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Politik

Hoffnung und Skepsis zum Impfstart

27. Dezember 2020

Alte und pflegebedürftige Menschen erkranken meist schwer an COVID-19. Deshalb sind sie die ersten, die geimpft werden sollen. Doch oft fehlt das Vertrauen. Vom Impfstart in Brandenburg berichtet Sabine Kinkartz.

Impfstart Brandenburg Großräschen Seniorenheim
Elfriede Seefeld war eine der ersten, die im Seniorenheim Großräschen geimpft wurdeBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Es ist sonnig, aber eisig kalt an diesem 27. Dezember in Großräschen, einem kleinen Ort im Süden von Brandenburg. Die Straßen sind leer, kaum ein Mensch ist unterwegs. Vor dem vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebenen Seniorenheim stehen zwei Polizeifahrzeuge, in der Einfahrt parkt ein Kühltransporter. Streng bewacht ist soeben der vom deutschen Unternehmen Biontech und seinem US-Partner Pfizer entwickelte Impfstoff gegen das Coronavirus angeliefert worden.

Im DRK-Seniorenheim in Großräschen startete die Impfkampagne in BrandenburgBild: Sabine Kinkartz/DW

Großräschen liegt in einem der Hotspots in Brandenburg. Mehr als 500 von 100.000 Einwohnern infizieren sich in der Region in sieben Tagen neu mit dem Coronavirus. Nur im angrenzenden Bundesland Sachsen sind es noch mehr. Im Seniorenheim gelten strenge Vorsichtsmaßnahmen. Nur die engsten Angehörigen dürfen das Heim betreten und das auch nur, wenn sie sich zuvor testen lassen. Trotzdem hat es auch hier bereits Infektionen gegeben.

Im Rollstuhl zur Impfung

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher ist zum Impfstart nach Großräschen gekommen. Sie spricht von einem "Hoffnungsschimmer am Horizont" und schaut interessiert zu, wie ein DRK-Mitarbeiter die weiße Styropor-Box mit dem Impfstoff vom Kühltransporter ins Arztzimmer des Seniorenheims trägt.

Ein ganzer Kühltransporter für eine einzige Box: Noch ist der Impfstoff eine RaritätBild: Sabine Kinkartz/DW

In diesem Moment wird Heimbewohnerin Ruth Heise in ihrem Rollstuhl eilig die Einfahrt entlang geschoben. Ihr Zimmer liegt etwas entfernt in einem anderen Gebäude. Ein eisiger Wind zerzaust das weiße Haar der 87-Jährigen, die ihre Krankenakte vor die Brust gedrückt hält. Heise ist die Erste, die an diesem Tag geimpft wird, gefolgt von Heimbewohnerin Elfriede Seefeld, die ebenfalls hochbetagt ist und im Rollstuhl sitzt. 

Ob sie Angst vor der Impfung habe wird Ruth Heise gefragt. "Nö", antwortet die Seniorin trocken. Selbstverständlich ist das nicht. Nur zwölf der 70 Heimbewohner haben sich für den ersten Termin gemeldet. Die impfende Ärztin kennen sie, weil sie regelmäßig in dem Heim arbeitet. Das sei ein wichtiger Baustein der Impfkampagne, sagt Hubertus Diemer, Chef des DRK-Landesverbandes Brandenburg. "Es geht um Vertrauen, also darum, Menschen auch für das Impfen zu gewinnen."

Kaum jemand will zuerst geimpft werden

Von den rund 50 Pflegekräften sind 20 im Urlaub oder krank, vom Rest hat sich nur jeder zweite für die Impfung entschieden. "Es gibt eine große Skepsis", räumt Heimleiterin Bianka Sebischka-Klaus ein und wirkt dabei etwas bedrückt. Sie weiß, dass nur die Impfung Erleichterung bringen kann, aber sie kann die Skepsis auch verstehen. Schließlich sei der Impfstoff sehr schnell entwickelt und getestet worden. "Als wir mit der Information begannen, war der Impfstoff zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal zugelassen."

Ein Ort der Hoffnung: Das Arztzimmer im Heim in GroßräschenBild: Sabine Kinkartz/DW

Man müsse jetzt abwarten und "mit allen ins Gespräch kommen", Fragen beantworten und Bedenken ausräumen, meint Sebischka-Klaus und bemüht sich um einen optimistischen Gesichtsausdruck. Unterstützung erhält sie von Gesundheitsministerin Nonnemacher. "Es heißt immer, jetzt ist der Impfstoff geliefert, jetzt fangt doch mal sofort an, Tausende zu impfen", fasst die Politikerin die Stimmung in Worte. Von diesem Druck müsse man sich freimachen.

Den Menschen Zeit geben

Man dürfe nicht vergessen, "dass die alten Menschen vorab erst einmal aufgeklärt werden müssen, dass sie mit ihren Angehörigen sprechen müssen, dass es zum Teil der Einwilligung von Betreuenden bedarf, dass hier auch viele Angehörige extra hergekommen sind, um die etwas aufgeregten alten Menschen zur ersten Impfung zu begleiten". Das alles müsse vorbereitet werden und zwar mit großer Sorgfalt. Es werde ohnehin Monate dauern, bis 60 oder gar 70 Prozent der Bevölkerung geimpft seien.

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Mitte) rät zur GeduldBild: Sabine Kinkartz/DW

Eine Schätzung, die nicht nur für das Flächenland Brandenburg gilt, sondern auch für den Rest der Republik. Zwar sind in den meisten Bundesländern die Impfzentren startklar und auch die mobilen Impfteams eingerichtet, die in die Pflege- und Altenheime fahren sollen, aber es fehlt an Impfstoff. Insgesamt soll Deutschland bis zum Jahresende 1,3 Millionen Impfdosen erhalten, bis Ende März dann elf bis 13 Millionen Dosen. Bei mehr als 83 Millionen Einwohnern.

Wie schnell kann mehr Impfstoff produziert werden?

Für jede Impfung sind zwei Dosen nötig, die im Abstand von 21 Tagen injiziert werden müssen. "Die Impfung läuft gut an, das Problem aber ist, dass wir mit dem vorhandenen Impfstoff nur fünf Millionen Menschen bis Ende März impfen können", rechnet SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vor. Er fordert daher, die Produktionskapazitäten zu erhöhen. "Uns läuft die Zeit davon. Das Virus hat bereits Mutationen gebildet." Die Impfung werde zum Wettlauf mit dem Virus. "Wir müssen möglichst schnell impfen, bevor sich die Mutationen auch gegen die Impfung auswirken." 

Gelieferter Impfstoff in GroßräschenBild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Eine große Hoffnung besteht darin, dass Anfang Januar in der Europäischen Union ein weiterer Impfstoff zugelassen werden soll. Das Vakzin von Moderna hat zudem den Vorteil, dass es leichter handhabbar ist. Der Biontech-Impfstoff muss tiefgekühlt gelagert werden und ist bei normaler Kühlung nur wenige Tage haltbar. "Wenn der Impfstoff einmal aufgetaut ist, dann dürfen sie ihn nicht wieder einfrieren und dann muss er auch innerhalb dieser Frist verimpft werden", erklärt der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung von Berlin, Burkhard Ruppert.

Möglichst keinen Impfstoff wegwerfen

Doch nicht nur die begrenzte Haltbarkeit macht die Impfung mit dem Biontech-Vakzin zu einer "großen organisatorischen Herausforderung", wie Ruppert formuliert. "Wir haben keine einzelnen Impf-Phiolen, sondern wir haben immer fünf Portionen gleichzeitig." Man werde sich große Mühe geben, damit umzugehen. "Da sie ihn ja aufheben können über eine bestimmte Zeit, denke ich mal, werden wir das schon so organisieren, dass wir möglichst keinen Impfstoff wegwerfen müssen."

Die 60 mobilen Impfteams für Berlin haben ihre Basis am ehemaligen Flughafen TegelBild: Sabine Kinkartz/DW

In der Hauptstadt sind 60 mobile Teams zusammengestellt worden, die in den nächsten Wochen zunächst die Alten- und Pflegeheime abfahren werden. Geplant ist, dass jedes Team pro Tag 50 Impfungen durchführt. Außerdem sind sechs Impfzentren eingerichtet worden, von denen das erste am Sonntag in Betrieb gegangen ist.

In Berlin werden die mobilen Impfteams von Bundeswehrsoldaten begleitetBild: Sabine Kinkartz/DW

So weit ist man in Brandenburg noch nicht. Zwei Impfzentren in Potsdam und Cottbus sind betriebsbereit, bis Ende Januar sollen es insgesamt elf sein. Dann wird die 87-jährige Heimbewohnerin Ruth Heise wahrscheinlich schon immun gegen das Coronavirus sein. Ihre zweite Impfung ist bereits terminiert: Für den 18. Januar.

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