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Politik

Corona-Hilfsfonds: Große Brücken bauen

Barbara Wesel
19. Juni 2020

Einig sind die EU-Regierungen nur darüber, dass es einen Corona-Hilfsfonds geben soll. Der Streit über Details soll im Juli weitergehen. Bis dahin muss Angela Merkel noch vermitteln. Barbara Wesel berichtet.

Deutschland | PK Merkel nach EU-Videogipfel
Angela Merkel gibt nach dem EU-Videogipfel eine PressekonferenzBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Im großen Ganzen ist man sich in der EU einig - und zwar darüber, dass es einen Corona-Hilfsfonds geben soll. Keine Regierung leugnet die Tiefe der kommenden Rezession. Über die Einzelheiten habe man sich am Freitag zwar in "konstruktiver Atmosphäre" unterhalten, wie die Bundeskanzlerin nach dem Video-Gipfel berichtet, aber es gebe eine Reihe offener Fragen. "Die Brücken, die wir noch zu bauen haben, sind groß". Deutschland übernimmt am 1. Juli die Ratspräsidentschaft der EU und damit die Aufgabe, die widerstrebenden Interessen der 27 auf einen Nenner zu bringen.

Streit entlang bekannter Fronten

Viele hätten nach der Datenbasis gefragt, auf der die Hilfsgelder an die von Corona meist betroffenen EU-Länder ausgeschüttet werden sollten. Auch sie sei sich nicht sicher, erklärte Angela Merkel, ob die Arbeitsmarktzahlen 2015 bis 2019 dafür die richtige Grundlage seien. Man müsse die direkten wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie einbeziehen, selbst wenn sie derzeit nicht so leicht zu ermitteln sind.

Möchte mehr Geld: Leo VaradkarBild: picture-alliance/dpa/PA/B. Lawless

Einer der glaubt, sein Land müsse unbedingt mehr Geld bekommen, ist zum Beispiel der irische Regierungsschef Leo Varadkar. Er schrieb auf Twitter, dass Irland schwer geschädigt sei und einen Anspruch auf mehr Hilfe aus dem Corona-Fonds habe. Das Beispiel zeigt, dass der Kampf um den Verteilungsschlüssel und die nationalen Anteile erst begonnen hat.

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz wiederum betonte, er sei "europäisch gut abgestimmt", insbesondere mit den Niederlanden, Schweden und Dänemark. Womit er noch einmal die Entschlossenheit der "Sparsamen Vier" zum Kampf gegen den Rest der EU bekräftigte. Die Regierungen in Wien und Den Haag wollen nach wie vor keine Beihilfen, sondern nur Kredite vergeben und stellen darüber hinaus die Größe des Fonds mit 750 Milliarden Euro infrage. "Da hat sich an den Positionen nichts geändert", sagt Merkel. In den nächsten Wochen muss sie nun dafür sorgen, dass auch die "Viererbande" kompromissbereit wird.

Die "Sparsamen Vier" Mark Rutte, Stefan Löfven, Mette Frederiksen (links am Tisch) und Sebastian Kurz (stehend) im Februar im Gespräch mit Charles Michel und Ursula von der LeyenBild: Getty Images/AFP/

Deutschland hat selbst noch Änderungsvorschläge für die Laufzeit der notwendigen Kredite: "Die Rückzahlung sollte noch in dieser Haushaltsperiode beginnen", sagt die Kanzlerin, das würde die Glaubwürdigkeit erhöhen. Das heißt, sie will keinen ewig rollierenden Kredit der EU-Kommission finanzieren, sondern unmittelbar nach Ende der Krise mit der Rückzahlung beginnen. Das kommt zum Beispiel den "Sparsamen Vier" entgegen.

Kompromiss ist möglich

Ein Konsens sei zu erkennen, sagt EU-Ratspräsident Charles Michel, wenn er auch die Schwierigkeiten nicht unterschätze und man weiter diskutieren müsse. Er muss dafür sorgen, dass für das nächste Gipfeltreffen konkrete Vorschläge und Rechenmodelle auf dem Tisch liegen. Möglicherweise erst Ende Juli oder Anfang August wollen sich die Regierungschefs erneut treffen, nach Monaten der Videokonferenzen dann wieder persönlich, um den großen Gesamt-Kompromiss zu schmieden.

Angela Merkel will bis dahin in kleinen Gruppen arbeiten, um die Interessen aller Länder anzunähern. Wie schwer das wird, zeigte etwa der schwedische Premier Stefan Löfven nach den Gesprächen vom Freitag: "Wir liegen weiter ziemlich weit auseinander. Generell muss es große Verbesserungen geben, bis der Hilfsfonds und der EU-Haushalt gut genug sind."

Ein bisschen größer werden die Brücken wohl sein müssen, die Angela Merkel bauen willBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die Probleme werden dadurch verschärft, dass nicht nur der Corona-Fonds, sondern auch der normale siebenjährige EU-Haushalt beschlossen werden muss. Man brauche noch deutliche Veränderungen, so der Schwede. Das klingt nach einem Bremsmanöver. Der französische Präsident Emmanuel Macron dagegen will einen ehrgeizigen Wiederaufbauplan und verweist auf den deutsch-französischen Vorschlag vom Mai, der allerdings mit 500 Milliarden Euro um ein Viertel kleiner ist als der Plan der EU-Kommission. Vielleicht liegt da die Landezone für einen der notwendigen Teilkompromisse. 

Streit auch über Bedingungen

Luigi Di Maio ist für SteuersenkungenBild: picture-alliance/Zuma/LaPresse

Einig sind sich die EU-Kommission und führende Mitgliedsländer, dass die Corona-Hilfsgelder an grüne, digitale und nachhaltige Projekte gebunden werden sollen. Angela Merkel weist immer wieder darauf hin, dass das Geld für die Zukunftsfähigkeit der EU ausgegeben werden solle. Es dürfe jedenfalls nicht für Steuersenkungen verschwendet werden, mahnen nördliche Länder. Der italienische Außenminister Luigi di Maio, Vertreter der "Fünf-Sterne-Partei" in der Regierungskoalition, will nämlich die EU-Milliarden als Steuersenkungen an die italienischen Verbraucher weitergeben.

Aber wie werden die förderungswürdigen Projekte kontrolliert? Die Aufsicht über die Gelder wird von der EU-Kommission ausgeübt, aber ist sie sowohl streng als auch flexibel genug? Hier stellt Angela Merkel die bisherigen bürokratischen Regeln und zugleich das EU-Wettbewerbsrecht infrage. Man wolle europäische Champions aufbauen, dafür müssten die Regeln angepasst werden.

Unter Zeitdruck

"Deutschland will eine zügige Einigung", betont die Bundeskanzleirn schließlich, denn es bleibe wenig Zeit. Wenn alle nationalen Parlamente bis Ende des Jahres dem Schuldenplan für die EU-Kommission zustimmen müssten, brauche man eine Einigung noch im Sommer. Man sei in einer "sehr, sehr harten wirtschaftlichen Situation", die EU müsse die größte ökonomische Herausforderung ihrer Geschichte bewältigen.

Schützenhilfe bekommt sie hier von EZB-Chefin Christine Lagarde. Sie sagt einen "dramatischen Absturz" der europäischen Wirtschaft voraus und fordert die EU auf, zur Speerspitze der Erholung zu werden. Die Europäische Zentralbank erwartet in diesem Jahr einen Fall der Wirtschaftsleistung von knapp neun Prozent.

Christina Lagarde: So wenig Zeit ist nochBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Die volle Auswirkung der Krise habe sich noch nicht gezeigt, so Lagarde. Insbesondere die Arbeitslosigkeit könne in den nächsten Monaten noch auf zehn Prozent steigen. Sie fordert die EU-Regierungschefs deshalb auf, schnell zu handeln. Noch sei Ruhe an den Finanzmärkten, weil sie ein baldiges Eingreifen der Europäer erwarteten.

Unter massivem Zeit- und Arbeitsdruck muss jetzt Deutschland das Steuer in der europäischen Union übernehmen. Es wird an Berlin liegen, ob die Streithähne in der EU schnell genug zur Einsicht kommen und einer vernünftigen Einigung zustimmen, die den wirtschaftlichen und politischen Ansprüchen der Länder in Nord- und Süd-, West- und Osteuropa gerecht werden und für einen kräftigen Anschub nach der Corona-Krise zu sorgen. Die Quadratur des Kreises dürfte dagegen ein Kinderspiel sein.  

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