1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Großbritanniens Corona-Strategie: Impfen, impfen, impfen

27. November 2021

In England gibt es keine Corona-Beschränkungen mehr. Daran will die Regierung auch angesichts der neuen Variante "Omicron" festhalten. Aus London Birgit Maaß.

BdTD London Soho | Coronavirus Aufhebung von Ausgangssperre
Volle Pubs: Seit dem Sommer gelten in England keine Corona-Beschränkungen mehrBild: Henry Nicholls/REUTERS

Die kleine Kneipe im Londoner Zentrum ist voll, auch unter der Woche. Auf einem Bildschirm wird American Football übertragen. Dicht gedrängt wird Bier getrunken, wer Hunger hat, bestellt Steak oder Sandwiches. Einen Mindestabstand gibt es nicht, niemand trägt eine Maske, auch nicht, wenn er oder sie den Platz verlässt. Clive Booth raucht draußen eine Zigarette. Er ist unterwegs zu einem Gig um die Ecke, Indie-Bands, und freut sich, dass er wieder ausgehen kann: "Endlich ist das Leben wieder halbwegs normal." Nachtclubs, Theater, Restaurants - in England gibt es keine Beschränkungen. Clive Booth ist Mitte fünfzig, doppelt geimpft und hat schon seinen Booster-Shot, er fühlt sich relativ sicher.

Clive Booth: "Endlich ist das Leben wieder halbwegs normal."Bild: Birgit Maaß/DW

So sehen es auch die anderen Gäste. Hugh Jones und Barney Dyer studieren beide am renommierten University College London. Politik-Student Barney Dyer ist in Frankreich aufgewachsen. Er ist froh, im Moment in London zu sein, wo er nahezu ohne Restriktionen unterwegs sein kann: "Die Briten haben eine andere Einstellung als die Franzosen. Die Freiheit geht ihnen über alles. Sie wollen das Leben genießen." Von zusätzlichen Einschränkungen hält er wenig: "Wir können doch nicht in einem permanenten Lockdown leben. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen, und durch." Dem Impfprogramm der britischen Regierung sei es zu verdanken, dass er sich frei bewegen kann, ergänzt Geographiestudent Hugh Jones: "Großbritannien ist auf einem guten Weg."

Die Studenten Barney Dyer und Hugh Jones: "Zähne zusammenbeißen und durch."Bild: Birgit Maaß/DW

Herdenimmunität erreicht?

Aber nicht alle Briten sind davon überzeugt. Barbara Romito ist pensionierte Lehrerin. Auch sie ist durchgeimpft, inklusive Booster. Trotzdem stört es sie, dass im Supermarkt und in öffentlichen Verkehrsmitteln nur wenige eine Maske tragen, "vor allem unter den Jüngeren". Die U-Bahn meidet sie daher. Sie fühlt sich "schutzlos", und wünscht sich striktere Regeln.

Tatsächlich verlässt sich England seit dem Sommer ausschließlich auf das Impfen. Schottland, Nordirland und Wales dürfen eigene Wege gehen. In Schottland zum Beispiel sind Masken in öffentlichen Innenräumen und öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht. Aber in ganz Großbritannien ist die Impfquote im europäischen Vergleich relativ hoch, fast neunzig Prozent der über 12-jährigen wurden zumindest einmal geimpft.

Ärgert sich über sorglose Maskenverweigerer: Barbara RomitoBild: Birgit Maaß/DW

Sogar von einer "Herdenimmunität" ist die Rede - davon spricht der Epidemiologe Neil Ferguson, der am Imperial College in London forscht und einer der wichtigsten Berater der britischen Regierung ist. Die sei nicht nur durch das Impfen entstanden, so Ferguson, sondern auch ein Resultat der hohen Infektionsraten: Mehr als vierzigtausend neue Fälle pro Tag, und jede Woche mehr als tausend Tote. Seit Wochen haben die COVID-Fälle ein Plateau erreicht, bleiben die Zahlen hartnäckig hoch - aber steigen nicht, wie zum Beispiel in Deutschland und Österreich, rasant immer weiter an.

Sorge vor neuen Virusvarianten

Die Strategie der britischen Regierung bleibt vorerst: Impfen, impfen, impfen. Auch angesichts der neuen Variante aus Südafrika sieht Gesundheitsminister Sajid Javid keinen Anlass, davon abzuweichen: Großbritannien befände sich in einer Position der Stärke, sagte er am Freitag im britischen Unterhaus. Aus Vorsicht hat Großbritannien allerdings, wie auch andere europäische Länder, Flüge aus mehreren südafrikanischen Ländern gestrichen.

Großbritannien habe keinen Grund, sich allzu sicher zu fühlen, sagt dagegen der Immunologe und Virusforscher Professor Danny Altmann der Deutschen Welle. Von dem Konzept "Herdenimmunität" hält er nichts: Natürlich schütze die Impfung vor dem Allerschlimmsten. Aber trotzdem würden in Großbritannien fünfzigtausend zusätzliche Corona-bedingte Todesfälle pro Jahr erwartet. Und die neue Variante mache klar: Solange das Virus weiterhin auf der ganzen Welt weit verbreitet sei, könnten neue Mutationen jederzeit eine neue Gefahr bedeuten.

Trügerische Sorglosigkeit? Trotz hoher Impfquote verzeichnet Großbritannien über 1000 Corona-Tote pro Woche.Bild: Alberto Pezzali/AP Photo/picture alliance

Seit Ausbruch des Virus sind in Großbritannien über 144.000 Menschen an oder mit einer COVID-19-Infektion gestorben. Damit steht die Insel weit schlechter da als zum Beispiel Spanien, Frankreich und Deutschland. Von Haus aus sei er eigentlich Optimist, sagt Professor Danny Altmann. Aber was den Virus angeht, sei ein Ende leider noch nicht in Sicht: "Die Politiker wollen hauptsächlich die Wirtschaft wieder ankurbeln, sie wollen mit dem Virus nichts mehr zu tun haben. Das frustriert mich."