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Gesellschaft

Impfgegner bedrohen Ärzte

Ben Knight
15. November 2021

Es ist eine Situation, mit der sie nie gerechnet haben: In Deutschland sind Ärzte und Gesundheitspersonal zunehmend Beschimpfungen und Gewaltandrohungen durch Impfgegner ausgesetzt.

Deutschland | Prottest von Impfgegnern
Impfgegner protestieren gegen die Aktionswoche "#HierWirdGeimpft" bei den Maltesern im September in BerlinBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

"Aggressionen und Extremismus haben deutlich zugenommen", sagt Erik Bodendieck, Vorsitzender der Sächsischen Landesärztekammer und selbst Allgemeinmediziner. "Einige Ärzte haben sogar Morddrohungen erhalten." Dabei ist Sachsen kein Einzelfall: Eine Reihe der von der DW befragten Ärztekammern berichten von Drohbriefen, Hassmails und einem angespannten Klima in vielen deutschen Kliniken.

Die Vorfälle ereignen sich just in dem Moment, in dem die Coronavirus-Pandemie hierzulande neue Rekordinzidenzen verzeichnet: Die Gesamtzahl der nachgewiesenen Coronainfektionen in Deutschland hat am Sonntag laut Robert-Koch-Institut (RKI) die Fünf-Millionen-Marke überschritten.

Besonders besorgniserregend ist die Lage in Sachsen, wo die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern liegt und die Impfquote mit 57 Prozent am niedrigsten ist. Der landesweite Durchschnitt liegt bei rund 70 Prozent.

Umstrittene 2G-Regel in Sachsen

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"Ihr gehört vor ein Erschießungskommando"

Erik Bodendieck hat sich bereits daran gewöhnt, Drohungen zu erhalten. "Es sind E-Mails, in denen ich persönlich angegriffen werde, und in denen mir mit rechtlichen Schritten gedroht wird", sagt der Vorsitzende der Sächsischen Ärztekammer. "Und es gibt Briefe, in denen Dinge stehen wie: 'Ihr gehört alle vor ein Erschießungskommando.' So etwas in der Art."

Grund für die Welle der Aggressionen: Bodendieck hatte unter anderem eine Impfpflicht gefordert. "Ich bin mir sicher, dass trotz aller Zustimmung in den Sozialen Medien die Impfgegner wieder aufbegehren werden", meint er. Einige Ärzte in Sachsen könnten sich deswegen gegen COVID-Impfungen entscheiden.

Impfen, nein danke: Teilnehmerin einer Demonstration von "Querdenkern" in StuttgartBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Auch Ulrike Schramm-Häder, Sprecherin der Landesärztekammer Thüringen, hat bereits Drohbriefe erhalten, genauso wie 25 weitere Ärzte der Landeskammer. "In den Briefen heißt es vor allem, dass die Impfungen gefährlich seien", so Schramm-Häder. Den Ärzten würde vorgeworfen, sie führten 'Menschenversuche' durch.

Die Absender der Drohbriefe würden gelegentlich in den Bereich der Verschwörungstheorie abdriften, so die Sprecherin. "Da ist die Rede von zwielichtigen Kräften, die angeblich die Bundesregierung kontrollieren. Aber es gibt auch Leute, die einfach alle Maßnahmen zum Schutz vor Coronaviren ablehnen. Und die recherchieren auch die Namen und Adressen von Ärzten."

Angespannte Atmosphäre in Kliniken 

Doch es geht nicht nur um anonyme Drohbriefe. Auch die Atmosphäre in vielen Kliniken sei angespannt. "Manchmal reagieren Patienten sehr aggressiv auf normale Fragen, etwa nach dem Impfstatus. Das muss man als Arzt aber einfach abfragen und wissen", sagt Schramm-Häder. 

Einerseits gab es Warteschlangen vor Impfzentren - andererseits massive DrohungenBild: Nicolas Armer/dpa/picture alliance

Nur wenige der von der DW kontaktierten Ärztekammern haben konkrete Zahlen über die Anzahl der Drohungen erhoben, aber viele, wie Berlin und Niedersachsen, stellen einen raueren Ton seitens der Patienten fest. Sowohl bei den Patienten als auch beim Personal mache sich eine Pandemie-Müdigkeit breit, sagt ein Sprecher der Berliner Landesärztekammer: "Die Nerven sind auf beiden Seiten angespannt."

Nach Angaben der Ärztekammer musste im Oktober sogar eine Praxis in Berlin vorübergehend schließen und einen privaten Sicherheitsdienst engagieren, weil das Impfpersonal massiv bedroht worden war. Die Kammer erklärte, die Identität der Klinik werde geheim gehalten und die Ärzte wollten sich nicht öffentlich äußern, um eine weitere Eskalation zu verhindern.

Wenn Ärzte zu Politikern gemacht werden

Die Bedrohung des Gesundheitspersonals ist mittlerweile an vielen Orten zur Routine geworden. Betroffen sind insbesondere Ärzte, die in den Sozialen Medien für Impfstoffe werben. "Das medizinische Personal vor Ort trägt die Hauptlast der zunehmend emotional geführten öffentlichen Debatte über Coronavirus-Maßnahmen und Impfstoffe", erklärt Thomas Spieker, Sprecher der Ärztekammer Niedersachsen.

"Manchmal scheinen die aufgebrachten Anrufer den Arzt mit einem Politiker zu verwechseln", sagt er der DW. "Seit Beginn der Pandemie stehen die Ärzte und ihr Personal jeden Tag im Kreuzfeuer und riskieren dabei ihre eigene Gesundheit. Das behindert auch die Behandlung anderer Krankheiten."

Endlich immun: Die meisten Menschen sind dankbar für den ImpfschutzBild: picture-alliance/dpa/O. Spata

Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Berlin und Brandenburg, macht trotz anonymer Drohbriefe weiter: "Die meisten Patienten sind sehr dankbar, dass sie die Impfung bekommen." Andere Patienten wiederum kämen zur Impfung, weil sie sich dazu gezwungen fühlten. "Sie wollen keine Informationen über die Impfstoffe, sie wollen einfach nur die Injektion bekommen und gehen", sagte er.

Allerdings ist ihm auch der Fall einer Ärztin bekannt, die keine Impfstoffe mehr verabreicht, weil ihr Praxisstempel gefälscht und in betrügerischer Absicht in Impfdokumenten verwendet wurde. "Jedes Mal, wenn sie eine Meldung über die Verwendung des Stempels erhält, musste sie bei der Polizei eine Erklärung abgeben", sagte er. "Das ist ihr zu viel Arbeit geworden."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

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