiker. Darum fordere ich nichts. Ich kann als Journalist allerdings dahin gehen, wo andere nicht hingehen. Wenn aber der Islam zu Deutschland gehört, dann muss für ihn das Gleiche gelten wie für alle anderen gesellschaftlichen Bereiche auch: Er muss offen sein für Diskussion. Das ist aber so lange nicht der Fall, wie wir nicht verstehen können, welche Themen dort diskutiert werden. Darum muss man sich fragen, was man tun kann, damit die Räume transparenter werden und die Gläubigen bei uns ankommen.
Angaben zum Buch: Constantin Schreiber: "Inside Islam: Was in Deutschlands Moscheen gepredigt wird", Econ Verlag, 256 S., 18 Euro.
Das Gespräch führte Kersten Knipp.