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Corona: Aufarbeitung der Pandemie im Bundestag – aber wie?

Veröffentlicht 8. Juni 2025Zuletzt aktualisiert 26. Juni 2025

Rund zwei Jahre nach dem Ende des Ausnahmezustands will das Parlament Lehren aus dem Umgang mit Covid-19 ziehen. Ein umstrittenes Thema: Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn und die sogenannte Masken-Affäre.

Eine schmutzige FFP-2-Maske liegt im Sand auf dem Boden
Noch gar nicht so lange her: Die Maskenpflicht in der Corona-Pandemie war in Deutschland erst im April 2023 endgültig vorbei Bild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Theoretisch war man sich schon im Jahr 2024 einig, die Corona-Pandemie in einer Enquête-Kommission aufzuarbeiten. Aber praktisch konnte sich das im November geplatzte Regierungsbündnis aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Freien Demokraten (FDP) nicht auf einen gemeinsamen Arbeitsauftrag verständigen.

Jetzt scheint es nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Versäumtes nachgeholt werden kann. Denn die seit Mai 2025 regierende Koalition aus Unionsparteien (CDU/CSU) und SPD hat einen Antrag auf Einsetzung einer Enquête-Kommission eingebracht. Darüber debattierte das Parlament erstmals am 25. Juni.

"Wir waren ein starkes Parlament in der Corona-Zeit"

Der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner widersprach dabei dem unter anderem von der Alternative für Deutschland (AfD) erhobenen Vorwurf, der Bundestag sei während der Pandemie zu wenig seiner Kontrollfunktion gegenüber der Regierung nachgekommen. "Wir waren ein starkes Parlament in der Corona-Zeit", entgegnete Fechner. "Und weil wir ein starkes Parlament sind, gehen wir jetzt auch mit der nötigen Selbstkritik daran, die Maßnahmen aufzuarbeiten."

Während der Corona-Pandemie trafen sich die Spitzen aus Bund und Ländern oft im Kanzleramt, angeführt von der damaligen Regierungschefin Angela Merkel (M.) Bild: Michael Kappeler/REUTERS

Die Oppositionsfraktionen werfen derweil dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, sich einer Aufklärung seiner Rolle bei der mutmaßlich stark überteuerten Beschaffung von Schutzmasken zu verweigern. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat dazu einen unter Verschluss gehaltenen Bericht erstellen lassen, den das Portal T-Online inzwischen mit zahlreichen Schwärzungen veröffentlicht hat.

AfD, Grüne und Linke fordern Untersuchungsausschuss

Johannes Wagner von den Grünen fordert deshalb wie die AfD und die Linke zusätzlich einen Corona-Untersuchungsausschuss, "der die Masken-Deals und die Machenschaften von Jens Spahn lückenlos aufklärt". Dass es dazu kommen wird, ist allerdings so gut wie ausgeschlossen, weil mindestens ein Viertel des Parlaments dafür sein müsste. 

Die Opposition im Bundestag wirft dem früheren Gesundheitsminister Jens Spahn vor, die sogenannte Masken-Affäre auszusitzen (Archivbild) Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Zwar sind sich die drei Oppositionsfraktionen inhaltlich einig und die AfD hat bereits einen Antrag gestellt, aber sie wäre auf Unterstützung von Grünen und Linken angewiesen. Die aber lehnen jegliche Zusammenarbeit mit der teilweise rechtsextremen Partei ab. Also wird es absehbar keinen Untersuchungsausschuss geben. 

Nach der Sommerpause könnte das Parlament loslegen

Eine Enquête-Kommission gilt indes als reine Formsache und könnte nach der Sommerpause des Parlaments im September mit der Arbeit beginnen. Worum es dann inhaltlich vor allem gehen soll, hat die Linke bereits in der zurückliegenden Legislaturperiode in einem Antrag formuliert:  

"Erstens soll durch eine ernsthafte Aufarbeitung verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Zweitens sollen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen gewonnen werden, die vor und bei einer irgendwann wieder auftretenden pandemischen Situation dabei helfen, einen vorausschauenderen, klügeren und effektiveren Umgang mit dieser Pandemie zu erlangen." 

Hendrik Streeck hält Corona-Aufarbeitung für "zwingend notwendig"

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Über diesen Antrag wurde wegen des Bruchs der damaligen Regierungskoalition nicht mehr abgestimmt. Im zweiten Anlauf soll es nun klappen. Unter den Befürwortern ist einer, der während der Pandemie als einer der führenden Virologen Deutschlands bekannt wurde: Hendrik Streeck. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 hat er für die CDU in Bonn das Direktmandat gewonnen.

Der 47-Jährige sitzt im Gesundheitsausschuss, außerdem ist er Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Streeck blickt also aus verschiedenen Perspektiven auf Corona und die Folgen: wissenschaftlich, medizinisch und politisch. Die Aufarbeitung der Pandemie hält er für "zwingend notwendig". Sie sei die größte Krise nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Als Parlamentarier erhofft sich Streeck Antworten auf Fragen, die aus seiner Sicht bislang unterbelichtet sind. Zum Beispiel: Wie funktioniert die wissenschaftliche Beratung der Regierung in einer Krise wie der Corona-Pandemie? "Das ist ein Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit", weiß der Virologe aus eigener Erfahrung.

Corona-Debatte in Deutschland

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Außerdem wünscht er sich, dass die Enquête-Kommission einen kritischen Blick auf die Abstimmung zwischen den politischen Ebenen wirft. Während der Pandemie gab es die Ministerpräsidenten-Konferenz, in der die 16 deutschen Landesregierungen mit der Bundesregierung Maßnahmen bis hin zu kompletten Lockdowns vereinbarten. Dass es der beste Rahmen war, bezweifelt Streeck. Kritik daran gab es oft, weil der Bundestag seine Kontrollfunktion nur eingeschränkt wahrgenommen hat.

"Ich habe die Pandemie mitten in der Notaufnahme erlebt"

Viel Klärungsbedarf hat auch die Linken-Abgeordnete Stella Merendino, die ebenfalls dem Gesundheitsausschuss des Bundestags angehört. Ohne Aufarbeitung in einer Enquête-Kommission könnten keine Lehren für die Zukunft gezogen werden, betont die ausgebildete Krankenpflegerin gegenüber der Deutschen Welle. "Ich habe die Pandemie mitten in der Notaufnahme erlebt. Ich habe gesehen, wie Menschen einsam gestorben sind, weil wir sie nicht mehr zu ihren Angehörigen lassen durften."

Die Linken-Abgeordnete und ausgebildeten Pflegerin Stella Merendino trägt während einer Rede im Bundestag ihre BerufskleidungBild: Katharina Kausche/dpa/picture alliance

Die 31-Jährige hat Kolleginnen und Kollegen gesehen, die vor Erschöpfung, Überforderung und aus Trauer zusammengebrochen sind. "Wir haben Schichten durchgearbeitet, ohne zu wissen, ob wir selbst gesund bleiben. Es gab keine ausreichende Schutzausrüstung, keine psychologische Unterstützung, kaum Anerkennung und bis heute keine systematische Auswertung dessen, was das für unser Personal bedeutet hat."

"Das hat Wut geschürt und Misstrauen"

Viele Menschen seien in der Pandemie allein gelassen worden, kritisiert Merendino: mit ihren wirtschaftlichen Sorgen, mit der Kinderbetreuung, mit Einsamkeit oder mit Überforderung. "Das hat Wut geschürt und Misstrauen, das bis heute anhält." Dass sich offene Wunden heilen lassen, hält die frisch in den Bundestag gewählte Gesundheitsexpertin für möglich: "Wir müssen nicht alle überzeugen, aber wir müssen denen zuhören, die offen sind. Und wir müssen als Politik den Mut haben, Fehler einzugestehen."

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Von Staat und Gesellschaft erwartet Merendino vor allem mehr Unterstützung für Menschen, die noch immer unter den Folgen von Corona leiden. "Ich kenne Pflegekräfte, die wegen Long Covid heute nicht mehr arbeiten können. Viele kämpfen um Anerkennung, um Diagnostik, um finanzielle Absicherung. Und das in einem Gesundheitssystem, das ohnehin schon überlastet ist."

Bundespräsident Steinmeier hat Betroffene eingeladen

Auch Stella Merendinos Abgeordneten-Kollege Hendrik Streeck vermisst einen tieferen Blick auf die emotionalen Folgen der Pandemie. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zumindest den Versuch unternommen. Schon während der Pandemie, aber auch danach traf er Betroffene aus allen gesellschaftlichen Bereichen zu Gesprächsrunden. Streeck könnte sich da noch mehr vorstellen, etwa einen von Steinmeier geleiteten Bürgerrat. "So etwas wäre schon hilfreich", findet er.

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Auch ein Blick über die Grenzen könnte bei der Aufarbeitung weiterhelfen, meint Streeck. "Als Wissenschaftler ist es mir wichtig, da auch verschiedene Ergebnisse zu betrachten." Er habe zum Beispiel sehr genau die Berichte aus England gelesen. "Das mag von Land zu Land unterschiedlich gewesen sein, wie gut bestimmte Maßnahmen gewirkt haben", sagt Streeck zurückhaltend.

Streeck plädiert für mehr Daten und Analysen   

Für Deutschland diagnostiziert der erfahrene Wissenschaftler, der jetzt auch Politiker ist, Nachholbedarf: "Mehr Daten, mehr Analysen helfen, dass man da ein genaueres Bild bekommt." Damit ließe sich nach seiner Überzeugung auch die von ihm weiterhin beobachtete Spaltung der Gesellschaft abmildern.

Nach dem Ende der Corona-Pandemie unterscheidet Streeck zwischen drei Gruppen: "Die Einen, die sich nicht damit beschäftigen wollen. Die Anderen, die sagen: Wir waren zu lax, wir haben zu wenig gemacht. Und die Dritten, die sagen: Man ist hier viel zu weit vorgegangen." Alle müsse man ernst nehmen, sagt Streeck. "Das Beste, was passieren kann: darüber zu reden."           

Dieser Artikel wurde am 08.06.2025 veröffentlicht und am 25.06.2025 aktualisiert.

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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