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Politik

Westbalkan: Unfähigkeit zur Corona-Impfung?

11. Februar 2021

Während man international versucht, dem Impfnationalismus ein Ende zu setzen, läuft der Impftourismus auf dem Westbalkan auf Hochtouren.

Eine Frau hält Dosen des russischen Imfstoffs Sputnik V (l.) und des chinesischen Vakzins Sinopharm in den Händen
Russlands Imfstoff Sputnik V (l.) und das chinesische Sinopharm (r.) in einem Impfzentrum in Serbien am 1.02.2021 Bild: Oliver Bunic/AFP/Getty Images

Wo enden geopolitische Gesichtspunkte, wo beginnt die Sorge um die Gesundheit der Bürger? Diese Frage stellen sich die Menschen in fast allen Ländern des westlichen Balkans derzeit, während sie machtlos beobachten, wie in der nahen und fernen Nachbarschaft massenweise gegen Corona geimpft wird - und bei ihnen nicht.

Bei älteren Bürgerinnen und Bürgern, die noch mit dem Eisernen Vorhang aufgewachsen sind, weckt die aktuelle Krise um das Corona-Vakzin ein seltsames Gefühl von Dèjá-vu. Sie haben Jahre mit regen Diskussionen darüber verbracht, ob nun die USA oder die Sowjetunion mehr Atombomben besitzen und wer in einer eventuellen finalen Abrechnung den Kürzeren ziehen würde.

Heute streitet man darüber, ob nun die westlichen oder die russischen und chinesischen Impfstoffe besser sind - und ob die Verbündeten in den USA oder der EU verärgert wären, wenn man zumindest für den Moment den Blick nach Moskau oder Peking richten würde.

Doch die Debatte ist rein theoretischer Natur: Tatsächlich hat der Großteil der Länder der Region Impfstoffe eben so wenig zu Gesicht bekommen, wie Atombomben im Kalten Krieg. In Nordmazedonien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo hat man noch immer nicht mit der Immunisierung der Bevölkerung begonnen; und es gibt auch keine präzisen Angaben darüber, wann dies zu erwarten ist.

Weder östliche noch westliche Impfstoffe

Dabei liegen drei dieser Länder - Nordmazedonien, Bosnien und Montenegro - nach Angaben des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) bei der durchschnittlichen Anzahl der Corona-Todesfälle pro 100.000 Einwohner an der Spitze Europas.

Aktuell im Besitz von Impfstoffen ist keiner der genannten Staaten; die Behörden versprechen bisher lediglich, dass die ersten Dosen bis Ende dieses Monats eintreffen würden. Nur Albanien hat es geschafft, insgesamt 2000 Dosen des BioNTech/Pfizer-Wirkstoffs zu beschaffen - für eine Bevölkerung von rund 2,8 Millionen Menschen. 800 Dosen kamen von einem unbekannten Donator in der EU, der Rest direkt von dem Pharmaunternehmen.

Ausnahme Serbien

Von allen Westbalkan-Staaten gehört einzig Serbien bei der Anzahl der geimpften Bürger zu den europäischen Spitzenreitern. Was unterscheidet dieses Land von den restlichen fünf Staaten der Region? Lokale Politiker sind sich einig: Es ist die geopolitische Orientierung Serbiens, das einerseits EU-Kandidat ist - und andererseits eng mit Russland und China verbunden.

Bürger bei der Registrierung zur Corona-Impfung in einem Impfzentrum in Serbiens Hauptstadt Belgrad am 24.01.2021Bild: Miodrag Soric/DW

"Serbien kauft Impfungen aus Russland, doch wir als Staat sind EU-orientiert", erklärt der Wirtschaftsminister von Nordmazedonien, Kreshnik Bekteshi, in einem Interview mit dem lokalen Fernsehsender TV21. Einen ähnlichen Standpunkt vertritt auch der albanische Premierminister Edi Rama, der das Moskauer Angebot zur Lieferung des russischen Vakzins "Sputnik V" als "Provokation" einstuft.

Warten auf den Westen

Während Serbien bislang mehr als eine Million Impfungen von Russland und China besorgt und bereits über eine halbe Million seiner Bürger geimpft hat, hatten die restlichen Länder in der Region zunächst beschlossen, sich auf die westlichen Hersteller und die von der Weltgesundheitsorganisation WHO geleitete COVAX-Initiative zu verlassen - und auf die mehrfach versprochene Solidarität der EU und ihrer Mitgliedstaaten.

Passanten mit Atemschutzmasken in Nordmazedoniens Hauptstadt Skopje am 1.02.2021Bild: Nake Batev/AA/picture alliance

Die drei NATO-Mitglieder auf dem Westbalkan, Albanien, Nordmazedonien und Montenegro, hatten vorerst gar kein Interesse an der chinesischen oder russischen Impfung gezeigt - bis klar war, dass man auf Impfstoffe aus dem Westen nicht zählen kann und der Druck der eigenen Öffentlichkeit zu stark wurde.

Dramatische Rufe

"Vergesst die Bürokratie, gebt doch grünes Licht für die russischen und chinesischen und jegliche Impfungen, alle sind willkommen. Ihr werdet auf den Knien bitten, dass sie euch Impfungen liefern!", appellierte auf Facebook die Ärztin Tatjana Gurzanova an die nordmazedonischen Behörden. Dramatische Rufe wie dieser sind in den Westbalkan-Ländern, die noch keine Impfstoffe haben, immer öfter zu hören.

Ein älterer Bürger beim Corona-Test in der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica am 26.11.2020Bild: Savo Prelevic/Getty Images/AFP

Montenegro erwartet in der Zwischenzeit die erste Lieferung von 50.000 Dosen "Sputnik V"; und der Gesundheitsminister von Nordmazedonien hat am Montag (8.2.2021) den Vertrag zur Beschaffung von 200.000 Dosen des chinesischen Herstellers Synopharm unterschrieben.

Vom Impfnationalismus zum Impftourismus

Trotz der monatelangen Verspätung und der scharfen Kritik in der eigenen Öffentlichkeit meint sich Nordmazedoniens Premier Zoran Zaev bei den westlichen Partnern für die Beschaffung des chinesischen Impfstoffs rechtfertigen zu müssen: "Ich möchte bestätigen, dass wir mit unseren strategischen Partnern, NATO und Washington, Gespräche geführt haben, wobei wir zu dem Schluss gekommen sind, dass die Beschaffung der Impfungen aus China keine geopolitische Frage ist, sondern ein souveränes Recht jeden Staates", so Zaev in einer Stellungnahme.

Derweil verwandelt sich der viel kritisierte Impfnationalismus auf dem Westbalkan immer mehr in einen Impftourismus, der sogar die tiefen historischen und ethnischen Spaltungen in der Region überwindet. Täglich reisen Bürger Bosniens - Serben, Kroaten und Muslime -, Kosovos - darunter nicht etwa nur Serben, sondern auch Albaner -, Nordmazedoniens und Montenegros nach Serbien. Sie eint die Hoffnung, dass sie dort die Impfung gegen Corona erhalten werden.

 

Boris Georgievski Boris Georgievski leitet die mazedonische Redaktion von Deutsche Welle.