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Corona lässt Lieferketten kürzer werden

Matilda Jordanova-Duda
26. Mai 2020

Niedrige Lagerbestände und Just-in-time-Produktion, das war lange Standard in der Industrie. Die Corona-Pandemie zwingt viele Firmen nun zum Umdenken. Eine Absage an die Globalisierung ist das aber nicht.

Bahnwaggons auf einem Rangierbahnhof in Hamm/Nordrhein-Westfalen
Bild: Reuters/W. Rattay

Mit Druckluft werden Maschinen gesteuert, Pakete bewegt, Plastikflaschen in Form gepresst – und auch Beatmungsgeräte betrieben. Deshalb hat die Firma Boge aus Bielefeld auch während der Corona-Krise gut zu tun. Das mittelständische Unternehmen baut Kompressoren und Aufbereitungsanlagen für trockene, öl- und keimfreie medizinische Druckluft, die Hersteller von Beatmungsgeräten wie Drägerwerk brauchen.

Die Medizintechnik habe derzeit höchste Priorität in der Produktion, erzählt der kaufmännische Leiter des Familienunternehmens, Oliver Peters. Die Lieferanten arbeiteten ebenfalls rund um die Uhr, um die Motoren für die Kompressoren bereitzustellen.

Die Bielefelder waren jedoch froh, bestimmte Komponenten vorrätig zu haben. "Anfang des Jahres waren die Lieferungen aus Asien weggebrochen", sagt Einkaufsleiter Olaf Kuhlmann, "und schon während wir die ersten Anfragen an andere Anbieter losschickten, ging in Europa nichts mehr." Rohrleitungen und Rahmen bezieht Boge aus Osteuropa, die Kühler, in denen viel Handarbeit steckt, aus China. Weitere Bauteile kommen unter anderem aus Italien.

Abhängigkeit vermeiden

Boge verkauft seine Kompressoren weltweit. Um die Risiken zu minimieren, will das Unternehmen nicht abhängig sein von einzelnen Zulieferern oder Regionen. Je nach Warengruppe werden die Aufträge "aufgefächert". Dadurch könnten die Kosten in manchen Fällen steigen, sagt Einkaufsleiter Kuhlmann, "aber der Preis ist nicht das höchste Gut. Verfügbarkeit ist oft wichtiger".

Auch Sicherheit und langfristige Partnerschaften zählten. Durch die Kontakte gebe es einiges sogar preiswerter oder es ergäben sich andere Vorteile. "Wir merken zudem, dass sich die Wahrnehmung der Kunden verschiebt. Sie sind bereit, für Qualität und Verfügbarkeit mehr zu zahlen", sagt Kuhlmann.

In einer Maschine aus deutscher Herstellung im Wert von 100.000 Euro stecken nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft durchschnittlich 28.200 Euro ausländischer Wertschöpfung. Die internationale Arbeitsteilung ist weit verbreitet.

Kompressor-Hersteller Boge aus Bielefeld überdenkt derzeit seine LieferkettenBild: Boge

Mitte April gab fast die Hälfte der Unternehmen laut einer Umfrage des Branchenverbands der deutschen Maschinenbauer VDMA an, durch ausgefallene Lieferungen merklich oder gravierend beeinträchtigt zu sein.

Zurzeit entspannt sich die Lage leicht, weil die chinesische Produktion wieder anspringt. Forscher vermuten, dass sich Unternehmen - ähnlich wie Boge - vermehrt absichern und ihre Lieferketten überdenken. Tendenziell könnten dadurch Produktionskosten steigen. Das würde jedoch nicht zwangsläufig die Wettbewerbsfähigkeit negativ beeinflussen, meint Michael Holz vom Institut für Mittelstandsforschung: "Alle Anbieter stehen derzeit vor ähnlichen Herausforderungen und müssen Lösungen finden."

Fernost ist teurer, als viele denken

"Die heutigen Lieferketten werden wieder in Gang kommen, aber wollen wir wirklich die alten wiederhaben?", fragt Ronald Bogaschewsky, Professor für Industriebetriebslehre an der Universität Würzburg.

Ein falsch verstandenes globales Beschafftungswesen, bei dem für ein paar Prozent Kosteneinsparungen der weltweit billigste Anbieter gesucht und so das Risiko hochgeschraubt wurde, bedürfe der Korrektur, so Bogaschewsky. Schon vor der Corona-Pandemie waren die globalen Lieferketten bedroht - durch Naturkatastrophen, politische Konflikte, Produktionsausfälle und vor allem den Klimawandel.

Bei der Produktion in Fernost (hier in Shenzen, China) werden viele Kosten nicht berücksichtigt, sagt Ronald BogaschewskyBild: Getty Images/K. Frayer

In der Corona-Krise beschränke sich die öffentliche Diskussion zwar auf kritische Medizingüter, mittelfristig ginge es aber darum, wieder mehr Beschaffung innerhalb Europas zuzulassen, sagt Bogaschewsky. Zumal Komponenten aus Fernost gar nicht so viel günstiger seien, wenn man alle Kosten berücksichtige. Einschließlich Logistik, staatlicher Gebühren, Qualitätskontrollen und Kommunikationsaufwand liege der Kostenvorteil lediglich bei fünf Prozent.

Würde man auch die Umweltverschmutzung, Verletzungen der Menschenrechte und die Abhängigkeit von undemokratischen Regimen ehrlich einpreisen, seien diese Importe sogar teurer. Doch es sei die Aufgabe der Politik, entsprechende Anreize zu setzen: "Die Unternehmen werden es dann selbst am effizientesten regeln", so Bogaschewsky.

Gut Ding will Weile haben

Auch innovative Technologien sollen künftig für mehr Krisenfestigkeit sorgen. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz entwickelt etwa das System "Spaicer": Die KI soll Risiken frühzeitig erkennen und den Produzenten Alternativen vorschlagen. Rohstoffpreise, politische Analysen oder Wetterdaten fließen da mit ein. Die Krux: Engpässe sind akut, aber die Umstellung braucht eine Weile.

"Allerweltsprodukte wie Schrauben sind standardisiert. Fast jeder kann sie fertigen: Man kann den Anbieter jederzeit wechseln", so sagt Bogaschewsky. Komplexe Bauteile stellten Firmen jedoch vor größeren Herausforderungen, sogar bei einer digitalisierten Produktion.

Mangel an Medikamenten wächst durch Corona-Lieferengpass

02:47

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Es reiche nicht aus, eine CAD-Datei an eine neue Firma zu schicken, damit deren computergesteuerte Maschinen das Produkt herstellen können. Vielmehr komme es auf die Details an, etwa nicht erfasste Änderungen oder Oberflächen, deren Beschaffenheit nur durch Befühlen vor Ort geprüft werden kann. "Und dann muss das Ergebnis nicht nur beim ersten Mal stimmen, sondern auch beim tausendsten", so Lieferketten-Experte Bogaschewsky. Bis da alles stimmt, dauere es oft zwei bis drei Jahre.

In Bielefeld ist Kompressor-Hersteller Boge dabei, neue Vertragspartner zu zertifizieren. "Gerade in der Krise merkt man, wie die Lieferanten ticken: Einige tun alles, was menschenmöglich ist, andere warten erst einmal ein paar Wochen ab", sagt Kuhlmann. Und einige hätten erst eine Behördengenehmigung für die Ausfuhr einholen müssen.

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