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Viele Infektionen in Impfgegner-Hochburgen

21. November 2021

In Deutschland schnellen die Corona-Infektionszahlen steil nach oben, besonders im Süden und vor allem im Osten. Woran liegt das?

Deutschland I Wahlkampf CDU; Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
Bild: Pressebildagentur ULMER/picture alliance

Wolfgang Kreischer, Arzt mit Praxis in Berlin-Zehlendorf, hat in den vergangenen Tagen schon gemerkt, dass es immer mehr Menschen angesichts der rasant steigenden Corona-Infektionszahlen in Deutschland mit der Angst zu tun bekommen. Auch viele von denen, die sich noch nicht haben impfen lassen. Kreischer ist Vorsitzender des Hausärzteverbandes Berlin und Brandenburg. Er sagt der DW: "Es gibt Ungeimpfte, die sich Schritt für Schritt überzeugen lassen. Das sind Nachzügler, die sich jetzt unter die Booster-Impfungen mischen. Das sind die ganz stillen, die wenig sagen."

Durch Boostern aus der vierten Welle?

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Auch vor den offenen Impfzentren bilden sich jetzt wieder lange Schlangen. Dennoch fügt Kreischer hinzu: "Aber es gibt auch immer noch solche, die jede Impfung ablehnen." Und bei dieser Gruppe wächst die Aggressivität jeden Tag: "Es wird gesagt, dass die Impfung schädlich sei, dass höhere Mächte dahinter stehen. Und wir sollten damit aufhören, sonst würden wir schon noch sehen, was passiert. Eine Patientin hat beim Rausgehen gesagt: 'Ich würde mir wünschen, dass Sie hier alle bestraft werden.' Das gibt es leider. Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen."

Geringe Bildung, rechte Gesinnung

Dummheit oder doch auch politisch motivierte Ideologie? Heike Klüver vom Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin, hat bereits im März an einer Studie über die Impfbereitschaft der Deutschen mitgewirkt. 20.500 Menschen, repräsentativ ausgewählt, wurden damals befragt. Ergebnis: 67 Prozent der Befragten waren bereits geimpft oder dazu bereit, weitere 17 Prozent waren unentschlossen, und 16 Prozent lehnten eine Impfung komplett ab.

Heike Klüver ist Soziologin an der Humboldt-Universität Berlin.Bild: HU Berlin

Klüver sagt über die letzte Gruppe im Gespräch mit der DW: "Wir sehen einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Bildung und der Ablehnung der Impfung. Je geringer der Bildungsstand, desto höher die Ablehnung. Und die Leute, die die Impfung ablehnen, sind eher Wähler der Partei 'Alternative für Deutschland' (AfD) und haben eher rechte Positionen vertreten. Darüber hinaus sind das Menschen, die geringes Vertrauen in die Politik, die Regierung, die Medien und das Gesundheitssystem insgesamt haben." 

Früher gegen Zuwanderung, heute gegen das Impfen

Es ist eine Gruppe, die sich schon vor Corona verfestigt hatte und durch die Pandemie in ihren Überzeugungen nochmal gestärkt wurde. Klüver: "Wir sehen eine relativ klare Skepsis, was die Migration angeht. Auch konnten wir schon im März sehen, dass diese Gruppe sich überhaupt nicht an die Corona-Regeln gehalten hat, weder an das Maske-Tragen noch an die Abstandsregeln." Was in den Hochburgen der AfD in den östlichen Bundesländern die Infektionsraten jetzt noch einmal nach oben getrieben hat.

Die Zahlen aus Deutschland

Eine geschlossene Gruppe

Längst hat sich in dieser Gruppe auch eine Art Korpsgeist gebildet, wie Josef Holnburger vom Forschungskreis "CeMAS" berichtet. CeMAS, kurz für "Center für Monitoring, Analyse und Strategie", forscht vor allem im Netz zu rechtsradikalen Positionen und Verschwörungserzählungen und wird unter anderen von der Alfred Landecker Foundation gefördert. Holnburger sagt jetzt der DW: "Wenn herauskommt, dass jemand aus dieser Szene geimpft ist, dann führt das auch zu großen Empörungen von vielen anderen. Weil dann gilt, dass man quasi eingeknickt wäre oder dass man nachgegeben hätte."

Mitte Oktober in Dortmund: Impfgegner inszenieren sich als anonyme Bürger, die klaglos alle Corona-Beschränkungen hinnehmenBild: Rupert Oberhäuser/picture alliance

Die Impfskepsis gegenüber Corona sei von rechtsgerichteten Gruppen ganz bewusst vor allem im Osten instrumentalisiert worden, entgegen der eigentlich dort vorherrschenden Kultur, so Holnburger: "Das ist insofern verwunderlich, weil das eigentlich gerade die Bundesländer sind, die bisher, vor Corona, sich durch eine besonders hohe Impfquote, etwa gegen Masern oder Tetanus, ausgezeichnet hatten." Eine Art spätes Erbe der DDR, in der zahlreiche Impfpflichten bestanden, anders als in den alten Bundesländern.

Angriffe und Drohungen gegen Impfwillige

Holnburger sieht wie Klüver einen direkten Zusammenhang zwischen staatsablehnenden, rechten Parolen und der Impfverweigerung. Die Ablehnung der Corona-Maßnahmen ist dabei zur Zeit das alle beherrschende Thema, kann aber in Zukunft durchaus durch andere Themen verdrängt werden. Holnburger: "Es gibt Leute, die haben ein geschlossenes ideologisches Weltbild, die leben in einer anderen Realität und lassen sich von Argumenten nicht überzeugen. Wir werden das auch noch bei anderen Themen erleben, bei Maßnahmen etwa gegen den Klimawandel."

Josef Holnburger ist zusammen mit Pia Lamberty Geschäftsführer bei CeMASBild: CeMAS

In Sachsen oder Thüringen häufen sich Berichte, wonach Impfwillige und Ärzte sogar Opfer von gewaltsamen Übergriffen und Drohungen werden. Und im Süden Deutschlands, in Bayern und Baden-Württemberg, ist die diffuse Gruppe der Corona-Kritiker der "Querdenker"-Bewegung besonders stark.

Zweifler durch harte Maßnahmen erreichbar

Anders als diese ideologisch gefestigten Gruppen sind aber die unentschlossenen Menschen, die sich noch nicht haben impfen lassen, durchaus erreichbar. Die Studie vom März listet auf: Durch das Impfen durch vertraute Hausärzte, durch Privilegien für Geimpfte und sogar durch mögliche Geldzahlungen an Impfzögerer könnten bis zu 13 Prozent mehr Menschen für eine Impfung gewonnen werden.

Nur: In den Arztpraxen wird längst geimpft. Und Privilegien für Geimpfte wird es in Zukunft wohl einige mehr geben, wenn sich etwa die "2G-Regeln" bundesweit durchsetzen. Also wenn nur noch Geimpfte oder Genesene Restaurants, Kinos und Konzerte besuchen können. Noch aber stagniert die Impfquote bei rund 68 Prozent und damit interessanterweise bei fast genau dem Wert, den die Studie vom März vorausgesehen hatte. 

Im Süden und Osten liegen die meisten Hotspots

Ein Vergleich der Impfquoten der Bundesländer zeigt: Wo die Quoten geringer sind als im Bundesschnitt, da schnellen die Infektionen nach oben. Viele der Landkreise mit den aktuell höchsten Raten an neuen Infektionen liegen in Sachsen und Thüringen, neuerdings auch in Brandenburg. Aber auch in Bayern, wo die Impfquote nur geringfügig kleiner ist als im Bundesschnitt, gibt es solche Hotspots. Bayern aber hat durch seine Grenzlage etwa zu Österreich schon von Beginn der Pandemie an mit höheren Zahlen zu kämpfen,  so auch jetzt. Am besten gelingt das Impfen in Bremen, wo durch eine transparente und geschickte Ansprache an die Bürger eine Quote von fast 80 Prozent erreicht ist.

Impfpflichten und Privilegien für Geimpfte umsetzen

Einig sind sich alle befragten Wissenschaftler und Ärzte, dass sich die Politik von den radikalen Impfgegnern nicht von einschneidenden Maßnahmen gegen die Pandemie abhalten lassen sollte. Kreischer etwa sagt: "Man sollte schon für bestimmte Gruppen eine Impfpflicht einführen, denn ich möchte ja als Patient auch wissen, dass, wenn ich in ein Krankenhaus muss, ich dann dort geschützt bin."

Immer mehr Menschen lassen sich in Deutschland bereits zum dritten Mal impfen. Aber die vielen Impfunwilligen treiben die Infektionszahlen nach obenBild: Weber/Eibner-Pressefoto/picture alliance

Eine Runde der Ministerpräsidenten mit der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat vor wenigen Tagen eine solche mögliche Impfpflicht in Kliniken und Pflegeheimen beschlossen. Auch für Heike Klüver gilt: Keine Angst vor harten Schritten. "Man kann schon sagen, es könnte zu einer weiteren Polarisierung kommen; allerdings muss man festhalten, dass schon im Vorfeld das Vertrauen in die bestehenden Institutionen sehr gering war." Und auf der anderen Seite ist eine klare Mehrheit der Deutschen nach wie vor impfwillig und steht zu den meisten Maßnahmen gegen die Pandemie, auch zu den schmerzlichen. 

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