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Politik

Deutsche Schulen auf E-Learning schlecht vorbereitet

Sabine Kinkartz | Nancy Isenson
19. März 2020

Seit dieser Woche sind wegen Corona auch in Deutschland die Schulen geschlossen. Die Schüler sitzen zuhause vor ihren Computern - und warten. Kaum ein anderes Land in Europa ist so schlecht für E-Learning vorbereitet.

Deutshland Coronavirus Schulschließungen
Bild: picture-alliance/Eibner-Pressefoto/Weber

Niklas ist 14 Jahre alt und besucht die 9. Klasse eines Berliner Gymnasiums. Seit dem 17. März findet auch an seiner Schule der gewohnte Unterricht nicht mehr statt. Stattdessen soll nun zuhause gearbeitet werden. Die Jungen und Mädchen brauchen dafür Computer und Internetverbindung. Dass es beides gibt, wurde als gegeben vorausgesetzt.

Lernen nur noch zuhauseBild: picture-alliance/dpa/U. Perrey

Von der Schule gab es eine E-Mail-Adresse und ein Passwort für das von Microsoft kostenlos für Schulen bereitgestellte Programm Office 365 Education. Das sollten sie aus dem Internet auf ihre Computer laden und sich dort anmelden. "Bei vielen hat es am ersten Tag mit dem Anmelden gar nicht funktioniert", erzählt Niklas. "Das musste alles ja noch in den letzten Tagen eingerichtet werden, aber viele haben es auch technisch nicht hinbekommen." Denn nicht jeder Schüler hat zuhause die entsprechende Ausrüstung.

Die Esten können es und die Niederländer auch

Die Pädagogin Julia Hense, die sich am Essener mmb Institut mit den Themen Digitalisierung und Lernen beschäftigt, wundert sich nicht über die Probleme. Deutschland sei europaweit am schlechtesten auf das jetzt notwendige E-Learning vorbereitet. "Es gibt natürlich Bemühungen, das jetzt aufzufangen, die aber in der Kürze der Zeit nicht funktionieren, weil wir in Deutschland nicht so gut aufgestellt sind wie beispielsweise Länder wie Estland oder Finnland oder auch die Schweden und so weiter und so fort", sagt Hense mit Verweis auf eine Studie des CEPS, des Center for European Policy Studies.

Neben fehlender Hardware seien die Internetverbindungen vielerorts zu schwach oder instabil und vor allem seien die Lehrer überhaupt nicht entsprechend fortgebildet. "Bei uns an der Schule haben die meisten Lehrer überhaupt keine Ahnung von Technik", bestätigt der 16-jährige Karl, der die 10. Klasse eines Berliner Gymnasiums besucht. "Die sind froh, wenn ein Schüler für sie ein HDMI-Kabel in einen Laptop steckt, weil die einfach nicht wissen, wie das funktioniert." Er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie seine Lehrer ihre Schüler online unterrichten sollen.

Wer keinen Drucker hat, hat ein Problem

Nach den ersten Tagen zuhause sieht es so aus, als sei ein richtiger Unterricht auch gar nicht vorgesehen. Niklas und Karl bekommen Arbeitsblätter per E-Mail geschickt. Der 14-jährige über die Office-Plattform, der 16-jährige über eine Webseite, die, wie er sagt, ein Mathematik-Lehrer "in einer Last-Minute-Aktion" eingerichtet habe. "An unserer Schule wissen sie noch nicht einmal, dass Microsoft den Schulen Programme zur Verfügung stellt. Als ich vor ein paar Monaten danach gefragt habe, hat man mir gesagt, das gebe es nicht."

Arbeitsblätter zum Herunterladen und AusdruckenBild: DW/S. Kinkartz

Die Arbeitsblätter sollen die Schüler zuhause ausdrucken und abarbeiten. Gefordert ist, das vor Ausbruch der Corona-Krise bereits Gelernte zu wiederholen und zu festigen. Neue Themen, so schreibt eine Lehrerin von Niklas, würde sie nicht einführen wollen. Wie sollte das auch funktionieren? Per Videochat? Indem die Lehrer Tutorials produzieren und an ihre Schüler weiterleiten? "Die Riesenwelle, die sie geschoben haben, von wegen, dass jetzt der ganze Unterricht auf diese Online-Seite geschoben werde, das ist überhaupt nicht in Erfüllung gegangen. Es funktioniert nicht", schimpft Karl.

Es wird viel versäumt werden

Schon jetzt ist für die Schüler absehbar, wohin das führen wird. "Ich denke mal, es wird schon Stoff an uns vorbeigehen und wir werden ihn nicht komplett aufholen können", meint Niklas. "Die Frage ist auch, wie man das dann macht mit dem Zeugnis und den Benotungen für dieses Halbjahr. Ich bin sehr glücklich, dass es mir jetzt in einer Zeit passiert, wo es für mich nicht so wichtig ist, weil ich noch keinen mittleren Schulabschluss oder Abitur mache."

Wiederholen und festigen - Neue Lerninhalte soll es so schnell nicht gebenBild: DW/S. Kinkartz

Das sieht bei Karl anders aus. In Berlin müssen alle Zehntklässler einen mittleren Schulabschluss ablegen. Der besteht aus einer 30-minütigen Präsentationsprüfung und schriftlichen Klassenarbeiten, die vom April auf den Mai verlegt wurden. Ob sie dann stattfinden werden oder noch weiter verschoben werden, kann im Moment niemand sagen.

Deutsche Lehrer arbeiten analog

Karl macht sich Gedanken darüber, wie die Vorbereitung auf diese Prüfungen funktionieren soll. Nur mit Arbeitsblättern? Es ist noch nicht einmal gefordert, die ausgefüllten Blätter einzuscannen und zur Korrektur an die Lehrer zu schicken. "Die Schulen hätten viel eher über solche Möglichkeiten wie das E-Learning nachdenken müssen. Schulen in anderen Ländern können das doch auch", kritisiert der 16-Jährige.

Deutsche Klassenzimmer sind noch weitgehend analog eingerichtetBild: picture-alliance/SvenSimon/F. Hoermann

In Deutschland würden die Lehrer am analogen System festhalten, weil sie es eben könnten und bislang niemand etwas anderes von ihnen gefordert habe. "Die waren nie auf so ein Szenario vorbereitet." Julia Hense sieht das genauso. Und macht sich Gedanken darüber, wie die Schüler in den nächsten Monaten etwas lernen sollen. "Es reicht eben nicht, wenn ich sage: Hier ist dein Aufgabenpaket. Das lädst du dir herunter und dann ist es gut. Das ist zwar besser als nichts. Aber es ist natürlich eigentlich nicht das was wir wollen."

In Estland läuft es am besten

Wie es stattdessen gehen kann, zeigt Estland, der europäische Spitzenreiter im E-Learning. Dort begannen die Schulen schon in den neunziger Jahren mit dem digitalen Arbeiten. Inzwischen läuft das gesamte Schulmanagement über digitale Plattformen – egal ob Hausaufgaben, Benotungen oder Lehrmaterialien, die zentral für alle Lehrer im Land hinterlegt sind. Eltern können einsehen, wie sich ihr Kind in der Schule entwickelt, was es lernt. Sie werden benachrichtigt, falls das Kind schwänzt und sie melden sich dort auch, wenn ihr Kind krank ist.

In Estland werden die Kinder schon früh digital ausgebildetBild: DW

Das Berliner Gymnasium, das Niklas besucht, will in den nächsten Tagen das Programm Teams einrichten. Der 14-jährige hofft, dass dann auch die Chat- und Videofunktionen des Programms genutzt werden. Aber funktioniert das mit 30 Teilnehmern? Und haben alle Schüler zuhause die zwingend notwendige, gute Internetverbindung?

Das Beste daraus machen - und für die Zukunft lernen

"Es wäre eine Überforderung, von den Lehrern zu erwarten, dass sie innerhalb von 24 Stunden zu absoluten Experten des digitalen Lernens werden sollen", nimmt Wissenschaftlerin Hense die Lehrer in Schutz. "Das ist jetzt eine unglaubliche Zäsur für uns alle, wirklich in jeder Hinsicht. Ich glaube, es zeigt einfach noch einmal auf, wo es knirscht im System."

Für die Verbreitung des digitalen Lernens sei die Krise aber auch eine "absolute Chance" und ein "totaler Booster", analysiert Pädagogin Hense. Da werde sich in Zukunft sicher viel ändern. "Es hat schon viele Vorteile, wenn man Lernprozesse digitalisiert und dann in der Lage ist, sehr dezentral zu agieren - und im Zweifelsfall eben auch komplett dezentral zu beschulen".

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