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Politik

Es gibt noch immer Länder ohne Impfstoff

9. April 2021

In Gibraltar ist die Impfkampagne schon vorbei, bevor sie in einigen anderen Ländern überhaupt begonnen hat. Wie kommt es zu diesen Unterschieden? Experten geben sich zuversichtlich, dass sich das bald ändert.

Weltspiegel 05.03.2021 | Corona | Kenia Nairobi | AstraZeneca-Impfstoff
Kistenweise Impfstoff - so wie hier in Nairobi sieht es nicht überall ausBild: Monicah Mwangi/REUTERS

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit schon mehr als 600 Millionen Corona-Impfungen durchgeführt worden - doch während in Gibraltar die Impfquote schon nahe an die 100-Prozent-Marke gerückt ist, warten Länder wie Nicaragua immer noch auf die erste Dosis überhaupt. WHO-Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus sprach in diesem Zusammenhang am Dienstag von einer "Farce": Die weltweite Produktion müsse hochgefahren und die Erzeugnisse gerecht verteilt werden, um die akute Phase der Pandemie zu überwinden.

Auf der weltweiten Impfkarte zieht sich immer noch ein Band der Wartenden durch Afrika, von Libyen im Norden bis Botsuana im Süden - diese Länder tauchen erst gar nicht in den Impf-Datensätzen der WHO auf. Ähnlich sieht es in Zentralasien sowie einzelnen Staaten aus wie Nordkorea, Kuba und Bosnien-Herzegowina. Allerdings bedeutet das nicht unbedingt, dass das jeweilige Land bislang null Impfdosen bekommen hat: Bosnien etwa soll zwar erst bis Ende Mai eine größere direkte Lieferung bekommen, erhielt jedoch schon Impfspenden aus dem benachbarten Serbien.

Null Dosen für zehn afrikanische Länder

"Mit Blick auf Afrika gibts die gute Nachricht, dass vierundvierzig Länder bereits Impfstoff erhalten haben. Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich auch, dass zehn Länder bisher noch kein Impfstoff erhalten haben", sagt Clemens Schwanhold, politischer Referent bei der Nichtregierungsorganisation ONE.

Darunter seien Länder wie Madagaskar, Burundi und Eritrea, deren Regierungen an andere Mittel im Kampf gegen das Virus glauben würden - und Tansania, wo nach dem überraschenden Tod von Präsident John Magufuli offenbar ein Umdenken begonnen habe. Schwanhold rechnet damit, dass die Regierung der neuen tansanischen Präsidentin Samia Suluhu Hassan in den nächsten Wochen Impfstoff bestellen könnte: "Dann würde es noch einige Monate, im Idealfall einige Wochen dauern, bis etwas geliefert wird. In der zweiten Jahreshälfte wäre etwas möglich."

COVAX - gute Idee mit wenig Schlagkraft?

Im Interesse der Weltgesundheit soll mithilfe von Vakzinen bis in den entlegensten Winkel der Welt Herdenimmunität gegen Corona erreicht werden. Denn solange das Virus auf viele neue schutzlose Wirte trifft, kann es weiter mutieren und darüber womöglich auch irgendwann resistent gegen die bisherigen Impfstoffe werden.

"Wir sind erst sicher, wenn alle sicher sind", lautete das Mantra zu den grundsätzlichen Überlegungen einer weltweiten freiwilligen Impfkampagne. In diesem Geiste wurde die COVAX-Initiative gegründet: Die Mitgliedsstaaten der WHO wurden in 98 reichere und 92 ärmere Länder eingeteilt. Für Letztere werden die Impfstoffe mit den Mitteln der ersten Gruppe stark subventioniert oder kostenlos angeboten. Deutschland ist mit fast einer Milliarde Euro einer der größten Geber des COVAX-Programms.

In Ghana kamen am 24. Februar die ersten COVAX-Dosen überhaupt anBild: UNICEF/UN0421459/Kokoroko/COV/dpa/picture alliance

"Das Problem ist, dass überhaupt nicht mehr viele Impfdosen zur Verfügung stehen, weil zum Beispiel die EU und USA sich bereits den allergrößten Teil gesichert haben", sagt Sonja Weinreich, die beim kirchlichen Hilfswerk Brot für die Welt für Gesundheitsfragen zuständig ist. "Insofern hat dieser Mechanismus überhaupt nicht so richtig gegriffen, weil diese Solidarität überhaupt nicht da ist."

Impfstoff-Patente freigeben - hilft das weiter?

Um Abhilfe zu schaffen, fordert ein großes Bündnis von Hilfsorganisationen und andere Gruppierungen die Aussetzung der Patente auf Corona-Impfstoffe. "Dann könnten nämlich die ärmeren Länder oder überhaupt weltweit alle Firmen, die Impfstoffe herstellen, das auch tun. Das müsste dann mit dem entsprechenden Technologietransfer einfach Hand in Hand gehen", sagt Weinreich. Auch Brot für die Welt hat sich der Forderung angeschlossen. Ein Argument sei, dass die Impfstoffe teilweise auch mit öffentlichen Geldern entwickelt und produziert werden: "Es kann nicht sein, dass das öffentlich finanziert ist, aber dass die Gewinne dann privatisiert werden."

Allerdings sind Corona-Impfstoffe Hightechprodukte, die nicht so einfach von jedem Arzneimittelhersteller produziert werden können. Es scheitere daher derzeit nicht an den Patenten, heißt es aus der Pharmaindustrie. Nathalie Moll, Generaldirektorin der europaweit tätigen Lobbygruppe EFPIA, stellt klar: "Wenn eine Firma eine andere kontaktiert, um Impfproduktionen auszubauen, muss sehr viel technisches Wissen übermittelt werden, damit wir diese Impfungen in der benötigten Menge sicher und effizient herstellen können. Es geht um viel mehr als nur geistiges Eigentum." Es seien bereits mehr als 250 Lizenzen weltweit erteilt worden, um die Produktion zu erweitern.

Aus Sicht von Clemens Schwanhold von ONE sind diese Lizenzierungen ein guter Schritt - zum Beispiel werden die für afrikanische Länder bestimmten AstraZeneca-Chargen zu großen Teilen unter Lizenz am Serum Institut of India hergestellt, der größten Impfstofffabrik der Welt. Es sei fraglich, ob überhaupt noch große Produktionskapazitäten vorhanden sind, die man schnell mit einbeziehen könnte: "Denn wenn die erst gebaut und abgenommen werden müssten, dann würde das einfach Monate, vielleicht sogar Jahre dauern", sagt Schwanhold.

Ist das COVAX-Versprechen realistisch?

Ausgerechnet das für die Weltversorgung so wichtige Indien hat jedoch kürzlich den Export des Impfstoffes eingeschränkt. Die Regierung will die Dosen der eigenen Bevölkerung zukommen lassen - in diesen Tagen meldete das Land neue Höchststände bei den Neuinfektionen. Auch die USA haben einen nahezu vollständigen Exportstopp verhängt. Die EU ließ Ausfuhren in ärmere Länder hingegen bislang immer zu.

Dennoch sind sowohl Sonja Weinreich als auch Clemens Schwanhold optimistisch, dass das Kernziel der COVAX-Initiative erreicht werden kann: Bis Ende dieses Jahres sollen auch in allen 92 Nehmerländern mindestens 20 Prozent der Bevölkerung geimpft werden, darunter Hochrisikogruppen und das Gesundheitspersonal. "Ich glaube, dass das zu schaffen ist", sagt Brot-für-die-Welt-Expertin Weinreich: "In Europa nehmen die Impfkampagnen an Fahrt auf, und es soll viel mehr Impfstoff zur Verfügung stehen."

Die EU hat rechnerisch für ihre 446 Millionen Bürger gut vier Impfdosen pro Kopf bei verschiedenen Herstellern geordert, obwohl höchstens zwei für jeden erforderlich sind, Kanada hat sogar über acht pro Bürger bestellt. Damit der Überschuss später an unterversorgte Länder weitergegeben werden kann, müssten allerdings noch Haftungsfragen geklärt werden, so die Einschätzung von Clemens Schwanhold von ONE: Wegen der extrem kurzen Entwicklungszeit hatten die Hersteller die Käuferstaaten in die Pflicht genommen, die aber nicht für Haftungsansprüche aus Drittstaaten gerade stehen wollen.

Für das Gelingen des COVAX-Versprechens macht er zur Bedingung, dass "alle Beteiligten gemeinsam an einem Strang ziehen in der Finanzierung und in der Bereitstellung von Rohstoffen". Das Gute sei: "COVAX muss das gar nicht alleine schaffen." Auch die Afrikanische Union habe deutlich über 500 Millionen Impfdosen bestellt. "Da bin ich relativ zuversichtlich, dass wir bis Ende des Jahres weit mehr als 20 Prozent geimpft haben werden."

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