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Politik

Corona-Krise: Protest mit Abstand

Jennifer Wagner
6. Juni 2020

Politische Proteste in Corona-Zeiten sind eine Herausforderung. Demonstrationen gegen Rassismus oder den Klimawandel lassen viele Teilnehmern mit ihrem Gewissen hadern. Aktivisten finden kreative Lösungen.

Aktivisten der "Fridays for Future"-Bewegung sitzen mit Abstand voneinander am Jungfernstieg in Hamburg
Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

"I can't breathe" - "Ich kann nicht atmen": Die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd, der in Minneapolis durch die Gewalt weißer Polizisten starb, sind zum Slogan der Anti-Rassismus-Bewegung geworden. Sie stehen auf Plakaten bei Demonstrationen in den USA und in aller Welt - auch in Europa, auch an diesem Wochenende.

Aber diese Proteste fallen in die Zeit der Kontaktbeschränkungen, denn das Coronavirus grassiert immer noch. In einigen Ländern stagnieren die Zahlen, in anderen infizieren sich weiterhin täglich Tausende Menschen, etwa in Peru, Brasilien oder den USA. Für viele Demonstranten bedeutet das: Zerrissenheit. Schlechtes Gewissen. Vorsicht.

Wut und Ohnmacht öffentlich zeigen

Ein Beispiel ist Rahel Tekle. Die 25-Jährige lebt in Bonn und will am Wochenende zu einer Anti-Rassismus-Demonstration - trotz Corona-Infektionsrisiko. "Ich habe lange gezögert, ob ich gehen soll, weil ich demonstrieren in Zeiten von Corona eigentlich dämlich finde", so Tekle. "Aber mittlerweile sind die Fallzahlen so niedrig, dass sich das Risiko gering anfühlt. Deshalb werde ich mit Abstand demonstrieren gehen."

"I Can't Breathe" - Protest mit Maske vor der US-Botschaft in Berlin am 30. MaiBild: Getty Images/AFP/O. Andersen

Ihren Protest zu zeigen, ist ihr wichtig. Sie selbst hat schon im Kindergarten Rassismus erlebt, wurde mit dem N-Wort beschimpft, wegen ihrer Hautfarbe nicht zu einem Kindergeburtstag eingeladen oder bekam vom Deutschlehrer auf dem Gymnasium erst einmal eine Fünf, ein "Mangelhaft" - "aus Prinzip", weil der Lehrer meinte, sie könne kein Deutsch. Der Tod von George Floyd ist aus ihrer Sicht nur eines von vielen Ereignissen, die zeigen, dass Rassismus jeden Tag stattfindet. "Aber sein Tod hat mich nicht überrascht. Ich war eher wütend und ohnmächtig, weil ich dachte: Es wird nicht besser."

Die anhaltende mediale und gesellschaftliche Debatte über Rassismus macht ihr Hoffnung. "Ich habe den Eindruck, dass jetzt der Moment ist, an dem etwas passiert und sich die Gesellschaft ändern kann", so Tekle. Das möchte sie mit anzustoßen und dafür demonstrieren - freiwillig.

Im Netz üben jedoch einige Anti-Rassismus-Aktivisten Druck aus: Wer jetzt nicht auf die Straße gehe und gegen Rassismus protestiere, sei selbst Teil des Problems - so ähnlich lauten Vorwürfe auf digitalen Plattformen. Rahel Tekle hält dagegen: Genauso wichtig sei - nicht nur in Corona-Zeiten -, mit der Familie oder Freunden über Rassismus zu sprechen. "Alternativen zum Protest auf der Straße gibt es doch auch auf Social Media", sagt sie. "Artikel teilen, sich informieren, sich solidarisch zeigen - das muss nicht nur auf einer Demonstration sein. Hauptsache, man macht es."

Verantwortung und Risiko abwägen

So oder so: Der politische Protest hatte es in den vergangenen Monaten nicht leicht. Das merkten auch die Aktivisten von Fridays for Future. Da der Klimawandel aber keine Corona-Pause einlegt, haben sich die Mitstreiter Alternativen zu ihren öffentlichen Protesten ausgedacht. Den lange geplanten Klimastreik am 24. April haben sie kurzerhand ins Internet verlegt.

Klimastreik fürs Internet: Luisa Neubauer von Fridays for Future legt am 24. April Plakate vor dem Reichstag ausBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Fridays for Future demonstrieren aber auch wieder auf der Straße, seit das Bundesverfassungsgericht Mitte April das generelle Verbot von Demonstrationen gekippt hat - unter der Voraussetzung, dass die Teilnehmer den Mindestabstand von 1,5 Metern wahren. Aktivisten saßen zum Beispiel am vergangenen Dienstag im Schatten des Kölner Doms auf dem Boden, um ihren Forderungen für das Konjunkturpaket der Bundesregierung Nachdruck zu verleihen. Sie hatten mit Kreide ein riesiges Raster auf den Platz gemalt, in dessen Kästen sich maximal zwei Demonstranten mit Mundschutz niederlassen durften. "Unsere Proteste sind Corona-konform", verspricht Aktivistin Leonie Bremer. "Uns ist wichtig: Es ist möglich, zu demonstrieren und gleichzeitig die Risikogruppen zu schützen."

Das ist ihr auch persönlich wichtig, denn einige ihrer Verwandten gehören zur Risikogruppe. Ihre Eltern heißen ihr Engagement in Corona-Zeiten darum nicht gut. "Es war aber essentiell, dass wir klargemacht haben, dass wir keine Abwrackprämie im Konjunkturpaket haben wollen. Da geht es auch um unsere Zukunft und Gesundheit", so die 23-Jährige. "Außerdem werde ich nervös, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nichts tun kann."

Digitale Demos finden wenig Beachtung

Leonie Bremer ist zufrieden, dass ihr Protest Wirkung gezeigt hat. Aber sie hat auch gemerkt, dass digitale Klimastreiks ihre Grenzen haben: "Wir erreichen die Politik eher mit Fernsehbildern und Zeitungsberichten über unsere Großstreiks als mit Aktionen in den digitalen Medien."

Diesen Eindruck bestätigt auch Daniel Mullis. Er arbeitet am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung zu Krisenprotesten. Seine Beobachtung in den vergangenen Wochen: "Protest im digitalen Raum war nicht so erfolgreich." So fanden manche Online-Aktionen kaum Gehör, etwa der Housing Action Day gegen horrende Mieten Ende März. Der Netzstreik fürs Klima von Fridays for Future bildete da eine Ausnahme. "Es braucht doch die Aktivität auf der Straße, um Protest zu beachten", bestätigt Daniel Mullis.

Forderungen zum Konjunkturpaket der Bundesregierung am 2. Juni - ebenfalls mit viel AbstandBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

An die Corona-Beschränkungen hätten sich die meisten sozialen Bewegungen gehalten - bis auf die sogenannten Hygiene-Demonstranten, die die Auflagen bewusst umgehen wollten. "Ob Fridays for Future oder die Seebrücken-Proteste (fürSeenotrettung von Flüchtlingen, Anm. d. Red.): Alle haben versucht, kreative Protestformen mit Abstand und Mundschutz umzusetzen", so der Protestforscher. "Das war ein verantwortungsvoller Umgang in der Pandemie."

Verantwortungsvoll will auch die 18-jährige Anthea Herre aus Berlin am Wochenende sein. Sie wird an einer Silent Demo teilnehmen. In zahlreichen deutschen Städten werden Demonstranten still zusammenkommen, um in schwarzen T-Shirts gegen Polizeigewalt und Rassismus zu protestieren. "Schwarze werden auch in unserer Gesellschaft systematisch unterdrückt", ist sie überzeugt. "Das ist kein rein US-amerikanisches Problem." Weiße würden bevorzugt, bekämen eher einen Job und würden auch von der deutschen Polizei anders behandelt als Afrodeutsche oder andere Menschen mit afrikanischen Wurzeln, wie sie aus dem eigenen Freundeskreis mitbekommen habe. "Wir sollten uns diese Privilegien eingestehen", sagt Herre.

Darum geht sie trotz Corona-Pandemie demonstrieren - obwohl ihr das Sorgen bereitet. "Ich habe Masken dabei und Handschuhe", sagt sie, "vielleicht werde ich auch eine Sonnenbrille anziehen." Dass ein Infektionsrisiko bleibt, nimmt sie in Kauf: "Das Thema ist mir so wichtig."

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