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Esoterik als Türöffner für Verschwörungen

30. Dezember 2021

Verschwörungserzählungen und Esoterik haben einiges gemeinsam - auch bei Corona: In zufälligen Ereignissen einen Sinn zu erkennen, alles mit allem verbunden zu sehen und ein großes Potential zur Radikalisierung.

Sommersonnenwende | UK Glastonbury
Meditation sollte Achtsamkeit fördern und nicht unser Bedürfnis nach Selbstaufwertung befriedigenBild: Peter Cziborra/REUTERS

Gegen Corona demonstrieren nicht nur extreme Rechte, sondern Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen. Darunter sind auch Esoteriker - Menschen also, für die Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung eine zentrale Rolle spielen. Dabei führen viele Wege zum Ziel: Astrologie, Meditation, Reiki  oder Yoga.

Bevor wir uns missverstehen: Meditation und Yoga sind grundsätzlich keine schlechte Sache, im Gegenteil. Spirituelle Praktiken können achtsamer, glücklicher und zufriedener machen. Die Meditierenden versuchen, ihre Gedanken und Gefühle nur zu beobachten, anstatt sich mit ihnen zu identifizieren. So kann das permanent lärmende Ego beruhigt werden, theoretisch.

Der Sozialpsychologe Jochen Gebauer von der Universität Mannheim und sein Team haben in einer Studienreihe nämlich Hinweise darauf gefunden, dass spirituelle Praktiken ihr Versprechen, das Ego zu befrieden, nicht zwangsläufig halten.

Laut der Forschenden gehe das gesteigerte Wohlbefinden der Yoga-Praktizierenden und Meditierenden Probanden tatsächlich auf einen Ego-Boost zurück. Das wiederum führe zu spirituellen Überlegenheitsgefühlen gegenüber anderen Menschen, nach dem Motto "ich bin erleuchtet und du nicht".

Der Psychologe Scott Barry Kaufman schreibt zu diesen Forschungen: "Spirituelle Praktiken können das narzisstische Selbst aufbauen, also das Anspruchsdenken und das Gefühl fördern, etwas Besonderes zu sein." Die Vorstellung, das eigene Innenleben zu ergründen und erleuchtet zu sein, sei für narzisstische Menschen besonders attraktiv.

Von Narzissmus zur Verschwörungserzählung

"Narzissmus ist ein eine Art Scharnier, wenn es um Esoterik und Verschwörungsideologen geht", sagt die Sozialpsychologin Clara Schliessler. Sie forscht am Else-Frenkel-Brunswik-Institut in Leipzig zu demokratiefeindlichen Einstellungen, Verschwörungsmentalität und Autoritarismus.

Menschen, die sich angesichts der Anforderungen in spätmodernen Gesellschaften ohnmächtig und überfordert fühlen, könnten diese Gefühle mit Hilfe von esoterischem Glauben wunderbar abwehren, "indem sie die Größenphantasie entwickeln, mit allem verbunden, mit dem gesamten Universum 'eins' zu sein oder sich auf dem Weg zur Erleuchtung zu befinden", sagt Schliessler. Ganz ähnlich funktionieren Verschwörungserzählungen. Auch hier wähnen sich Menschen als diejenigen, die "erwacht" sind.

Die Sozialpsychologin betont, dass Esoterik und Verschwörungsglaube nicht dasselbe sind. Allerdings gibt es einige Überschneidungen und Anschlusspunkte, die beide Weltanschauungen verbinden. Am deutlichsten wird das an drei gleichen Grundüberzeugungen:

Nichts passiert durch Zufall, nichts ist wie es scheint und alles ist miteinander verbunden.

Esoterik als Ausrede

"Beide Denkformen sind durch eine erhöhte Bereitschaft gekennzeichnet, in der Welt bestimmte Zeichen zu finden", schreiben Clara Schliessler, Oliver Decker und Nele Hellweg in einem Artikel der Leipziger Autoritarismus Studie von 2020 über Esoterik und Verschwörungsglaube.

Die Idee, alles sei mit allem verbunden, erfülle sowohl in der Esoterik als auch im Verschwörungsglauben einen ganz konkreten Zweck: Ohnmacht, Kontrollverlust und Angst werden auf diese Weise erträglicher.

Während die Verschwörungserzählungen die Ursache allen Übels in bestimmten Personen und Personengruppen finden, sind es in der esoterischen Vorstellung eher strafenden Kräfte in der Natur, die durch die Misshandlung der Menschen erzürnt ist. Oder eben Karma.

Bitte beachten bei Yoga, Meditation und anderen spirituellen Praktiken: Was oft am stärksten wächst, ist das EgoBild: Gokhan Balci/AA/picture alliance

"Wenn ich glaube, dass ich mir mein Schicksal in einem früheren Leben gewählt habe, halte ich die Illusion von Handlungsfähigkeit aufrecht", sagt Schliessler. Um die eigentliche Analyse der eigenen Verantwortung komme man auf diesem Weg herum. Verantwortlich sind die anderen, die sich rächende Natur, Karma, nur nicht ich.

Eine personalisierte Verschwörungsmentalität, gepaart mit esoterischem Glauben kann sich auch in ein und derselben Person vereinen. Forschende beschreiben diese Denkform mit dem Begriff "Conspirituality".

"Das Konzept vereint die Grundüberzeugungen, dass eine kleine Gruppe heimlich versuche, die politische und soziale Ordnung zu kontrollieren, und dass sich die Menschheit momentan in einem Wandel hin zu einer höheren Form von Bewusstsein, einem neuen Zeitalter befinde", heißt es in der Leipziger Autoritarismus-Studie.

Esoterik öffnet eine Tür nach rechts

"Sowohl Esoterik als auch Verschwörungserzählungen haben starke anti-moderne Motive", sagt Schliessler. Ein bestimmter Zustand in der Vergangenheit werde idealisiert und könne nur durch einen Umsturz oder eine Katastrophe wieder herbeigeführt werden.

Im Esoterischen sei das die falsche Vorstellung eines harmonischen Urzustandes im Einklang mit der Natur, in der rechtsextremen Ideologie die Vorstellung von einem homogenen Volk. "Beides Dinge, die es so nie gab", sagt Schliessler.

So wird auf Demonstrationen und Social-Media-Plattformen das Virus einerseits als ein Zeichen eines neuen Zeitalters begrüßt, es wird zu Mediationen zur Virusbekämpfung aufgerufen und gleichzeitig wird die Pandemie für eine Verschwörung einer globalen Elite gehalten, schreiben Schliessler, Hellweg und Decker in ihrem Artikel.

Viele Verschwörungserzählungen arbeiten mit antisemitischen Codes und Chiffren oder wurzeln direkt im Antisemitismus. "Globale Finanzelite", "Puppenspieler" oder "Strippenzieher" sind solche Codes, die häufig im Kontext antijüdischer Erzählungen genutzt werden.

Der Schulterschluss zwischen esoterischem und rechtem Gedankengut ist nicht neu, es gab ihn schon zur Zeit des Nationalsozialismus. Auch auf den Corona-Demonstrationen in Deutschland protestierten von Beginn an Rechtsextremisten neben Esoterikern. 

Die Sozialpsychologin Clara Schliessler sieht deshalb in der Esoterik ein großes radikalisierendes Potential, das in den Überschneidungspunkten zu Verschwörungsideologien stecke und sich insbesondere in Krisenzeiten mobilisieren lasse.

Trotz all dem sind Meditation und Yoga nichts per se Schlechtes. Zumindest dann nicht, wenn, die Praktiken eben nicht dazu genutzt würden um Bedürfnisse nach Sicherheit, Zugehörigkeit oder Selbstaufwertung zu befriedigen, wie Scott Barry Kaufman schreibt. Sondern, "wenn wir uns darin üben, das eigene Denken und Verhalten zu beobachten, und das clevere Ego dabei erwischen, wie es aus den Praktiken einen Nutzen ziehen will". 

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