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Corona-Furcht bei der Tour de France

Tom Mustroph
12. Juli 2022

Corona begleitet die Tour de France. Wer positiv ist, aber ohne Symptome, darf im Feld bleiben. Das rettet nicht nur den Wettkampf, sondern wird auch zu einem medizinischen und sozialen Großversuch.

TOUR DE FRANCE 2022
Der belgische Radprofi Wout Van Aert zieht sich eine Mund-Nasen-Maske übers Gesicht.Bild: Roth/picture alliance

Die Furcht geht um im Peloton, die Furcht vor Ansteckung durch COVID-19. "Ja, klar macht man sich Sorgen", sagte Max Walscheid zur DW. Der Profi aus der Nähe von Koblenz fährt für das französische Team Cofidis. Dessen Kapitän Guillaume Martin musste am Sonntag die Tour wegen eines positiven Corona-Tests verlassen. "Wir hatten auch schon mit Bryan Coquard vor dem Start der Tour einen positiven Fall. Klar geht einem das dann durch den Kopf. Mit Coquard war das nervlich sogar noch schlimmer. Denn da ging das Rennen noch gar nicht los und man hat natürlich auch Angst, dass die ganze Vorbereitung, der ganze Schweiß, das Blut und die Tränen dabei, schon vor Beginn völlig ins Nichts auflöst", erzählte der baumlange Sprinter.

Pflichttests am Ruhetag

Mehr als eine Woche läuft die Tour nun schon, mit einigen, aber wenigen Corona-Fällen. Am Ruhetag am Montag war die Aufregung dann groß. Denn es standen die obligatorischen Corona-Tests der UCI an. "Ich möchte natürlich gern das Bergtrikot auf der Etappe tragen und hoffe, dass Corona mir keinen Strich durch die Rechnung macht", blickte Walscheids Teamkollege Simon Geschke auf die Testprozedur voraus. Das ist die zweite Furcht im Peloton, neben der Ansteckung selbst: aus dem Rennen genommen zu werden. So wie der Australier Luke Dirbridge vom Team BikeExchange oder George Bennett von UAR kurz vor dem Start der 10. Etappe am Dienstag. 

Im Team UAE von Titelverteidiger Tadej Pogacar war die Situation ähnlich wie bei Cofidis: Vor dem Start wurde bereits ein positiv getesteter Profi ausgetauscht. Und mitten im Rennen musste der Norweger Vegard Stake Laengen aufgrund von Corona abreisen. Mit Erleichterung nahm Pogacar dann die Nachricht der negativen Tests auf. "Ich hoffe, das war es jetzt für unser Team und wir bleiben bis zum Ende verschont", meinte er.

Geänderte Corona-Regeln

Aber die Unsicherheit fährt mit. Profi Walscheid, der vor seiner Karriere Medizin studierte und bis zum ersten Staatsexamen kam, befürchtet weitere Fälle im Laufe der Tour. Zum einen befindet sich das Virus ja bereits im Peloton. Es gab positive Tests und Ausschlüsse von Fahrern. Zweitens änderte der Radsportweltverband UCI kurz vor der Rundfahrt seine Corona-Regeln. Wer positiv getestet wird, muss nicht automatisch mit einem Ausschluss rechnen wie noch zuvor. Vielmehr entscheiden der Chefmediziner der UCI, der Rennarzt der Tour und der Teamarzt, ob die Viruslast so gering ist, dass der Fahrer im Rennen bleiben darf.

Max Walscheid vom Team Cofidis geht von weiteren Corona-Fällen bei der Tour ausBild: Roth/picture alliance

"Wir haben uns an der aktuellen Situation orientiert, mit der hohen Impfquote im Peloton und den weniger schweren Verläufen durch die hauptsächlich im Umlauf seienden Virusvarianten", begründete UCI-Präsident David Lappartient beim Grand Depart gegenüber der DW diese Entscheidung.

Bei den Tour-Teilnehmern und ihren Betreuern trifft das auf große Zustimmung. Denn das Risiko des Ausschlusses und gar des Ausschlusses ganzer Teams ist so minimiert. Die alten Regeln sahen noch die Abreise ganzer Teams bei zwei positiven Fällen vor.

Angst vor Mini-Peloton in Paris

"Die neuen Regeln sind gut, denn sie verhindern eine Situation wie bei der Tour de Suisse. Mehr als 50 Fahrer sind da wegen Corona abgereist, entweder weil sie positiv waren oder weil sich ganze Teams aus Vorsicht zurückzogen. Für die Tour würde das bedeuten, dass nur noch fünf Mann in Paris ankommen", meinte Richard Plugge, Teamchef von Jumbo-Visma, zur DW. Auch Plugge kann natürlich nicht ausschließen, dass sich Fahrer im Peloton gegenseitig anstecken. Zu dicht fahren sie nebeneinander. Einer ist in der Atemluft des anderen. "Im Feld geht es chaotisch zu. Du kannst dir schlecht aussuchen, an welchem Hinterrad du bist", meinte trocken Gabriel Rasch, Ex-Profi und aktuell als sportlicher Leiter bei Team Ineos Grenadiers bei der Tour, zur DW.

Risiko: Atemluft schreiender Fans

Und auch die Sorge, sich auf der Strecke das Virus einzufangen, geistert herum in den Köpfen der Tour-Teilnehmer. "Jeden Tag sind so viele Leute an der Strecke, besonders in den Bergen. Ich mag das ja, auch, wie sie schreien. Aber das erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, das Virus zu bekommen", zeigte sich Pogacar nachdenklich.

Guillome Martin vom Team Cofidis musste nach einem positiven Test aus der Rundfahrt aussteigenBild: Roth/picture alliance

Die extra für die Tour gemachten Regeln finden dennoch großen Zuspruch. Denn sie ermöglichen den Wettkampf. "Wir wollen nicht gegen COVID kämpfen, sondern Rennen fahren. COVID ist nicht mein größter Rivale", meinte Pogacar. Und auch Plugge vom Rennstall Jumbo Visma - dort fahren die Tour-Zweiten von 2020 und 2021, Primoz Roglic und Jonas Vingegaard - möchte nicht, dass die Tour durch das Virus entschieden wird. Der Niederländer hat sogar Zahlen bei der Hand, die Anlass zu vorsichtigem Optimismus geben könnten.

"Bei uns in den Niederlanden gibt es gerade viele große Konzerte. Da stecken sich etwa 20 Prozent der Teilnehmer mit COVID an. Das ist nicht wenig. Es bedeutet aber auch, dass 80 Prozent sich nicht anstecken. Die Chancen, kein COVID zu bekommen, sind also recht groß", meinte er zur DW. Und er argumentierte: "Wir sollten COVID aktuell wie eine Influenza betrachten, natürlich mit all den bekannten Vorsorgemaßnahmen hinsichtlich Hygiene, Maske und Abstand halten. Aber nur wer krank ist, wer Symptome hat, sollte raus. Denn er schafft es erkrankt ohnehin nicht über die Berge."

Grippe oder tödliche Bedrohung?

Die Tour de France ist gegenwärtig ein Großversuch mit 164 Athleten, etwa 450 Betreuern, 480 Mitglieder der Werbekarawane, rund 4000 Journalisten und Mitarbeitern der Organisation sowie 300 Polizisten, die bei jeder Etappe mitfahren und etwa 28.000 Polizisten und Feuerwehrleuten am Rande der Strecke. In ihrem Verlauf wird nicht nur ermittelt, wer der beste Rundfahrer, der beste Kletterer und der schnellste Sprinter in diesem Zweiradsport ist. Es wird auch die These überprüft, oft COVID inzwischen tatsächlich eher wie eine Grippe anzusehen ist und ihr nicht mehr mit Mitteln wie gegen eine tödliche Bedrohung zu begegnen ist.

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