Selten war das Wort unfreier: Weltweit werden Schreibende mehr denn je verfolgt, beklagt der PEN Deutschland. Die Pandemie spielte den Regimen in die Hände.
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PEN: Mehr Freiheit für das Wort
Die Vereinigung PEN setzt sich weitweilt für verfolgte Autoren und Journalisten ein. PEN Deutschland hat nun Salman Rushdie zum neuen Ehrenmitglied gemacht.
Bild: Herbert Neubauer/AFP via Getty Images
Salman Rushdie
Neun Jahre lebte der indisch-britische Schriftsteller in Verstecken: Der Iran hatte 1989 eine "Fatwa" gegen ihn verhängt, in der zum Mord an ihm aufgerufen wurde. Am 12. August 2022 wurde er nun bei einer Messerattacke schwer verletzt. Der deutsche PEN wertet das als "perfiden Gewaltakt auf Salman Rushdie, die Meinungsfreiheit und die westlichen Werte" und hat ihn zum Ehrenmitglied berufen.
Auch für Maria Ressa setzt sich die internationale Schriftstellervereinigung ein. Die Friedensnobelpreisträgerin ist der philippinischen Regierung ein Dorn im Auge. Sowohl unter Ex-Präsident Rodrigo Duterte als auch unter seinem Nachfolger Ferdinand Marcos Jr. laufen mehrere Gerichtsverfahren gegen sie. Zuletzt wurde die Schließung des von ihr gegründeten Nachrichtenportals "Rappler" angeordnet.
Bild: Sikarin Thanachairy
Türkei: Selahattin Demirtaş
Der türkische Oppositionspolitiker Selahattin Demirtaş trat bei den Wahlen 2014 und 2018 gegen Präsident Erdoğan an. Seit November 2016 sitzt er wegen angeblicher "Terrorpropaganda" im Hochsicherheitsgefängnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt seine Freilassung. Die Türkei, Mitglied im Europarat, reagiert nicht. In der Haft fing Demirtaş an zu schreiben.
Bild: HDP
China: Rahile Dawut
Wie Hunderte von uigurischen Intellektuellen verschwand auch Rahile Dawut 2017 spurlos aus der Öffentlichkeit. Laut Human Rights Watch wurde die bekannte Ethnologin aus Xinjiang während einer Säuberungsaktion gegen uigurische Dichter, Akademiker und Journalisten verhaftet. Vermutlich hält man sie in einem Internierungslager fest. Das deutsche PEN-Zentrum setzt sich für Rahile Dawut ein.
Bild: Lisa Ross
Uganda: Kakwenza Rukirabashaija
Sein Fall wirft ein Schlaglicht auf die Lage der Meinungsfreiheit in Uganda: Der afrikanische Regimekritiker, Autor und Jurist Kakwenza Rukirabashaijas wurde 2021 wegen kritischer Bücher und respektloser Tweets verschleppt und schwer gefoltert. Mit Hilfe des PEN gelang ihm die Flucht nach Deutschland, wo er seit Februar lebt. Seit Juli nimmt er am Writers-in-Exile-Programm des PEN-Zentrums teil.
Bild: Privat
Vietnam: Pham Doan Trang
Politisch motivierte Anklagen, Verhaftungen, Bestrafungen: Mit ihrem Engagement gegen Umweltzerstörung, Polizeigewalt und Unterdrückung von Minderheiten geriet die vietnamesische Bloggerin und Journalistin Pham Doan Trang selbst ins Visier der Regierung. Viele Menschenrechtsorganisationen und Regierungen verlangen ihre Freilassung, seit sie 2021 zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Bild: Thing Ngyen
Türkei: Osman Kavala
Kulturförderer Osman Kavala wird von der türkischen Regierung vorgeworfen, die Gezi-Proteste 2013 befördert zu haben, um die Regierung zu stürzen. Im April 2022 wurde er zur lebenslanger Haft verurteilt. PEN, Amnesty International und der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte fordern seine Freilassung. Der Europarat rügte die Türkei wiederholt wegen Missachtung der Menschrechtskonventionen.
Bild: Kerem Uzel/dpa/picture alliance
Simbabwe: Tsitsi Dangarembga
Eine mutige Frau ist auch Tsitsi Dangarembga. Die simbabwische Autorin und Filmemacherin steht in ihrer Heimat wegen regierungskritischer Proteste vor Gericht. Ihr werden öffentlicher Aufruf zu Gewalt, Friedensbruch und Bigotterie vorgeworfen. Dangarembga erhielt 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sollte es zur Verurteilung kommen, drohen ihr mehrere Jahre Haft.
Bild: Jens Kalaene/picture alliance/dpa
Afghanistan: Tamana Tawangar
Als eine von zehn afghanische Schriftstellerinnen und Schriftstellern konnte Tamana Tawangar mit ihrer Familie das Land rund ein Jahr nach der Rückeroberung Kabuls durch die Taliban verlassen. Dafür sorgten unter anderem der Schriftstellerverband PEN, das Auswärtige Amt und die NGO "Luftbrücke Kabul". Die Autorin und Regisseurin aus Herat engagiert sich im PEN Afghanistan für Literatur auf Farsi.
Bild: Cornelia Zetzsche
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Vor allem die Corona-Pandemie war es, die sich nach Recherchen des Schriftstellerverbandes "verheerend" auf die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit in vielen Ländern auswirkte. Besonders betroffen: Autorinnen und Autoren, Journalisten und Kunstschaffende, die Kritik an den Corona-Maßnahmen übten. "Das freie Wort ist so unfrei wie nie. Die Welt ist nicht besser geworden", so Cornelia Zetzsche, die neugewählte Vizepräsidentin und Writers-in-Prison-Beauftragte des deutschen PEN-Zentrums in Darmstadt im Deutsche Welle-Interview.
In vielen Ländern wurden Online-Plattformen geschlossen, berichtet der PEN und listet zahlreiche Übergriffe im Jahr 2021 auf. Danach gerieten etwa in Bangladesch und Venezuela Journalisten wegen der angeblichen Verbreitung von "Fake News" in Haft. In Kasachstan sei der an Corona erkrankte Dichter Aron Atabek ohne medizinische Versorgung im Gefängnis gestorben - nach 18-jähriger Haft.
Vielerorts seien Autokratien brutal gegen die freie Meinungsäußerung vorgegangen, heißt es. So seien in Myanmar mindestens fünf Schriftsteller von den Streitkräften der herrschenden Junta bei einer friedlichen Demonstration getötet worden, darunter die Dichter Myint Myint Zin und K Za Win. In Afghanistan seien die PEN-Mitglieder Abdullah Atefi und Dawa Khan Menapal erschossen worden, als die Taliban die Kontrolle über Kabul übernahmen.
Repression und Gewalt habe es in Mexiko, Bangladesch und dem Libanon gegeben. In der äthiopischen Region Tigray seien Journalisten, die versucht hätten, über den Konflikt zu berichten, schikaniert und verhaftet worden. Doch auch nach Europa blickt die Schriftstellervereinigung - und erinnert etwa an den Tod des niederländischen Kriminalreporters Peter R. de Vries, der im Juli 2021 in Amsterdam erschossen wurde.
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Vorwürfe der Machthaber überall ähnlich
Der neue PEN-Bericht verweist auf Missstände auch in China, der Türkei, Ägypten, dem Iran und Kuba - und somit in Ländern, die schon länger auf der Fallliste des PEN-International stehen. Die in London ansässige Dachorganisation hatte die diesjährige "Case List" akuter und beispielhafter Fälle von Menschenrechtsverletzungen bereits am Mittwoch vergangener Woche (13.07.2022) veröffentlicht, am fünften Todestag des chinesischen Schriftstellers, Menschenrechtlers und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo (1955-2017).
Die Argumente der Machthabenden seien in allen Ländern ähnlich, so die Writers-in-Prison-Beauftragte Zetzsche. Mal gehe es um den Vorwurf, die nationale Sicherheit zu gefährden, einer terroristischen Organisation anzugehören oder irgendeine Ikone des Landes beleidigt zu haben. "Die Fälle gleichen sich", so Zetzsche im DW-Interview, "die Instrumentarien der Unterdrückung sind immer ähnlich."