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Gesellschaft

Corona und der digitale Medienboom

3. Mai 2020

Jubeln und Jammern, Reichweitenrekorde und Verluste: In der Coronakrise geht der Medienkonsum durch die Decke, und dennoch kämpfen viele Verlage ums Überleben. Braucht die unabhängige Presse ein neues Geschäftsmodell?

Deutschland | Coronavirus | Schlagzeilen
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

"Die Menschen suchen gerade jetzt Medien, die Orientierung geben und sich für den Zusammenhalt der Gesellschaft besonders einsetzen", erklärt Rainer Esser, Geschäftsführer des ZEIT-Verlages, im Interview mit der DW. "Diese Krise birgt große Chancen für Qualitätsmedien und bringt uns einen gewaltigen Innovations - und Digitalisierungsschub."

Die Zahlen geben dem ZEIT-Geschäftsführer Recht. Laut derInformationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) stieg die Anzahl der digitalen Nutzung bei  "Zeit online" von 82 Millionen Abrufen im Februar auf 144 Millionen im März diesen Jahres. "Spiegel.de" steigerte sich von 222 Millionen auf 392 Millionen Abrufe, "Bild.de" von 486 Millionen auf 688 Millionen.

ZEIT-Geschäftsführer Rainer Esser: "Eine wie auch immer geartete Subventionierung ist für uns kein Thema"Bild: Imago Images/M. Segerer

Google greift Anzeigenetats ab

Doch trotz der Reichweitenrekorde im Netz will kein rechter Jubel aufkommen. Denn Corona hat das Anzeigengeschäft zum Erliegen gebracht - digital und gedruckt. Und damit auch das Geschäftsmodell vieler Verlage, das auf Anzeigen basiert.

Laut Bundesverband der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger (BDZV) brechen "in der Krise die Werbeeinnahmen massiv weg". Keine Reisen, keine Veranstaltungen, keine Gastronomie - es herrscht totale Flaute. Stattdessen geht das Zeitungssterben weiter, zahlreiche Verlage haben angesichts der Einnahmeausfälle Kurzarbeit eingeführt.

Corona als Branchenkiller? Medienexperte Steffen Grimberg winkt ab. "Auch ohne Corona wäre die Werbung zurückgegangen, sowohl Print als auch online", sagt Grimberg im DW-Gespräch. "Die Anzeigen wandern ins Netz ab. Allerdings machen dort nicht die Verlage, sondern ganz andere Markteilnehmer den Reibach, nämlich vor allem Google und Facebook."

Trendsetter USA: Die Werbeetats fließen zu den großen Plattformen Google, Facebook und Amazon

Sinkende Auflagen

Die digitale Transformation und die verzweifelte Suche nach einem funktionierenden Geschäftsmodell hat die Medienbranche seit Jahren im Griff. Der finanzielle Aufwand für gedruckte Zeitungen wird angesichts sinkender Auflagen und steigender Druck- und Vertriebskosten immer kostspieliger. Nur die öffentlich-rechtlichen Medien sind aufgrund des Gebührenmodells von der Krise verschont.  

Der Auflagenschwund von Deutschlands größter Boulevard-Zeitung "Bild" steht stellvertretend für den digitalen Strukturwandel der Branche, der besonders die Tagespresse trifft. In den vergangenen zehn Jahren sank die Auflage von 3,2 Millionen Exemplaren (1.Quartal 2010) auf 1,3 Millionen Exemplare (1.Quartal 2020).

Im Netz scheint es noch schwieriger, mit journalistischen Inhalten Geld zu verdienen. Australiens Finanzminister Josh Frydenberg will deshalb die digitalen Gewinner zur Kasse bitten. Er kündigte an, dass US-Konzerne wie Google und Facebook künftig Nutzungsgebühren an australische Medienhäuser zahlen sollen. 

"Zwangsabgabe ist kompletter Unsinn"

ZEIT-Geschäftsführer Rainer Esser hält von dieser Art von Presse-Abgabe ganz und gar nichts: "Wir sollten schauen, dass wir möglichst intensiv auf diesen Plattformen vorkommen und ihre gewaltige Reichweite für unsere Nachrichten und Geschäfte nutzen", schlägt er vor. "Zwangsabgaben sind kompletter Unsinn."

Auch wenn in Deutschland "Nutzungsgebühren" für Google und Facebook eher unwahrscheinlich sind, greift die Regierung der Branche dennoch finanziell unter die Arme. BDZV-Geschäftsführer Dietmar Wolff fordert, dass die bereits vor der Coronakrise beschlossene Förderung für die rund 100.000 Zeitungszusteller in Deutschland in Höhe von 20 Millionen Euro aufgestockt wird.

Das waren noch Zeiten: Stundenlang Zeitung lesen in einem Berliner Café in den 30er JahrenBild: picture alliance/Imagno

Kann lokale Berichterstattung gemeinnützig sein?

Auch Medienexperte Grimberg ist staatlicher Unterstützung gegenüber nicht abgeneigt. "Es wäre zum Beispiel möglich, Initiativen, die lokale Berichterstattung machen möchten, weil mal wieder ein Lokalteil einer Zeitung dicht gemacht hat, als gemeinnützige Organisationen einzustufen", schlägt er vor. "Ich hätte persönlich auch kein Problem damit, wenn der Mehrwertsteuersatz für Zeitungen null wäre."

Wie Geschäftsführer Esser hofft auch Medienexperte Grimberg auf einen "Corona-Schub". Mehr Medienkonsum im Netz, mehr Digital-Abonnenten, mehr digitale Erlöse. "Die Bereitschaft für Journalismus im Netz zu zahlen, nimmt zu, weil seriöse Informationen in Krisensituationen wichtiger werden", glaubt Grimberg. "Das sehe ich positiv."

Corona beschleunigt die digitale Wende. Der Umstieg von Print auf Online ist in vollem Gange, auch wenn er sich in Deutschland wesentlich langsamer vollzieht als zum Beispiel in den USA. Dort vermeldete die New York Times 2019 einen Rekord mit einer Million neuer Digital-Abonnenten.

In Deutschland hat der Verkauf digitaler journalistischer Inhalte laut BDZV 2019 um 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt. Die digitalen Vertriebserlöse deutscher Tageszeitungen summierten sich 2019 auf 390 Millionen Euro, was einem Anteil von acht Prozent der gesamten Vertriebserlöse von 4,8 Milliarden Euro entspricht.

Sterben Europas Zeitungen aus?

01:14

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"Print ist nicht tot"

"2022 wird es keine gedruckte Tageszeitung mehr geben", prophezeite 2012 der damalige Geschäftsführer der alternativen Berliner "tageszeitung" (taz), Kalle Ruch. Damals wirkte die Aussage radikal und Angst einflößend. Heute wird das Szenario zunehmend realistischer.

"Wenn die digitale Durchdringung durch Corona einen Schub erfährt und es selbstverständlicher geworden ist, seine Nachrichten auf dem Tablet zu konsumieren, dann werden wir sehen, dass die gedruckte Tageszeitung zumindest unter der Woche endlich ist", meint Medienexperte Steffen Grimberg. Doch er warnt davor, das Totenglöcklein zu früh zu läuten: "Print ist nicht tot, sondern es verlagert sich und wird insgesamt weniger."

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