Beim Weihnachtsmann ist der Bart um ein Haar ab
22. Dezember 2020Ende Oktober, als in ganz Deutschland die Corona-Neuinfektionen in die Höhe schießen und dem Land langsam dämmert, dass die zweiten Welle der Pandemie längst bittere Realität ist, greift ein bärtiger Mann, der nicht am Nordpol wohnt, sondern im niedersächsischen Celle, vor lauter Verzweiflung zum Rasierer.
Auf drei Zentimeter stutzt Willi Dahmen, den alle nur den Weihnachtsmann nennen, seinen imposanten Bart - in normalen Zeiten ein feierlicher Akt, den sich der 68-jährige Rentner für kurz nach Weihnachten aufhebt.
Doch Dahmen ist bereits vor einigen Wochen klar geworden, dass sein ganz persönlicher Höhepunkt des Jahres, als Weihnachtsmann Tausende von Menschen glücklich zu machen, 2020 wegen Corona ausfallen muss. "Mir blutet das Herz! Sie glauben gar nicht, wie meine Psyche angeknackst ist", sagt Dahmen. "Ich bin Weihnachtsmann durch und durch, das fehlt mir jetzt."
Weihnachtsmann nicht als Beruf, sondern aus Berufung
Willi Dahmen ist schon seit mehr als 30 Jahren Weihnachtsmann aus Leidenschaft. Zu der guten Weihnachtsgeschichte gehört, dass er sich damals quasi selbst zum Santa Claus gemacht hat. Dahmen arbeitete bei der Arbeitsagentur in Celle und vermittelte dort Weihnachtsmänner.
Als dieser Service plötzlich eingestellt wurde, es aber weiter Bedarf an den Rauschebärten gab, nahm Dahmen den Schlitten einfach selbst in die Hand. Und startete durch zu Deutschlands meist gebuchten Weihnachtsmännern.
"In Bochum habe ich in einem Kaufhaus 1224 Kinder beschenkt. An einem Tag, in nur zehn Stunden", berichtet Dahmen stolz. Mit einer Bierbrauerei dreht er einen Werbefilm mit echten Rentieren, ist dreimal das Gesicht der weihnachtlichen Werbekampagne der Fluggesellschaft Air Berlin. Selbst ohne dicken roten Mantel und Mütze sind Kinder beim Anblick von Dahmen felsenfest davon überzeugt, dem Weihnachtsmann gegenüberzustehen.
Schon Mitte des Jahres läuft bei Dahmen seit Jahren das Telefon heiß, wenn die Werbeagenturen durchklingeln, trudeln bereits private Anfragen auf seiner Homepage ein. Und ab November ist der Weihnachtsmann im Dauerstress, bei Betriebsfeiern, in Kaufhäusern oder auf Weihnachtsmärkten. "Normalerweise wäre ich jetzt jeden Tag quer durch Deutschland unterwegs."
Corona: Wie soll ein Weihnachtsmann Kinder und Senioren glücklich machen?
Normalerweise. Aber was ist schon normal in diesem Jahr 2020, dem Corona-Jahr? Auch für die Weihnachtsmänner fällt dieses Jahr die Bescherung aus, wobei Dahmen eh' den Großteil seiner Einnahmen spendet. Natürlich, er könnte sich eine Maske aufsetzen, aber dass allein reicht ihm nicht.
Denn Weihnachtsmann zu sein bedeutet ja auch Nähe, und wie soll das gehen mit den Abstandsregeln? "Wenn mich zum Beispiel die Kinder sehen, auf mich zurennen und in den Arm genommen werden wollen, was soll ich dann sagen? Stopp, haltet bitte die 1,50 Meter ein?"
Und dann sind da ja auch noch die Besuche bei den Altersheimen, die zu Dahmens Herzensangelegenheiten zählen. Denn er ist nebenbei ehrenamtlicher Seniorenbetreuer, kümmert sich auch außerhalb der Weihnachtszeit um ältere Menschen. "Wenn Demenzkranke mir ihre selbst verfassten Gedichte vorlesen und wir zusammen singen, bin ich immer sehr gerührt", sagt Dahmen. "Ich würde nie wieder glücklich werden, wenn ich dort das Virus weiterverbreite."
Weihnachtsmann-Agentur entwickelt umfangreiche Schutzmaßnahmen
Zu Jan Mitja Biehls Aufgaben gehört es, genau dies kategorisch auszuschließen. Der Gründer der Hamburger Agentur Blank und Biehl ist so etwas wie der letzte Strohhalm der Weihnachtsmann-Branche, gehört seine Firma doch seit Jahren zu den größten Vermittlern der Rauschebärte in Deutschland.
"Unsere Weihnachtsmänner tragen unter ihrem Bart unauffällig eine FFP2-Maske, die Bescherung findet in der Regel draußen statt", sagt Biehl. "Außerdem müssen unsere Weihnachtsmänner ständig ihre Handschuhe wechseln. Und Singen machen wir wegen der Aerosole sowieso nicht."
Doch auch bei seiner Agentur sind die Anfragen für Weihnachtsmänner in diesem Jahr um ein Viertel zurückgegangen. Dabei kann man bei dem 41-Jährigen Unternehmer doch sein Rundum-Sorglos-Weihnachtsmann-Paket je nach Bedarf zusammenstellen: ein Rentner oder doch lieber ein kostengünstigerer Student, mit Rute, Geschichte oder auch Kinderchor, und wenn man ganz tief in die Tasche greift, sogar mit Schlitten und Rentieren – natürlich artgerecht.
Vorzeitiger Ruhestand für ältere Weihnachtsmänner
"Viele unserer älteren Weihnachtsmänner sind jetzt wegen Corona vorzeitig in den Ruhestand gegangen, weil sie die Gefahr einer Ansteckung nicht eingehen wollten", berichtet Biehl. Der Unternehmer macht aus der Corona-Not eine Tugend, spricht mit Privatkunden die Geschenke-Übergabe detailliert ab, um jegliches Infektionsrisiko zu vermeiden.
Weihnachten 2020 war für seine Agentur trotzdem nicht gut fürs Geschäft. Biehl hofft, dass sich die Umsätze im nächsten Jahr wieder erholen. Und natürlich, dass alle seine Rauschebärte gesund bleiben. Etwas Ähnliches wünscht sich auch Willi Dahmen dieses Jahr vom Weihnachtsmann: "Dass das Fest harmonisch abläuft und nach Weihnachten die Presse nicht voll ist mit rasant gestiegenen Corona-Zahlen."