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Politik

Die Rückkehr der Krisengebiete

Andreas Noll
9. September 2020

Italien, Spanien und Frankreich: Dort, wo die Corona-Pandemie im Frühjahr mit großer Wucht ausgebrochen ist, steigen die Infektionszahlen wieder rasant. Droht Südeuropa erneut eine Überlastung der Gesundheitssysteme?

Spanien | Coronavirus - Maskenpflicht im Freien
Bild: picture-alliance/dpa/AP/M. Fernandez

Wenn sich die Europaminister der Bundesländer am Mittwoch und Donnerstag im Saarland zu ihrem Gipfel treffen, dann wollen sie neue Grenzschließungen um jeden Preis vermeiden. Stattdessen wollen die Politiker gemeinsam mit den Nachbarländern, die ebenfalls Vertreter zu der Konferenz geschickt haben, grenzüberschreitende Pandemie-Pläne erarbeiten. Der Blick über die wenige Kilometer entfernte Grenze ist für die Minister gleichwohl alarmierend.

Frankreich

Das Krisengebiet beginnt schon unmittelbar hinter der Grenze. Das gesamte elsässische Département Bas-Rhin wurde am Wochenende gemeinsam mit sechs weiteren Départements zur "roten Zone" erklärt, weil dort die Zahl der Infektionen besonders stark steigt. Der Wanderzirkus des Europaparlaments wird daher erst einmal nicht Station in der elsässischen Hauptstadt Straßburg machen, sondern bis auf weiteres ausschließlich in Brüssel tagen.

Das Elsass war bereits zu Beginn der Pandemie besonders hart getroffen. Damals hatte eine Gebetswoche in Mulhouse zur starken Verbreitung des Virus beigetragen. Auf dem Höhepunkt der ersten Welle waren die Krankenhäuser der Region völlig überlastet - das Militär errichtete zwischenzeitlich ein Feldlazarett zur Versorgung der Kranken. 

Davon ist aktuell keine Rede. Die Lage auf den Intensivstationen ist übersichtlich – in allen 28 der etwa 100 französischen Départements, die mittlerweile als "Rote Zone" definiert sind, wo das Virus also "aktiv zirkuliert". Landesweit werden aktuell 500 Patienten auf Intensivstationen wegen einer COVID-19-Erkrankung behandelt.

Maskenpflicht auch unter freiem Himmel

Ein Grund für die bislang relativ geringe Belastung des Gesundheitssystems: Derzeit stecken sich offenbar hauptsächlich junge Menschen mit Sars-COV-2 an. Viele dieser Infekte verlaufen symptomlos, erklärt die Hausärztin Sabrine Pinto, die 40 Kilometer südwestlich von Paris in einem kleinen Dorf eine Praxis hat.

Ein französischer Polizist kontrolliert einen Autofahrer mit MaskeBild: Imago Images/H. Lucas

Aber nicht nur die Altersstruktur der Patienten unterscheidet die aktuelle Lage von der im Frühjahr. Die französischen Behörden haben die Zahl der Testungen massiv ausgeweitet: Im Vergleich zum Frühjahr wurden sie mehr als verzwanzigfacht. Während Frankreich Ende Mai lediglich 40.000 Menschen pro Woche testete, waren es in der Woche vom 24. bis zum 30. August mehr als 850.000. Entsprechend zurückhaltend reagiert auch die Politik. Neue Ausgangssperren oder Grenzschließungen sind derzeit kein Thema. Dafür gilt in immer mehr Städten die allgemeine Maskenpflicht auch unter freiem Himmel.

Spanien

Schon im Frühjahr gehörte Spanien zu den am stärksten betroffenen Ländern in der Corona-Pandemie. Nach einer Normalisierung der Lage zu Beginn des Sommers schlagen Experten und Politiker nun wieder Alarm. "Die Menschen infizieren sich gerade, die Kinder infizieren sich gerade, alle infizieren sich gerade", klagte die Regionalpräsidentin der Hauptstadt Madrid, Isabel Diaz Ayuso, in der vergangenen Woche. Die Bundesregierung hat mittlerweile eine Reisewarnung für das ganze Land ausgegeben, doch besonders dramatisch ist die Lage in der Hauptstadt. Auf 100.000 Einwohner kommen dort im Schnitt 500 Infizierte – eine Quote, die sonst nirgendwo in Europa erreicht wird. Ähnlich wie in Frankreich registrieren die Behörden auch in Spanien vor allem junge Infizierte, so dass die Krankenhäuser aktuell – noch – nicht überlastet sind.

Junge Spanier beim Feiern mit und ohne Maske im FreienBild: picture-alliance/dpa/AP/F. Dana

Als Reaktion auf die steigenden Infektionszahlen verschärft die spanische Politik die Corona-Bestimmungen. In Madrid ruft die Regionalregierung dazu auf, sich nur noch in kleineren Gruppen von insgesamt maximal zehn Freunden oder Verwandten zu treffen.

Italien

Der berühmteste Corona-Patient im Land heißt derzeit Silvio Berlusconi. Italiens früherer Regierungschef hat sich erstmals nach seiner Infektion zu Wort gemeldet und Parteifreunden von seinem Kampf gegen COVID-19 berichtet. "Ich gebe alles und hoffe, dass ich bald wieder zurück bin", soll der 83-Jährige bei einer Telefonkonferenz zu Mitstreitern gesagt haben. "Ich kämpfe, um dieser höllischen Krankheit zu entkommen."

Der italienische Patient: Auch Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi ist an COVID-19 erkranktBild: picture alliance/dpa/D. Dal Zennaro

Während die Öffentlichkeit großen Anteil an der Erkrankung Berlusconis nimmt, arbeiten die Behörden fieberhaft an den Plänen für den Beginn des Schuljahres. Mit Ausnahme von Südtirol, wo der Unterricht gerade begonnen hat, werden die Schüler am kommenden Montag wieder mit dem Unterricht starten. Mehr als ein halbes Jahr, so lange wie nirgendwo sonst auf der Welt, hatten die Kinder und Jugendlichen in Italien keinen Präsenzunterricht. Am Konzept für die notwendigen Hygiene- und Sicherheitsvorschriften wird noch gearbeitet. Eine Pflicht zum Tragen einer Alltagsmaske soll es aber offenbar nicht geben, wenn die Schülerinnen und Schüler einen Sicherheitsabstand von einem Meter einhalten können.

Durchschnittsalter der Infizierten: 32 Jahre

Sorgen machen den Behörden aber auch in Italien die steigenden Infektionszahlen. Mit mehr als 1700 Fällen wurde gerade erst der höchste Wert täglicher Neuinfektionen seit Anfang Mai registriert. Ähnlich wie in Frankreich und Spanien infizieren sich aktuell auch in Italien vor allem junge Menschen. Die Experten erklären das mit Familienfeiern im Sommer, aber auch mit einem häufig maskenlosen Strand- und Partyleben.

Italienische Schüler bei der Abiturprüfung - bald soll für alle italienischen Schüler der Präsenzunterricht wieder beginnenBild: Getty Images/AFP/T. Fabi

Lag das Durchschnittsalter der registrierten Infizierten auf dem Höhepunkt der ersten Welle Ende März bei 63 Jahren, sank es Ende August auf 32 Jahre. Wie in Frankreich und Spanien verzeichnen auch die italienischen Krankenhäuser keinen Ansturm der Kranken. Anfang der Woche wurden weniger als 150 Patienten wegen COVID-19 auf Intensivstationen behandelt.

Debatte über Quarantäne-Zeiten

Derweil steigt auch in den von Corona wieder stark betroffenen Ländern der Druck auf die Politik, die Quarantäneregeln zu überarbeiten. Nachdem Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Véran bis Freitag entscheiden will, ob die Quarantäne von 14 auf sieben Tage reduziert werden kann, hat auch in Italien eine entsprechende Debatte begonnen. "Wenn wir die Quarantäne verkürzen sollten, würden sich auch die sozialen und wirtschaftlichen Kostenreduzieren", sagte der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte. Unterstützung erhält der Regierungschef von zahlreichen Experten im Land, die für einen solchen Schritt bei einer asymptomatisch verlaufenden Infektion werben.