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Politik

Corona: Geht Tracking vor Datenschutz?

27. März 2020

Asien setzt bei der Bekämpfung des Coronavirus vor allem auf Social Tracking, Europa auf Social Distancing. Aber wieviel Datenschutz kann sich Deutschland im Corona-Zeitalter leisten? Die Bundesregierung ist zerstritten.

Spanien | Coronavirus | APP Erkennen von Symptomen
In Katalonien stellen die Behörden Bürgern eine App zur Verfügung, mit der Symptome erfasst und verfolgt werden Bild: picture-alliance/Zuma/Sopa Images/P. Freire

Soll Deutschland im Kampf gegen Corona mehr auf digitale Überwachung setzen? In der Bundesregierung wird über diese Frage weiterhin gestritten. Bundesdatenschutzbeauftragter Ulrich Kelber (SPD) widerspricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

In einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" verweist der Gesundheitsminister Jens Spahn auf das Beispiel Südkorea. "Wir sehen, dass es einem demokratischen Staat wie Südkorea gelungen ist, mit der Nutzung von Handydaten das Virus zu bekämpfen", erklärt Spahn. Mithilfe der Handydaten hätten dort Kontakte von Infizierten schnell verfolgt und mögliche Infektionsgefahren lokalisiert werden können. Die Betroffenen seien dann gebeten worden, in Quarantäne zu gehen. 

Weniger Datenschutz, mehr Freiheit?

Bundesgesundheitsminister Spahn: "Wir kommen um das Handy-Tracking nicht herum"Bild: Reuters/F. Bensch

Spahn prognostiziert: "Wer nach Wegen sucht, wie man aus all den aktuell notwendigen Einschränkungen der Freiheit wieder herausfindet, der kommt um die digitale Nachverfolgung von Kontakten, also um das Handy-Tracking, nicht herum."

Im Gespräch mit der DW widerspricht Christof Stein, Sprecher des Bundesbeauftragten für Datenschutz, dem Gesundheitsminister. "Wir sollten vermeiden, dass wir den Datenschutz aus Angst nicht mehr berücksichtigen. Wenn ab morgen im Radio jeden Tag die Namen von allen Infizierten verlesen würden, würden viele Bürgerinnen und Bürger das sicher für unverhältnismäßig halten", so Stein.

Die Bundesregierung hatte am Montag angesichts steigender Corona-Infektionen eine Novelle des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet, in dem das Standort-Tracking ursprünglich vorgesehen war. Nach Kritik von Datenschützern wurde der strittige Passus gestrichen.

"Für die Praxis ungeeignet"

Nach Einschätzung des Bundesdatenschutzbeauftragten handelt es sich bei dem Thema Handy-Tracking um eine Scheindebatte. "Das Handy-Tracking wäre auch für die Praxis ungeeignet: Die Daten würden über Funkzellen erhoben, die einen Radius von mehreren hundert Metern abdecken. Man könnte nicht erkennen, ob zwei Personen nebeneinander gestanden haben oder am jeweils anderen Ende der Straße. So eine Maßnahme wäre zur Infektionsbekämpfung ungeeignet," meint Stein.

Das Leben geht weiter: Passanten mit Atemschutzmasken in einem Einkaufsviertel in Seoul Bild: picture-alliance/dpa/AP/A. Young-Joon

Triangulierung - so bezeichnen Experten die Auswertung von Standortdaten durch Mobilfunkbetreiber aus Mobilfunkzellen. Es wird dabei nachverfolgt, von welchem Mobilfunkmast aus wann ein Handy eine Verbindung aufgebaut hat.

"Absurde Grenzschließung"

Für den koreanisch-deutschen Philosophen und Theologen Byung-Chul Han mutet die deutsche Debatte über Datenschutz merkwürdig an. Sie ist für ihn Ausdruck der unterschiedlichen Mentalität und Kultur Asiens und Europas. In einem Beitrag für die spanische Tageszeitung "El País" zog Han, der bis 2017 Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin lehrte, eine für Europa negative Bilanz. "In Taiwan und Südkorea ist es nicht verboten, das Haus zu verlassen. Geschäfte und Restaurants sind nicht geschlossen. 'Big data' ist bei der Bekämpfung des Virus effektiver als die absurde Grenzschließung in Europa", so Han.

In Asien würden Epidemien nicht nur von Virologen und Epidemiologen bekämpft, sondern primär von Software-Spezialisten. Ein kritisches Bewusstsein gegenüber digitaler Überwachung gebe es nicht.

Konfuzius-Grabstätte in der Stadt Qufu. Die Lehren des chinesischen Philosophen prägen die Kultur des Landes bis heuteBild: dpa

Laut Han liegt dies unter anderem an den konfuzianischen und autoritären Traditionen in Ländern wie Taiwan, Singapur, Südkorea, Japan und China. "Die Bevölkerung vertraut mehr auf den Staat, und die Gesellschaft begreift sich mehr als Kollektiv. Individualismus ist weniger stark ausgeprägt", schreibt Han.

Grünen-Politiker Ralf Fücks, bis 2017 Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, will verhindern, dass in Deutschland Datenschutz und Gesundheitsschutz gegeneinander ausgespielt werden. "In China und Südkorea spielen Big Data und Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle bei der Unterbrechung von COVID-19-Infektionsketten", tweetet Fücks. "Wollen wir das nicht, oder können wir es nicht?"

Mit einer App gegen Corona

Doch trotz aller Skepsis: Europaweit arbeiten derzeit verschiedene Forschungsinstitute mit Hochdruck daran, mit einer digitalen Lösung einen Beitrag zur Eindämmung des Coronavirus leisten zu können. "In Deutschland entwickelt das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut (HHI) eine Applikation, die es ermöglicht, vollständig anonym und ohne Ortserfassung (weder mit GPS noch anderen Quellen) die Nähe und die Dauer des Kontakts zwischen Personen in den vergangenen zwei Wochen auf dem Handy anonym abzuspeichern", bestätigt Innovationsmanagerin Monique M. Kuglitsch vom HHI im Gespräch mit der Deutschen Welle. Damit könnten Infektionsketten digital rekonstruiert werden. 

Die App werde auf freiwilliger Basis genutzt und stimme vollständig mit den deutschen Datenschutzgesetzen überein. Kuglitsch: "Wir sind zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen eine Lösung präsentieren können."

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