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Politik

Die NATO als Krisenhelfer

Barbara Wesel Brüssel
2. April 2020

Lufttransporte und medizinische Hilfe: Die NATO sieht sich in einer neuen Rolle, als Krisenhelfer gegen Covid-19. Vom Streit über das Zwei-Prozent-Ausgabenziel redet niemand mehr. Barbara Wesel berichtet aus Brüssel.

NATO-Hauptquartier in Brüssel
NATO-Hauptquartier in Brüssel Bild: Imago Images/photothek/T. Trutschel

"Die Solidarität der NATO wird derzeit sehr nachgefragt", sagt der deutsche Außenminister Heiko Maas. Er und seine Kollegen haben zum ersten Mal ein virtuelles NATO-Treffen abgehalten - über eine sichere Verbindung, wie betont wird. Das zivile Thema der Krisenbewältigung stand im Mittelpunkt der Diskussionen. "Die NATO kann sich an die Umstände durch die Covid-Krise anpassen", verspricht Generalsekretär Jens Stoltenberg. So viel Einigkeit war lange nicht.

Lufttransport und medizinische Ausrüstung

"Die NATO wurde gegründet, um Krisen zu bewältigen", erklärt Stoltenberg den neugefundenen Zusatznutzen des Militärbündnisses. Deshalb habe man auch den Oberkommandierenden in Europa, Tod Wolters, damit beauftragt, neue Hilfsangebote zu koordinieren, herauszufinden welche Fähigkeiten noch eingesetzt werden könnten und die Unterstützungsleistung zu beschleunigen.

Schon jetzt laufen bei der NATO eine Menge Anfragen ein, etwa aus Spanien, Italien, Montenegro, der Ukraine, Moldau und anderen, so wird berichtet. Vor allem gehe es um Lufttransport - so hat Rumänien etwa einen Truppentransporter genutzt, um medizinisches Material aus Südkoreas und China einzufliegen. In Zeiten, wo die zivile Luftfahrt brachliegt, kann die NATO helfen - vor allem weil sie Großraumflugzeuge zur Verfügung hat. Ein türkischer Transportflug hat zum Beispiel Schwerkranke aus Italien ausgeflogen. In begrenztem Maß verfügten NATO-Mitglieder auch noch über medizinische Ausrüstung, heißt es in Brüssel, die bereitgestellt werden könne. General Wolters soll jetzt prüfen, ob es irgendwo noch ungenutzte Ressourcen gibt.

Seit Jahren diskutiere man im Bündnis über die Verbesserung der "Resilience", der Widerstandsfähigkeit in Krisen, sagt Jens Stoltenberg. Die Corona-Krise ist jetzt eine zivile Aufgabe, wie es sie bisher in dem Ausmaß noch nie gegeben hat. Man solle daraus für die Zukunft lernen, meint der NATO-Generalsekretär, um sich noch besser und schneller zu koordinieren und die vorhandenen Fähigkeiten optimal einzusetzen. Schon Mitte April wollen die NATO-Verteidigungsminister die bisherigen Erfolge und die Verbesserungsmöglichkeiten im Kampf gegen Covid-19 bewerten.

Trotz Gesundheitskrise keine Sicherheitskrise

"Wir müssen darauf achten, dass aus der Gesundheitskrise keine Sicherheitskrise wird", sagt Stoltenberg darüber hinaus. Schließlich sei es die Kernaufgabe der NATO, ihre Verbündeten zu schützen. Da machen sich derzeit etwa die baltischen Staaten Sorgen, ob durch Corona vielleicht die Tür für russische Übergriffe geöffnet wird. Man habe unangekündigte russische Manöver beobachtet, verkündet Stoltenberg dazu, und eine verstärkte Flottenpräsenz etwa in der Nordsee. Man beobachte diese Entwicklungen, aber die NATO bleibe "einsatzbereit, die Luftüberwachung funktioniert, die 'Battle Groups' sind arbeitsfähig". Zwar gebe es vereinzelte Infektionen auch bei NATO-Personal, aber insgesamt sei das Bündnis nicht beeinträchtigt.

Der neue Propagandakrieg

In den vergangenen Wochen wurde deutlich, dass Russland und China die globale Corona-Krise für eine Art Propagandafeldzug im Westen nutzen. "Es ist im Prinzip zu begrüßen, wenn Länder sich helfen, wir haben auch Hilfsgüter nach Wuhan geschickt", sagt dazu Außenminister Heiko Mass. Wovor er allerdings warne und worüber man sich bei der NATO Gedanken mache, sei, "wenn Länder die Lage propagandistisch ausnutzen, um sich in besserem Licht erscheinen zu lassen".

Das zielt auf die teilweise untauglichen Hilfslieferungen aus China und Russland ab, die in Spanien oder Italien eintrafen. Und wenn Desinformationskampagnen von Staaten gesteuert würden, müssen man dem Fakten entgegensetzen, so Deutschlands Außenminister. Klar ist aber, dass viele im Bündnis fürchten, man habe in den vergangenen Wochen bei der geostrategischen Auseinandersetzung Russland wie auch China das Feld überlassen.

Der frühere US-Kommandeur in Europa, General Ben Hodges, formuliert das deutlich: Man müsse es als einen Wettstreit im Raum der Information ansehen. "Die Chinesen und die Russen - beide mit diesen lächerlichen Versicherungen, ihnen liege an Italien - 'helfen' indem sie eine chemische Dekontaminierungseinheit schicken. Was für ein Witz!" Aber das sei überall in den Nachrichten gewesen und so hatten sie die Nase vorn. Jetzt sehe man, etwa bei der Europäischen Union, zunehmend was wirklich getan wird. Paletten mit Ausrüstung und unbrauchbaren Masken, die man zurückschicken müsse. "Aber sie sehen das als Informations-Wettkampf und wir nicht. Da müssen wir aktiver werden", sagt der General und spiegelt damit das Denken vieler NATO-Verbündeter.

Die übrigen Probleme

Diskutiert wurde bei den Außenministern auch die prekäre Lage in Afghanistan. Sogar Stoltenberg, sonst politisch zurückhaltend, machte seine Zweifel am Friedensprozess am Hindukusch deutlich.

Die Verringerung der NATO-Truppen bis zum Sommer auf 12.000 Mann werde nur parallel zum politischen Fortschritt im Land stattfinden, betont der Generalsekretär angesichts blutiger Terroranschläge beispielsweise gegen eine Sikh-Gemeinde in Kabul. Es müsse echte Verhandlungen geben, die Taliban müssten sich wirklich engagieren und die Afghanen untereinander Frieden schließen wollen. Wie gut die Chancen dafür wirklich stehen, dazu ist von den NATO-Offiziellen nichts zu hören. Man will keinen Streit mit den USA.

Worüber derzeit nicht geredet wird, ist der jahrelange Streit über das Zwei-Prozent-Ausgabenziel. Man erinnert sich an die Wutausbrüche von US-Präsident Donald Trump, der beinahe das Gipfeltreffen in Brüssel darüber platzen lassen wollte. Aber derzeit ist die NATO mit der Corona-Krise beschäftigt und die daraus resultierende Wirtschaftskrise kommt säumigen Bündnismitgliedern wie Deutschland in dieser Sache sogar gelegen.

Die zwei Prozent, die jeder NATO-Staat für die Verteidigung ausgeben soll, berechnen sich nämlich nach der Wirtschaftsleistung, und die dürfte in diesem und vielleicht noch im nächsten Jahr kräftig sinken. "Wir stehen zum Ausgabenziel" beschwor der deutsche Außenminister bei diesem Punkt. Die Bundesregierung war lange ein besonderes Ziel für den Zorn von Donald Trump. Bis 2030 wolle man bei 1,5 Prozent angekommen sei, so beschloss man darauf in Berlin informell. Dieses Ziel dürfte in Zeiten von Corona recht leicht zu erreichen sein.

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