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Museen archivieren die Corona-Pandemie

18. April 2020

Die Corona-Krise ist ein historisches Ereignis. Deshalb beginnen Museen, Zeitzeugnisse zu sammeln: Fotografien von leeren Plätzen, selbstgenähten Masken, Pandemie-Tagebücher. Der Ausnahmezustand geht in die Archive ein.

Ein Bild aus dem Projekt: "Corona in Vienna" des Wiener Museums, man sieht eine Frau mit einem Social Distancing Tutu
Ein Zeugnis des Jetzt für die Zukunft aufbewahrt: ein Social-Distancing Tutu aus dem Wien MuseumBild: Wien Museum/Peter Feermann & Esther Zahel

Rita Wagner sitzt mutterseelenallein in ihrem Büro im Stadtmuseum von Köln. Die meisten ihrer Kollegen arbeiten derzeit im Home Office. Mein erstes Interview mit Mundschutz – schon das ist ein historischer Augenblick im neuen Corona-Alltag. Niemand kann jetzt schon sagen, wie diese Monate der Ausnahmesituation in die Geschichte eingehen werden. Doch für eine Historikerin wie Rita Wagner sind sie eine ganz besondere Herausforderung. Was können Museen tun, wenn der Alltag eingefroren ist und die Lage sich täglich verändert? Sie können Zeugnisse des Jetzt für die Zukunft sammeln.

Wie hat Corona den Haushalt, den Arbeitsplatz, die Freizeitbeschäftigungen verändert? Mit der Bitte, Objekte, die den neuen Corona-Alltag prägen, nicht wegzuschmeißen, sondern zu fotografieren und einzusenden, wenden sich derzeit Museen und Universitäten in ganz Deutschland von Hamburg über München bis hin zu Köln an die Menschen. Sie möchten diesen Alltag festhalten, nicht nur für das private, sondern für das kollektive Gedächtnis.

Was heute Alltag ist, gehört morgen ins Museum

Eines der ersten Ausstellungshäuser, das erkannt hat, dass diese Zeugnisse von großer Bedeutung für die Zukunft sein werden, ist das Stadtmuseum Wien.

Selbstgehäkeltes CoronavirusBild: Wien Museum/Monika Österreicher,

Mehr als 1300 Menschen sind seit dem 25. März bereits dem Aufruf gefolgt und haben ihre Eindrücke von der Corona-Pandemie per E-Mail eingesandt. "Eines meiner Lieblingsobjekte ist ein selbstgehäkeltes Coronavirus. Er ist nicht nur putzig, er zeigt, dass Objekte Botschafter ihrer Zeit sind", sagt Matti Bunzl, Direktor des Wien Museums, und verweist darauf, dass die Pandemie heute nicht mit Epidemien früherer Zeiten zu vergleichen ist. "Wir leben in einem Zeitalter, in dem die meisten Menschen über biologische Strukturen Bescheid wissen", was unter anderem in einem Objekt wie einem gehäkelten Coronavirus in Rot und Gelb zum Ausdruck komme. Eine Darstellung wie diese sei in der Medizingeschichte etwas völlig Neues, sagt Bunzl. "Wenn wir uns die Abbildungen der Pest anschauen, so wurde sie oft dämonisiert, nicht zuletzt, weil sie nicht verstanden werden konnte. Heute ist das populärmedizinische Wissen ein ganz anderes."

Nie war es aber auch so leicht, den Alltag zu dokumentieren. Das Smartphone schafft Möglichkeiten, die vergangene Zeiten nicht boten. Balkonkonzerte – so viel ist sicher – wird es in Zeiten früherer Epidemien nicht gegeben haben. Und eine digitale Möglichkeit, sie aufzuzeichnen, genauso wenig. Die Dokumente und Dinge, die auf der Website des Stadtmuseum Wien zu sehen sind, zeigen aber auch, dass die Corona-Pandemie trotz aller Unsicherheiten auch viel Humor und Kreativität zutage fördert. Menschen gehen mit Abstandhaltern aus Holzlatten durch einen Park spazieren, vor Geschäften stehen provisorisch gebastelte Spuckschutzwände, und überall sieht man selbstgenähte bunte Mundschutze aus Stoffresten.

Corona-Teststation statt Oktoberfest

In München dokumentiert der Fotograf Olaf Otto Becker die Corona-Realität. Menschen warten in ihren Autos vor einer Corona-Teststation auf der Theresienwiese. Wo Jahr für Jahr das Oktoberfest für einen großen Touristenansturm sorgt, stauen sich nun Kranke in den Karosserien großer Automobilhersteller.

Liegen oft irgendwo rum: Weggeworfene GummihandschuheBild: Wien Museum/Charlotte Repper

Noch nie hat eine Krise das Leben in so schneller Zeit vollständig verändert: Soziale Kontakte außerhalb der Familie mit mehr als zwei Personen sind verboten, Schulen und Kindergärten sind geschlossen, ebenso Veranstaltungsstätten und Geschäfte, und vor Supermärkten steht man Schlange – natürlich mit Abstand- , weil sich dort nicht zu viele Menschen auf einmal begegnen sollen. Ein Relikt dieser Zeit findet sich auf vielen Straßen, Wegen und Büschen: weggeworfene Gummihandschuhe.

Was ist historisch bedeutsam?

Rita Wagner vom Kölnischen Stadtmuseum ist sich noch nicht klar darüber, welche Gegenstände historisch bedeutsam sind. Sie möchte so viele Dinge wie möglich sammeln, damit die Nachwelt die Möglichkeit hat, sich an diese Zeit zu erinnern. Das erste inventarisierte Objekt der Pandemie im Kölner Stadtmuseum ist ein Merkblatt der Stadt Köln zum Thema "Umgang mit Corona". "Außerdem haben wir die Zusage zu zwei Schutzmasken, die bei der letzten Ratssitzung in Köln getragen wurden - von einem der Bürgermeister und einem weiteren Rats-Politiker."

Auch das Deutsche Historische Museum in Berlin sieht in der Pandemie ein neues Gebiet der Sammlungsgeschichte und will an bereits existierende Linien anknüpfen. Objekte früherer Zeiten erinnerten an vergangene Epidemien wie die Pest, dabei handele es sich vor allem um medizinische Zeugnisse zur Bekämpfung von Krankheiten oder der Ausgrenzung von Kranken, sagt Fritz Backhaus, Abteilungsleiter Sammlung des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Den Corona-Alltag dokumentieren

Im Kölnischen Stadtmuseum erinnert ein Gemälde an die Pest im 17. Jahrhundert. Es zeigt kranke Soldaten vor dem Kölner Dom. Doch, so Rita Wagner, fehlten aus dieser Zeit Alltagsgegenstände. Die Gegenwart als Sammelgebiet sei noch jung, zumindest im Stadtmuseum. "Im 20. Jahrhundert war den Menschen Krankheit eher peinlich. Zeitzeugnisse befinden sich nur in medizinhistorischen Sammlungen." Alltag zu dokumentieren, beschränkte sich lange Zeit auf Folkloregegenstände oder bäuerliche Gerätschaften, sagt sie. "Gegenwart sammeln ist eine Errungenschaft, die es erst seit den 1970er Jahren gibt". Nun hofft das Kölnische Stadtmuseum – so wie alle anderen historischen Museen –, die Sammlung um Gegenstände der Corona-Gegenwart zu erweitern. "Was spätere Generation im Endeffekt daraus machen, das wissen wir jetzt noch nicht."

 

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