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Corona: Fünf Jahre erster Lockdown in Deutschland

22. März 2025

Am 22. März 2020 wurden fast alle Geschäfte, Betriebe und Schulen geschlossen, um das tödliche Corona-Virus einzudämmen. Die Aufarbeitung spaltet Deutschland bis heute.

"Sorry! Wir haben GESCHLOSSEN" steht auf einem Schild, das hinter der Fensterscheibe eines Lokals hängt. Der Grund steht auf dem selben Schild: "Wegen Lockdown Covid 19". Die Bezeichnung "Covid 19" ist die englische Abkürzung für das im Jahr 2019 entdeckte Corona-Virus. Das englische Wort "Lockdown" bedeutet "Ausgangssperre".
"Covid 19" - so der Name der Krankheit, die ab Anfang 2020 die Welt lahmlegteBild: K. Schmitt/Fotostand/picture alliance

An einem Sonntag haben die meisten Menschen frei. Das Wochenende ist die Zeit zum Entspannen, für Spaziergänge und um sich mit der Familie und Freunden zu treffen. Doch die Stille an diesem Sonntag - am 22. März 2020 - ist trügerisch, fast schon gespenstisch. Deutschland befindet sich im Corona-Lockdown. Die politisch Verantwortlichen haben erstmals so starke Beschränkungen verhängt, um die weltweit grassierende Atemwegserkrankungin den Griff zu kriegen.

Sieben Millionen Tote weltweit, 187.000 in Deutschland

Das stark ansteckende Corona-Virus, auch als Sars-Cov2 bekannt, bringt das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben global weitgehend zum Erliegen. Rund drei Jahre gelten überall auf der Welt mal mehr, mal weniger starke Kontaktbeschränkungen. Trotzdem sterben fast sieben Millionen Menschen an der Covid-19 genannten Krankheit. In Deutschland sind 187.000 Tote zu beklagen, die mit oder an Corona sterben. Die letzten Corona bedingten Auflagen, darunter die Pflicht zum Tragen einer Mund- und Nasenmaskein bestimmten Einrichtungen, enden im April 2023.

Verschwunden ist die Infektionskrankheit allerdings nicht - im Gegenteil: Weiterhin erkranken Menschen an dem sich ständig verändernden, aber inzwischen für die meisten Menschen weniger gefährlichen Virus. Viele leiden an Spätfolgen, dem sogenannten Post oder Long Covid, aber auch an Impfschäden. Und noch immer gibt es weder eine umfassende gesellschaftliche, noch eine politische Aufarbeitung. Einer, der das schon länger kritisiert, ist Deutschlands Staatsoberhaupt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Steinmeier hat vom Deutschen Bundestag mehr erwartet

"Die Menschen in unserem Land erwarten, dass wir uns gründlich mit dieser Zeit befassen", sagte der Bundespräsident dieser Tage in einer von ihm initiierten Gesprächsrunde über die Nachwirkungen und Lehren aus der Corona-Zeit. Dabei bedauerte er, dass der Deutsche Bundestag in der gerade endenden Legislaturperiode um dieses Thema einen großen Bogen gemacht hat.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M.) hat zehn Frauen und Männer aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zum Gespräch über die Corona-Pandemie in seinen Berliner Amtssitz Schloss Bellevue eingeladen Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture-alliance

"Ich halte es für unabdingbar, dass Transparenz hergestellt wird, damit wir möglichst viele Menschen zurückgewinnen, die in der Zeit der Pandemie an der Demokratie, an den Institutionen gezweifelt haben", betonte Steinmeier. Viele Einschränkungen seien notwendig gewesen, um die Ausbreitung der Seuche aufzuhalten. Dazu habe leider auch gehört, Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren. Trotzdem hat der Bundespräsident viele drängende Fragen.

"Welche Rolle hatte die Politik, welche die wissenschaftliche Beratung?"

"Waren flächendeckende Schulschließungen nötig? Waren Grundrechtseinschränkungen wie die der Versammlungsfreiheit unvermeidbar? Hat die Diskussion, wie wir sie geführt haben in Deutschland über die Impfpflicht, eher geschadet? Welche Rolle hatte die Politik, welche die wissenschaftliche Beratung und welche sollen sie in Zukunft in vergleichbaren Lagen haben?"

Antworten bekam Steinmeier von seinen Gästen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Medizin, Bildung, Forschung, Pflege, Sport, Kultur, Politik. Maxi Brautmeier-Ulrich leitet eine Grundschule in Paderborn (Nordrhein-Westfalen). Wie viele andere in der Runde berichtete sie von der anfänglichen Kreativität, um etwa digitalen Unterricht zu ermöglichen. Aber irgendwann sei die große Erschöpfung eingetreten.

"Die Ängste sind heute auch noch da"

"Leidtragende waren auch und besonders die Kinder und Jugendlichen", sagte die Pädagogin. Die Folgen spüre sie bis in die Gegenwart. Das Vertrauen in Schule und das Bildungssystem sei nachhaltig gestört worden. Der Grund: Familien hätten plötzlich vieles allein machen müssen – neben der eigenen Arbeit. Brautmeier-Ulrichs Fazit: "Diese Ängste sind heute auch noch da."

Schule – online in Kontakt

02:54

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Welche Lehre aus den Erfahrungen der Corona-Zeit zu ziehen ist, fasst die Schulleiterin in einer Forderung zusammen: "Grundsätzlich müssen Kinder viel mehr in den Blick genommen werden – jetzt und immer." Man könne nicht aufholen, was an Schädigungen und nicht gemachten Erfahrungen stattgefunden habe. Ihre Beobachtung nach dem Ende der Pandemie: Viele Kinder hätten sprachliche Defizite - ausgelöst durch das lange Tragen von Masken und verstärkten Konsum digitaler Medien.

Die meisten Toten waren 80 Jahre und älter

Astrid Thiele-Jérome leitet ein Seniorenheim im Kreis Warendorf (Nordrhein-Westfalen). Sie hat in den schlimmsten Corona-Phasen viele Menschen sterben sehen. Fast die Hälfte der 187.000 Toten in Deutschland waren 80 Jahre und älter. Familienangehörigen war es damals teils verboten, das Heim zu betreten. Daran hat Thiele-Jérome noch heute zu knabbern - auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten das nicht verstanden.

"Wenn ich mit Schutzkleidung in die Zimmer darf - mit meinem Anzug, meiner Maske, meinem Visier - wieso dürfen das die Angehörigen dann nicht?", fragte sich das Pflegepersonal. "Und dann haben wir das Fenster aufgemacht und haben sie reingelassen, um Abschied zu nehmen." Das sei aber nur möglich gewesen, weil die Fenster im Erdgeschoss ihres Seniorenheims bis zum Boden reichen.  

Zwölf-Stunden-Schichten im Seniorenheim

Ein Wort war beim Treffen mit dem Bundespräsidenten besonders oft zu hören: Solidarität. "Das ist eigentlich unglaublich gewesen", erinnerte sich auch Thiele-Jérome an den Zusammenhalt ihres Teams, das sich in Zwölf-Stunden-Schichten um die alten und deshalb besonders gefährdeten Menschen kümmerte. Auch Gastgeber Steinmeier lobte mehrmals den weit verbreiteten Zusammenhalt in Deutschland.

Zugleich machte er immer wieder deutlich, wie wichtig ihm ein kritischer Rückblick ist: Er halte es für sehr wichtig, aufzuarbeiten, was gut gelaufen sei und was weniger gut. Dabei solle man aber nicht vergessen, dass viele Maßnahmen auf Grundlage des damaligen Stands der Erkenntnisse getroffen worden seien. "Und es ging immer um eines: möglichst viele Menschenleben zu retten. Das ist uns alles in allem auch gelungen", resümierte der Bundespräsident.

In Brandenburg gibt es eine Enquête-Kommission zu Corona 

Trotzdem erwartet er vom nächsten Bundestag und der künftigen Regierung, die Corona-Zeit fünf Jahre nach dem ersten Lockdown endlich aufzuarbeiten. Das Bundesland Brandenburg geht voran und hat eine Enquête-Kommission eingesetzt. In dem Gremium sitzen Parlamentsabgeordnete, Vertreterinnen und Vertretern der Kommunen sowie Fachleute aus der Wissenschaft.

Sorge vor Verschwörungstheorien und neuem Misstrauen

"Wenn wir nicht aufarbeiten, dann bleibt zu viel, was verdrängt wird", warnte Steinmeier in seiner Corona-Gesprächsrunde. Was man nicht offen anspreche, nähre Verschwörungstheorien und neues Misstrauen. Beides sei Gift für die Demokratie, sagte der Bundespräsident. "Beides spielt Populisten in die Hände, und das dürfen wir nicht zulassen."

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland