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Politik

Corona bremst Flüchtlingsrettung

17. April 2020

Italien und Malta haben aufgrund der Corona-Krise ihre Häfen für Rettungsschiffe geschlossen. Nichtregierungsorganisationen werfen den beiden Ländern vor, die Krise auszunutzen und Menschenleben zu riskieren.

Libyen | Seenotrettung in der Corona-Krise
Bild: picture-alliance/dpa/AP/O. Calvo

"Das Kind ist sehr krank. Wir haben kein Wasser, nichts zu essen", berichtet eine Schwangere mit erschöpfter Stimme. Sie war nach eigenen Angaben wenige Tage zuvor mit ihrer Tochter an der Küste Libyens aufgebrochen, zusammen mit 41 anderen an Bord eines Schlauchboots. Dann ging das Benzin aus. Als die Frau den Hilferuf per Satellitentelefon absetzte, trieb das Boot antriebslos auf dem Mittelmeer in der maltesischen Such- und Rettungszone.

Die Aufnahme stammt von "Alarmphone", einer zivilen Initiative, die sich für die Seenotrettung von Flüchtlingen einsetzt und dafür eine Hotline betreibt. Hilferufe von Menschen in Seenot werden so weitergeleitet und die Rettungsmaßnahmen der zuständigen Küstenwachen überwacht. Der Anruf bei "Alarmphone" wäre im Fall der Schwangeren und ihrer Tochter möglicherweise gar nicht nötig gewesen. Denn die Flüchtlinge in dem Schlauchboot hatten offenbar auch direkt Kontakt mit den zuständigen maltesischen Behörden: "Sie sagten, sie würden kommen, aber wir sehen niemanden", sagt die Frau.

Rettungseinsatz der Alan-Kurdi-Crew im Mittelmeer (am 6. April): Eskalation an BordBild: picture-alliance/dpa/Cedric Fettouche/Sea-Eye

Ein aktuelles Problem: Aufgrund der Corona-Gefahr haben Italien und Malta ihre Häfen für private Rettungsschiffe geschlossen. Das hat die Situation weiter verschärft, die auch daher rührt, dass sich die EU-Staaten bisher auf keinen gemeinsamen Kurs in der Flüchtlings- und Asylpolitik einigen konnten. Die Regierung in Valetta verteidigte die Schließung der Häfen mit begrenzten Kapazitäten: Sämtliche maltesischen Kräfte würden benötigt, um COVID-19 einzudämmen.

Grenzschließungen für Asylsuchende nicht rechtmäßig

Viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben ihre Grenzen zurzeit geschlossen. Dies sei in Ausnahmesituationen wie der Corona-Krise auch legitim, sagt EU-Migrationsexperte Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Es bedeute aber nicht, dass man Schutzsuchende einfach abweisen könne. "Wenn klar ist, es ist ein Schiff mit Asylsuchenden auf dem Meer, dann müsste dieses Schiff auch ausnahmsweise reingelassen werden", so Bossong.

Migrationsexperte Bossong: "Grenzschließungen in Ausnahmesituationen legitim"Bild: picture-alliance/dpa/SWP

Das Seerecht verpflichtet Schiffe, die aus Seenot gerettete Menschen an Bord haben, diese in den nächstgelegenen sicheren Hafen zu bringen. Was bereits vor der Corona-Krise äußerst schwierig und oft von tagelangem politischen Ringen begleitet war, ist derzeit so gut wie unmöglich. Die Crew und die 149 Menschen an Bord des Rettungsschiffes "Alan Kurdi" der Organisation "Sea Eye" warteten mehr als einer Woche vor der Küste Siziliens auf eine Lösung.

Ausweg für "Alan Kurdi"-Gerettete

In der Nacht zu Donnerstag war es an Bord offenbar zu einer Eskalation gekommen: Ein 24-jähriger Flüchtling soll versucht haben, sich das Leben zu nehmen. "Sea Eye" berichtete, der Mann habe Gewalterfahrungen in einem libyschen Gefängnis gemacht und zudem ein "konfliktbehaftetetes Verhältnis zu anderen geretteten Personen an Bord". Die Verzweiflung und Ratlosigkeit einiger Geretteter sei von einem bis dahin unbekannten Ausmaß gewesen, teilte die Organisation mit.

Mittlerweile sind die Menschen von der "Alan Kurdi" auf ein Quarantäne-Schiff verlegt worden. Im Auftrag des Katastrophenschutzes werden sie auf einer Fähre eine Seemeile vom Hafen von Palermo entfernt von Mitarbeiter des Roten Kreuzes betreuen. Italien verhandelt unterdessen mit anderen EU-Ländern über eine anschließende Verteilung der Migranten. 

Auch in maltesischen Gewässern spielen sich finstere Szenen ab. Am Mittwoch wurden dort fünf tote Menschen im Meer entdeckt, die zuvor mit anderen Flüchtlingen auf einem Schlauchboot unterwegs gewesen sein sollen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) wurden 51 von ihnen von einem Handelsschiff aufgelesen und der libyschen Küstenwache übergeben. Mittlerweile sollen sich alle in einem Lager in Tripolis befinden - sie sind also wieder im Bürgerkriegsland Libyen.

Seenotretter erheben Vorwürfe

Malta und Italien haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, die Handlungsmöglichkeiten ziviler Seenotretter einzuschränken. Nichtregierungsorganisationen wiederum werfen den beiden Staaten nun vor, die Corona-Krise für ihre politischen Zwecke zu missbrauchen.

Es sei klar, dass insbesondere Italien sehr schwer von der Corona-Krise betroffen sei, sagt Oliver Kulikowski von "Sea Watch". Das dürfe aber nicht bedeuten, dass Menschenrechte oder Seenotrettung ausgesetzt seien. "Unabhängig von der Situation in Europa versuchen Menschen ja immer noch, in untauglichen Booten den libyschen Lagern zu entkommen, wo Folter und andere Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind", sagt Kulikowski.

Regierungssoldat in der libyschen Hauptstadt: Immer wieder Kämpfe mit Rebellen im Großraum TripolisBild: picture-alliance/Photoshot/A. Salahuddien

Die Europäische Union versucht seit Jahren, Flüchtlinge und Migranten von der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer aufzuhalten. Dabei setzt sie auf eine enge Zusammenarbeit mit dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Libyen. Als Teil dieser Strategie ist die libysche Küstenwache damit beauftragt, Boote auf dem Weg nach Europa abzufangen und die Insassen zurück nach Libyen zu bringen. Häufig landen diese Menschen in Internierungslagern, viele werden dort gefoltert und erpresst.

Seit April 2019 kommt es in der Region um die Hauptstadt Tripolis immer wieder zu Kämpfen zwischen der international anerkannten libyschen Regierung und Rebellen. Viele Landesteile in Libyen sind nicht sicher. Zu dem Schluss kam auch vor einigen Tagen die libysche Regierung, als sie von der Küstenwache aufgegriffenen Migranten zunächst nicht erlaubte, im Hafen der Hauptstadt Tripolis von Bord zu gehen. Kampfhandlungen in der Region hatten dazu geführt, dass Libyen kurzerhand die eigenen Häfen als unsicher deklariert hat.

Migrationsdruck in Libyen weiterhin hoch

Auch Tom Garofalo vom "International Rescue Comitee", einer in Libyen tätigen Hilfsorganisation, stimmt dieser Sichtweise zu: "Es ist definitiv so. Sie sind nicht sicher." Da die Europäer ihre Häfen schließen, gebe es aber keinen Ort wo die Flüchtlinge hinkönnten, und so würden sie zurück nach Libyen gebracht, sagt Garofalo.

Mehr als 600.000 Flüchtlinge und Migranten sollen sich zurzeit in dem nordafrikanischen Land aufhalten. Nicht jeder wolle nach Europa. Viele von ihnen, sagt Garofalo, seien gekommen, um in Libyen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viele hätten vorgehabt, wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren, und befänden sich jetzt in einer ausweglosen Situation, wo es ihnen nur darum geht zu überleben.

Außenminister Bartolo: "Die EU muss handeln"Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/D. Vojinovic

Gewalt und Corona-Gefahr könnten dazu beitragen, dass mehr Flüchtlinge und Migranten versuchen, Libyen zu verlassen, so Garofalo. Um diese Menschen davon abzuhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen, hat die Regierung von Malta ein EU-Hilfspaket für Libyen vorgeschlagen. Es soll Lebensmittel, Medikamente und medizinische Ausrüstung im Wert von mindestens 100 Millionen Euro enthalten. Die EU müsse handeln, ehe es zu einer humanitären Katastrophe kommt, so Maltas Außenminister Evarist Bartolo.

Internationale Solidarität gefordert

Es sei wichtig, die anerkannte libysche Regierung in der aktuellen Situation zu unterstützen, sagt auch Libyenbeautragter Garofalo. Aber noch besser wäre es, wenn die internationale Gemeinschaft, sich pragmatisch mit der Frage auseinandersetzen würde, wie man diesen Menschen einen sicheren Zufluchtsort garantieren kann. "Vor allem in einer Zeit, in der wir versuchen, mit internationaler Solidarität dieser Pandemie etwas entgegenzusetzen."

Mit wenig internationaler Solidarität und drastischen Maßnahmen der Mittelmeerländer ist die lebensgefährliche Überfahrt nach Europa in Zeiten von Corona gefährlicher geworden. Rettungsorganisationen seien aufgrund der Umstände überwiegend die Hände gebunden, berichtet Oliver Kulikowski von "Sea Watch": "Die Europäische Union verweigert jede Rettung und lässt somit die Menschen im Zweifelsfall ertrinken, falls sie es nicht selbstständig an die europäische Küste schaffen", sagt er. Im Oktober 2019 wurde im Europa-Parlament eine Resolution mehrheitlich abgelehnt, die Seenotrettern unter anderem mehr Rechte einräumen sollte.

Die schwangere Frau, ihre Tochter und mit ihnen die anderen 41 Menschen, die tagelang im Schlauchboot vor Malta trieben, hatten am Ende Glück im Unglück. Dem spanischen Rettungsschiff "Aita Mari" gelang es, die Havarierten zu retten. Sieben Menschen wurden aus gesundheitlichen Gründen bereits ans Festland gebracht. Die anderen befinden sich noch an Bord der "Aita Mari. Das Rettungsschiff liegt nun vor Italien und wartet darauf, endlich in einen sicheren Hafen einzulaufen.