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Politik

Corona-Gipfel: Mehr Impfstoff für arme Länder

22. September 2021

Während der Globale Norden seinen Bürgern mittlerweile Auffrischdosen verabreicht, ist in manchen Ländern des Südens praktisch niemand gegen COVID-19 geimpft. Nun soll es ein Corona-Gipfel bei den UN richten.

Tansanina | COVID-19 Impfstoff aus der COVAX Initiative
Tansania ist auf Impfstofflieferungen durch die COVAX-Initiative angewiesenBild: Domasa Sylivester/AP/picture alliance

"Es ist toll, Sie alle hier zu sehen, und ich hoffe, das bedeutet, dass Sie sich auch testen und impfen lassen, wenn sie noch nicht geimpft sind." Das rief die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, den Anwesenden zu, als sie den Test- und Impfbus präsentierte, der für die Teilnehmer der 76. UN-Generaldebatte vom 21. bis 25. September bereitsteht.

Noch Ende vergangener Woche hatte sie die 193 Mitgliedstaaten ersucht, ihre Delegationen nicht persönlich nach New York zu entsenden, sondern nur virtuell. Ihre Befürchtung: Das Gipfeltreffen in New York könnte zu einem "Super Spreader Event" werden.

Doch allzu viele Länder folgten dem Aufruf nicht. Und im Gegensatz zu allen anderen USA-Reisenden müssen die Spitzenpolitiker und ihre diplomatischen Delegationen lediglich einen frischen negativen Corona-Test vorlegen, nicht aber einen Impfnachweis.

Teilweise weniger als ein Prozent geimpft

Dass viele Diplomaten das offenbar auch gar nicht könnten, ist Ausdruck der extremen weltweiten Ungleichverteilung der Vakzine: Während in den reichen Ländern die Impfstoffe chargenweise zu verfallen drohen, stehen in armen Ländern offenbar nicht einmal genug Dosen zur Verfügung, um Diplomaten gegen COVID-19 zu impfen.

Nach Angaben von "Our World in Data" sind in Tansania, Haiti, Turkmenistan und weiteren Ländern bisher weniger als ein Prozent der Bevölkerung  vollständig geimpft. In Afrika als Ganzes sind bisher etwa 135 Millionen Impfdosen verabreicht worden. Das reicht für knapp vier Prozent Voll- und gut sechs Prozent Teilgeimpfte.

Die EU, mit einem Drittel der Einwohnerzahl Afrikas, hat viermal so viele Dosen verimpft. Die kleineren USA noch mehr. China, das unwesentlich mehr Einwohner zählt als Afrika, hat mehr als zwei Milliarden Mal gegen COVID-19 gespritzt.

Impfstoffspenden kommen nicht in Gang

Dass sich daran etwas ändern sollte, darüber besteht international weitgehende Einigkeit - zumindest vorgeblich. China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Deutschland und andere europäische Staaten haben sich der COVAX-Initiative angeschlossen, die Frankreich, die Europäische Union und die Weltgesundheitsorganisation im April 2020 gegründet hatten, damit Impfstoffe nicht nur in den Ländern landen, die genug Geld dafür bieten.

Die USA hatten diesbezüglich lange ihr eigenes Süppchen gekocht und sporadisch Impfstoffe an Partnerländer geliefert. Ende Juli hatte Präsident Joe Biden dann angekündigt, eine halbe Milliarde Impfdosen über mehrere Wege, darunter auch COVAX, zu spenden. Nun hat er am Rande der UN-Vollversammlung einen Corona-Gipfel einberufen.

US-Präsident Joe Biden ruft zu einem Impfgipfel am Rande der UN-Vollversammlung aufBild: EDUARDO MUNOZ/REUTERS

Amnesty International und WHO wollen Fortschritte sehen

Menschenrechts- und Hilfsorganisationen fordern schon lange, dass endlich mehr Impfstoff in den Globalen Süden geliefert wird. Pünktlich zum Corona-Gipfel hat nun Amnesty International einen Bericht vorgelegt, der die Problematik erneut beleuchtet. Darin greift die Menschenrechtsorganisation vor allem die westlichen Pharmakonzerne an, weil sie darauf bestünden, ihre Patente zu schützen, obwohl sie die Wirkstoffe auch dank Milliarden Dollar an öffentlichen Forschungsgeldern entwickelt hätten. Stattdessen sollten sie ihr Wissen teilen, um Produktion weltweit zu ermöglichen, so die Forderung.

Neben den Unternehmen nimmt Amnesty auch Regierungen in die Pflicht: "COVID-19-Impfstoffe müssen einfach verfügbar und zugänglich für alle sein. Es ist an Regierungen und Pharmaunternehmen, dies umzusetzen", fordert Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard in einer Pressemitteilung zur Veröffentlichung der Studie. In den verbleibenden 100 Tagen des Jahres sollten zwei Milliarden Impfdosen an Länder mit niedrigen und sehr niedrigen Einkommen verteilt werden, um 40 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen. Dies ist auch das Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Lieferüberschüsse könnten Abhilfe schaffen

Das erscheint auf den ersten Blick sehr ambitioniert. Allerdings haben die Datenanalysten von Airfinity errechnet, dass Anfang September allein in Nordamerika, der EU, Großbritannien und Japan 500 Milliarden Impfdosen übrig waren. Bis Ende des Jahres könnten es beim derzeitigen Produktionstempo 1,2 Milliarden sein - ohne dass die genannten Staaten ihr eigenes Impftempo dafür drosseln müssten.

Elisabeth Massute, Expertin der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen, bestätigt das: "Das ist ein Problem der Verteilung. Die reichen Länder haben zu viel Impfstoffe eingekauft und der Globale Süden, die ärmeren Länder haben noch nicht genug."

Amnesty International: Pharmaunternehmen sollten auf Patente auf Imfpstoffe verzichtenBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Ärzte ohne Grenzen: "Technologie muss transferiert werden."

Auch Ärzte aus Deutschland berichten, dass sie möglicherweise nicht alle gelieferten Dosen vor dem Ablaufdatum verimpfen können. Nach Airfinity-Analysen könnten bis zum Jahresende 100 Millionen Impfdosen in reicheren Ländern ungenutzt verfallen. Damit der Impfstoff nicht verworfen wird, fordert Airfinity, sollte er so schnell wie möglich in Länder gebracht werden, wo er benötigt wird.

Dies sei zwar möglich und wünschenswert, sagt Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen, der logistische Aufwand sei allerdings sehr groß. Außerdem werfe dieses Vorgehen Haftungsfragen auf. Stattdessen müssten mehr Impfstoffe direkt an das globale Umverteilungsprogramm COVAX geliefert werden: "Das ist ein wichtiger Schritt, dass die Logistik so kurz wie möglich gehalten wird."

Letztlich werde aber auch das nicht reichen. Um den globalen Bedarf zu decken und auch die ärmeren Länder unabhängiger zu machen, müssten - wie auch Amnesty International fordert - die Produktionskapazitäten dort ausgeweitet und Technologie transferiert werden, sagt Massute: "Vor allem Firmen wie Moderna und BioNTech müssen ihre mRNA-Technologien transferieren, damit auch in anderen Ländern produziert und vor Ort geschaut werden kann, wie man die Impfstoffe auf die verschiedenen Varianten anpassen kann."

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.