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Corona: Deutschland will die Pandemie aufarbeiten

8. Juni 2025

Rund zwei Jahre nach dem Ende des Ausnahmezustands soll der Bundestag Lehren aus dem Umgang mit der Viruserkrankung COVID-19 ziehen. Eine Bestandsaufnahme.

Eine schmutzige FFP-2-Maske liegt im Sand auf dem Boden
Noch gar nicht so lange her: Die Maskenpflicht in der Corona-Pandemie war in Deutschland erst im April 2023 endgültig vorbei Bild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Parlamentspräsidentin Bärbel Bas sprach im Februar 2025 Klartext: Die Aufarbeitung der Corona-Pandemie sei eine "offene Baustelle", sagte sie kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit im Deutschen Bundestag. Die Sozialdemokratin ist inzwischen Arbeitsministerin in der vom Christdemokraten Friedrich Merz angeführten neuen Bundesregierung.

Im Koalitionsvertrag steht auf Seite 112 ein Satz, der Bas gefallen dürfte: "Wir werden die Corona-Pandemie umfassend im Rahmen einer Enquête-Kommission aufarbeiten, insbesondere um daraus Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse abzuleiten."

SPD, Grüne und FDP waren sich nicht einig

In der vergangenen Legislaturperiode konnte sich das damals regierende Bündnis aus SPD, Grünen und Freien Demokraten (FDP) nicht auf einen gemeinsamen Arbeitsauftrag verständigen. Einen vergeblichen Vorschlag hatte die Linke im Oktober 2024 gemacht und in ihrem Antrag auf Einsetzung einer Enquête-Kommission zwei Ziele formuliert:

Hendrik Streeck hält Corona-Aufarbeitung für "zwingend notwendig"

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"Erstens soll durch eine ernsthafte Aufarbeitung verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Zweitens sollen Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen gewonnen werden, die vor und bei einer irgendwann wieder auftretenden pandemischen Situation dabei helfen, einen vorausschauenderen, klügeren und effektiveren Umgang mit dieser Pandemie zu erlangen."

Im zweiten Anlauf soll Versäumtes nachgeholt werden. Wann es losgeht, ist noch offen. Aber die Fachleute sitzen bereits in den Startlöchern. Dazu gehört einer, der während der Pandemie als einer der führenden Virologen Deutschlands bekannt wurde: Hendrik Streeck. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 hat er für die CDU in Bonn das Direktmandat gewonnen.

Der 47-Jährige sitzt im Gesundheitsausschuss, außerdem ist er Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Streeck blickt also aus verschiedenen Perspektiven auf Corona und die Folgen: wissenschaftlich, medizinisch und politisch. Die Aufarbeitung der Pandemie hält er für "zwingend notwendig". Sie sei die größte Krise nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Als Parlamentarier erhofft sich Streeck Antworten auf Fragen, die aus seiner Sicht bislang unterbelichtet sind. Zum Beispiel: Wie funktioniert die wissenschaftliche Beratung der Regierung in einer Krise wie der Corona-Pandemie? "Das ist ein Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit", weiß der Virologe aus eigener Erfahrung.

Während der Corona-Pandemie trafen sich die Spitzen aus Bund und Ländern oft im Kanzleramt, angeführt von der damaligen Regierungschefin Angela Merkel (M.) Bild: Michael Kappeler/REUTERS

Außerdem wünscht er sich, dass die Enquête-Kommission einen kritischen Blick auf die Abstimmung zwischen den politischen Ebenen wirft. Während der Pandemie gab es die Ministerpräsidenten-Konferenz, in der die 16 deutschen Landesregierungen mit der Bundesregierung Maßnahmen bis hin zu kompletten Lockdowns vereinbarten. Dass es der beste Rahmen war, bezweifelt Streeck. Kritik daran gab es oft, weil der Bundestag seine Kontrollfunktion nur eingeschränkt wahrgenommen hat.

"Ich habe die Pandemie mitten in der Notaufnahme erlebt"

Viel Klärungsbedarf hat auch die Linken-Abgeordnete Stella Merendino, die ebenfalls dem Gesundheitsausschuss des Bundestags angehört. Ohne Aufarbeitung in einer Enquête-Kommission könnten keine Lehren für die Zukunft gezogen werden, betont die ausgebildete Krankenpflegerin gegenüber der Deutschen Welle. "Ich habe die Pandemie mitten in der Notaufnahme erlebt. Ich habe gesehen, wie Menschen einsam gestorben sind, weil wir sie nicht mehr zu ihren Angehörigen lassen durften."

Die Linken-Abgeordnete und ausgebildeten Pflegerin Stella Merendino trägt während einer Rede im Bundestag ihre BerufskleidungBild: Katharina Kausche/dpa/picture alliance

Die 31-Jährige hat Kolleginnen und Kollegen gesehen, die vor Erschöpfung, Überforderung und aus Trauer zusammengebrochen sind. "Wir haben Schichten durchgearbeitet, ohne zu wissen, ob wir selbst gesund bleiben. Es gab keine ausreichende Schutzausrüstung, keine psychologische Unterstützung, kaum Anerkennung und bis heute keine systematische Auswertung dessen, was das für unser Personal bedeutet hat."

"Das hat Wut geschürt und Misstrauen"

Viele Menschen seien in der Pandemie allein gelassen worden, kritisiert Merendino: mit ihren wirtschaftlichen Sorgen, mit der Kinderbetreuung, mit Einsamkeit oder mit Überforderung. "Das hat Wut geschürt und Misstrauen, das bis heute anhält." Dass sich offene Wunden heilen lassen, hält die frisch in den Bundestag gewählte Gesundheitsexpertin für möglich: "Wir müssen nicht alle überzeugen, aber wir müssen denen zuhören, die offen sind. Und wir müssen als Politik den Mut haben, Fehler einzugestehen."

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Von Staat und Gesellschaft erwartet Merendino vor allem mehr Unterstützung für Menschen, die noch immer unter den Folgen von Corona leiden. "Ich kenne Pflegekräfte, die wegen Long Covid heute nicht mehr arbeiten können. Viele kämpfen um Anerkennung, um Diagnostik, um finanzielle Absicherung. Und das in einem Gesundheitssystem, das ohnehin schon überlastet ist."

Bundespräsident Steinmeier hat Betroffene eingeladen

Auch Stella Merendinos Abgeordneten-Kollege Hendrik Streeck vermisst einen tieferen Blick auf die emotionalen Folgen der Pandemie. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zumindest den Versuch unternommen. Schon während der Pandemie, aber auch danach traf er Betroffene aus allen gesellschaftlichen Bereichen zu Gesprächsrunden. Streeck könnte sich da noch mehr vorstellen, etwa einen von Steinmeier geleiteten Bürgerrat. "So etwas wäre schon hilfreich", findet er.

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Auch ein Blick über die Grenzen könnte bei der Aufarbeitung weiterhelfen, meint Streeck. "Als Wissenschaftler ist es mir wichtig, da auch verschiedene Ergebnisse zu betrachten." Er habe zum Beispiel sehr genau die Berichte aus England gelesen. "Das mag von Land zu Land unterschiedlich gewesen sein, wie gut bestimmte Maßnahmen gewirkt haben", sagt Streeck zurückhaltend.

Streeck plädiert für mehr Daten und Analysen   

Für Deutschland diagnostiziert der erfahrene Wissenschaftler, der jetzt auch Politiker ist, Nachholbedarf: "Mehr Daten, mehr Analysen helfen, dass man da ein genaueres Bild bekommt." Damit ließe sich nach seiner Überzeugung auch die von ihm weiterhin beobachtete Spaltung der Gesellschaft abmildern.

Nach dem Ende der Corona-Pandemie unterscheidet Streeck zwischen drei Gruppen: "Die Einen, die sich nicht damit beschäftigen wollen. Die Anderen, die sagen: Wir waren zu lax, wir haben zu wenig gemacht. Und die Dritten, die sagen: Man ist hier viel zu weit vorgegangen." Alle müsse man ernst nehmen, sagt Streeck. "Das Beste, was passieren kann: darüber zu reden."           

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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