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PolitikEuropa

Die Impf-Lücken in der EU

6. Juli 2021

Viermal so viele Belgier wie Bulgaren sind gegen Corona geimpft. Die Impfkampagne in der EU läuft nicht rund und bietet nicht Schutz für alle. Immerhin: Deutschland liegt über dem Durchschnitt. Bernd Riegert aus Brüssel.

BdTD | Belgien Brüssel | Maaaneken Pis mit Arztkittel
Wahrzeichen von Brüssel: Brunnenfigur Manneken Pis als impfender Mediziner verkleidetBild: Getty Images/AFP/BELGA/N. Maeterlinck

Aus der Fußball-EM sind die Belgier inzwischen zwar rausgeflogen, aber in einer Disziplin sind sie schon jetzt Europameister: beim Impfen gegen COVID-19.

Belgien liegt mit einer Impfquote von 77,7 Prozent in der erwachsenen Bevölkerung für die erste Dosis in der Europäischen Union an der Spitze. Der Gesundheitsminister des nördlichen Landesteils Flandern, Wouter Beke, präsentiert stolz auf seiner Facebook-Seite die jüngsten Statistiken. Flandern steht sogar noch etwas besser da als der Rest Belgiens. Um den 11. Juli herum müssten eigentliche alle, also 100 Prozent der Impfwilligen, ihren ersten Schuss bekommen haben, kalkuliert Beke.

"Impfen, impfen, impfen": Das Motto der EU-Kommission - Belgien ist aufgeschlossenBild: Dirk Waem/BELGA/dpa/picture alliance

Schlusslicht Bulgarien

Ganz anders das Bild in Bulgarien. Das ärmste Land der EU am Schwarzen Meer kann gerade einmal eine Impfquote von 16,8 Prozent vorweisen. Dieser enorme Abstand erklärt sich aus der Impfverweigerung vieler Bulgarinnen und Bulgaren. Das Land hat massive Problem bei der Organisation der Impfkampagne und beim Beschaffen des Impfstoffes. Bulgarien hatte zunächst nur auf AstraZeneca gesetzt, das aber in Europa große Lieferschwierigkeiten hatte.

Der leitende Gesundheitsinspektor Bulgariens, Angel Kuntschew, fordert seine Landsleute dringend auf, zur Impfung zu gehen. Die Priorisierung ist aufgehoben. Jeder kann eine Erst-Impfung erhalten, sofern die Impfzentren beliefert wurden. "Die Delta-Variante wird bis Ende September eine neue Welle auslösen, falls nicht noch eine andere Variante schneller ist", prognostiziert der Gesundheitsexperte Kuntschew im Online-Portal "Euractiv". Bulgarien wurde von Corona hart getroffen. Die Mortalitätsrate von vier Prozent unter allen Krankheitsfällen in Bulgarien ist laut Informationen der John-Hopkins-Universität EU-weit die höchste.

Gegen die schleppende Impfkampagne wird jetzt Prominenz aufgefahren. Die beliebte Opernsängerin Aleksandrina Pendatschanska soll für Impfungen werben. Sie gehört einem "gesellschaftlichen Rat" aus Experten, Prominenten, Journalisten und Kirchenvertretern an, der am vergangenen Freitag zum ersten Mal tagte. Die Politik könne das nicht alleine stemmen, meint der geschäftsführende Gesundheitsminister Bulgariens, Stojtscho Kazarow. In dieser Woche wird nach einer Regierungskrise ein neues Parlament gewählt.

EU-Ziel 70 Prozent

Im EU-Durchschnitt sind im Moment 61,4 Prozent der Menschen über 18 Jahre mit mindestens einer Dosis gegen das Coronavirus geimpft, wie die Europäische Seuchenbehörde ECDC in Stockholm angibt. Das Ziel der EU-Kommissionspräsidentin und gelernten Ärztin Ursula von der Leyen lautet, bis Ende des Monats die 70-Prozent-Marke zu erreichen. Ihr Motto, das sie beim letzten EU-Gipfel Ende Juni noch einmal wiederholte: "Impfen, impfen, impfen!" Doch wie man Bulgarien und auch etwa Rumänien, dessen Impfquote bei gerade einmal 30 Prozent liegt, bei der Beschleunigung der Impfkampagnen helfen will, bleibt unklar.

Ursula von der Leyen (Mitte) bei Pfizer im belgischen Puurs: Inzwischen ist ausreichend Impfstoff daBild: John Thys/AFP

"Wir glauben, dass genug Impfstoff bis Ende des Monats ausgeliefert werden kann, damit wir das Ziel erreichen", sagte EU-Sprecher Stefan de Keersmaeker auf eine Frage der DW. "Es ist extrem wichtig, dass die Mitgliedsstaaten die Dosen, die sie erhalten, nun auch wirklich verimpfen." Zu den Verhältnissen in einzelnen Mitgliedsstaaten wollte sich de Keersmaeker aber nicht äußern. Die zuständige EU-Kommissarin Stella Kyriakides wird nun einige Mitgliedsstaaten besuchen, um sich selbst einen Überblick über die Probleme vor Ort zu verschaffen, kündigte EU-Sprecher de Keersmakers an. "Dann wird sich zeigen, wie die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten helfen kann, um das 70 Prozent-Ziel zu erreichen."

Für den flämischen Gesundheitsminister Wouter Beke zählen kulturelle Gründe für den Impf-Erfolg in seiner Region. "Wir haben hier nicht nur eine starke Tradition, sich impfen zu lassen. Wir setzen auch auf Impfzentren in der unmittelbaren Nachbarschaft. Die Zusammenarbeit der Behörden, des medizinischen Personals und der vielen Freiwilligen klappt sehr gut."

In Bulgarien liegt die Impfbereitschaft nach Umfragen extrem niedrig. Das Coronavirus halten 40 Prozent der Menschen in Bulgarien für eine aufgebauschte Gefahr. Beim jetzigen Impftempo würde es noch bis zum Frühjahr 2022 dauern, bis eine Art Herdenimmunität von 70 Prozent erreicht werden könnte. Deutschland liegt beim Impftempo leicht über dem EU-Durchschnitt und kommt im Moment auf eine Erstimpfungs-Quote von 64,2 Prozent.

Touristenziel Bulgarien: Mehr Infektionen wegen niedriger Impfquote am Goldstrand?Bild: Imago Images/EST&OST/G. Popescu

Impf-Lücke soll geschlossen werden

Zum Start der Impfkampagne hatte die EU-Kommission das Motto ausgegeben, dass "nur dann alle sicher sein können, wenn alle den gleichen Zugang zu Impfstoffen haben". Das gilt für Länder außerhalb der EU, aber natürlich noch stärker für die Länder innerhalb der EU, zwischen denen starker Reiseverkehr herrscht. "Wir sollten die Impfungen vorantreiben, um uns zu schützen", sagte Ursula von der Leyen deshalb am vergangenen Freitag. Manche Experten warnen aber, das eine Herdenimmunitität in der EU nicht mit 70 Prozent Geimpften zu erreichen sei. Wegen der Delta-Variante, die als ansteckender gilt, müsste die Quote eher bei 85 Prozent liegen, meint Leif Erik Sander, Leiter der Impfstoff-Forschung an der Berliner "Charité", im ZDF.

Um die Impfbereitschaft nicht nur in Bulgarien, sondern auch in Spanien, Frankreich und Deutschland zu steigern, müsse man auf sachliche und ehrliche Informationen setzen, meint die Sprecherin der EU-Kommission, Dana Spinant. "Das ist sehr wichtig, um Vertrauen aufzubauen", sagte Spinant und forderte alle Ebenen der nationalen Regierungen in der EU auf, sich an der Informationskampagne zu beteiligen. Griechenland (mit einer Impfquote von 54 Prozent) etwa setzt auf finanzielle Anreize. Junge Leute, die sich impfen lassen, sollen einen Gutschein im Wert von 150 Euro erhalten.

"Engagiertes Handeln erforderlich": EU-Parlamentarier Peter LieseBild: European Union 2020/E. Gomez

Die grüne Europaabgeordnete Jutta Paulus, gelernte Pharmazeutin, kümmert sich im Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments um die Impfpolitik. Sie findet, dass es ausreichend positive Daten gibt, um auch Impfskeptiker überzeugen zu können. Die müssten besser unters Volk gebracht werden. "In manchen Gegenden sind die Impfraten geringer, weil es wegen mangelnder Information oder auch falscher Informationen Zurückhaltung gibt. Das Teilen von guten Beispielen und Erfahrungen bei der Impfkampagne können helfen, Vertrauen zu stärken", meint die grüne Abgeordnete gegenüber der DW.

"Keine Panik"

Der gesundheitspolitische Sprecher der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Dr. Peter Liese, sagt der DW, wichtig seien gute Informationen und eine konsequente Umsetzung der Regeln für das EU-Zertifikat. "Wer nicht geimpft ist, sollte strengste Quarantäneregeln auch innerhalb der EU erfahren; wer geimpft ist, sollte aber weniger streng behandelt werden. Das ist wissenschaftlich gerechtfertigt und erhöht die Impfbereitschaft", so der EU-Abgeordnete Liese, der selbst als Impfarzt ausgeholfen hat.

Bulgarien ist mit seiner Schwarzmeerküste ein beliebtes Urlaubsziel auch für russische Touristen. In Russland sind die Infektionszahlen hoch. Die Sorge macht sich breit, dass sich die Delta-Variante sozusagen über den Goldstrand bei Varna Zugang zur EU verschaffen könnte. Es sei "ärgerlich", dass Bulgarien trotz niedriger Impfquote russische Touristen akzeptiere, betonte Liese. In Russland wird Sputnik V verimpft, was weder von der EU noch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als wirksamer Impfstoff anerkannt wird. 

"Unterm Strich sollte man das Thema aber nicht dramatisieren", meint der europäische Gesundheitspolitiker Liese. Es sei zwar anzustreben, dass alle Menschen in der EU möglichst vollständig geimpft werden. Das Gleiche gelte natürlich auch für den Rest der Welt. Aber eine Impfung schütze jeden einzelnen, unabhängig von der Impfquote. "Deswegen ist hier engagiertes Handeln erforderlich, aber keine Panik."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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