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Politik

Corona macht Bolsonaro beliebt

Ines Eisele | Murilo Basso
3. September 2020

Pandemie-Missmanagement hin, Korruptionsvorwürfe her: Die Beliebtheitswerte des brasilianischen Präsidenten ziehen wieder kräftig an. Das liegt vor allem an großzügigen Corona-Soforthilfen. Doch wie lange hält der Trend?

Brasilien Jair Bolsonaro
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro mit seinen Anhängern in Brasília vor dem RegierungspalastBild: Reuters/A. Machado

Seit April bekommen 40 Prozent der erwachsenen Brasilianer monatlich eine finanzielle Hilfe von 600 Reais, umgerechnet 100 Euro. Für fast die Hälfte von ihnen ist es die einzige Einkommensquelle. Der monatliche Zuschuss in dieser Höhe ist einmalig und bedeutet für viele Arme eine signifikante finanzielle Verbesserung.

Am Dienstag kündigte Präsident Jair Bolsonaro nun an, den Zuschuss in dem schwer von der Coronavirus-Pandemie getroffenen Land um vier weitere Monate zu verlängern. Brasilien ist mit knapp vier Millionen Infizierten und mehr als 122.000 Toten (Stand 02.09.2020) das weltweit am zweitstärksten von der Pandemie betroffene Land.

Die Höhe der Corona-Nothilfe wurde allerdings auf den monatlichen Betrag von 300 Reais halbiert. Aber auch diese Summe ist für brasilianische Verhältnisse immer noch hoch.

Politische Dividende

Die Finanzspritzen für ärmere Brasilianer haben sich für Bolsonaro politisch ausgezahlt, insbesonders bei seinen ärmeren Landsleuten, die zu den potenziellen Empfängern der Soforthilfe gehören. Nachdem er in der Corona-Krise zunächst deutlich an Beliebtheit einbüßte, gehen die Zustimmungswerte des Rechtspopulisten nun wieder nach oben.

Diese stiegen zwischen Mai und Mitte August dieses Jahres laut Meinungsforschungsinstitut XP/Ipespe von 25 auf 37 Prozent. Damit kann der 65-Jährige an Werte von vor der Corona-Zeit anknüpfen.

Nach Angaben des Ministeriums für Bürgerrechte haben seit April bereits mehr als 66 Millionen Einzelpersonen und Familien die Corona-Soforthilfe in Anspruch genommen. Rechne man Kinder mit ein, hätten bereits gut 126 Millionen Brasilianer, also 60 Prozent der Bevölkerung, von der Maßnahme profitiert, heißt es.

"Die Soforthilfe erreicht sehr viele Menschen, denen es dadurch wirtschaftlich besser geht. Es ist nicht verwunderlich, dass Bolsonaro damit in der Bevölkerung punktet", bestätigt der Politologe Cesar Zucco den Zusammenhang zwischen Umfragewerten und Zuschuss.

Bolsonaro mäßigt seinen Ton

Allerdings verweisen sowohl er als auch Wagner de Melo Romão, der an der Universität von Campinas (UNICAMP) Politikwissenschaften lehrt, darauf, dass die Hilfen nicht der einzige Faktor sind. "Die höheren Zustimmungswerte des Präsidenten haben unter anderem auch damit zu tun, dass er sich nun mit kontroversen Äußerungen etwas zurückhält und weniger aggressiv auftritt", erklärt Romão.

Das sah vor einigen Wochen und Monaten noch ganz anders aus. Da machte Bolsonaro von sich reden, indem er seine Anhänger zu Anti-Corona-Protesten anstachelte oder mit Aussagen wie, man müsse "der kleinen Grippe wie ein Mann" entgegentreten, das Virus verharmloste.

Ob die derzeitige Mäßigung Kalkül ist oder auch damit zu tun haben könnte, dass COVID-19 in Jair Bolsonaros eigener Familie angekommen ist, bleibt unklar. Sowohl er selbst als auch Verwandte des Präsidenten infizierten sich mit dem Virus. Die 80-jährige Großmutter seiner Ehefrau Michelle verstarb Anfang des Monats im Zusammenhang mit der Erkrankung.

Kongress wollte höheren Betrag

Ginge es nach Bolsonaro, sollten die Corona-Nothilfen ursprünglich geringer ausfallen. So lag der Regierungsvorschlag für den Corona-Zuschuss ursprünglich bei 200 Reais pro Monat. Die Opposition im brasilianischen Kongress, der die Maßnahme genehmigen muss, forderte hingegen 1000 Reais. Dieser Betrag von umgerechnet knapp 160 Euro entspricht dem brasilianischen Mindestlohn. Die 600 Reais waren dann der Kompromiss.

Allerdings sind nicht alle Nothilfe-Empfänger automatisch zu Bolsonaro-Fans geworden, wie das Beispiel von Acacio Reis zeigt, der in Paraisópolis lebt, einer Favela in der Millionenmetropole São Paulo. Als Musiker und Musiklehrer traf ihn die Pandemie hart, alle Auftritte und Aufträge gingen verloren.

"Der Zuschuss ist sehr wichtig für mich. Aber ich denke, es ist einfach die Pflicht der Regierung - die ja ansonsten in der Pandemie weitgehend versagt hat - den Bürgern nun zu helfen", sagt der 28-Jährige.

Musiker Acacio Reis: "Der Zuschuss ist sehr wichtig für mich"Bild: Privat

Damit spielt Reis darauf an, dass es in Brasilien zu keinem Zeitpunkt eine Strategie gegen die Ausbreitung des Coronavirus gab. Mehr noch, Bolsonaro sabotierte die von Bürgermeistern und Gouverneuren angeordneten Schutzmaßnahmen und Kontakteinschränkungen. Entschädigungen für Gesundheitspersonal lehnte er ebenso ab wie Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 in Indigenengebieten.

Musiker Acacio Reis weist außerdem auf möglichen Missbrauch der Soforthilfe hin. Viele bekämen die Unterstützung unrechtmäßig, bei anderen hingegen würde der Antrag ohne Begründung abgelehnt. In brasilianischen Medien wird zudem darüber berichtet, dass auch Gutverdiener, Bezieher anderer Sozialhilfeleistungen oder sogar Verstorbene die Corona-Nothilfe erhalten hätten.

Sozialpolitische Wende?

Ob die Halbierung des Zuschusses Bolsonaros Zustimmungswerte wieder verschlechtern wird, ist ungewiss. Natürlich komme es nie gut an, Leistungen zu kürzen oder zu streichen, so der Politologe Romão. Jedoch hat Bolsonaro bereits angekündigt, die Nothilfen nach ihrem Ablauf im Januar 2020 in ein neues Sozialprogramm zu überführen.

Corona-Pandemie in Brasilien

02:33

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Das neue Sozialprogramm "Renda Brasil" (Brasilien-Einkommen) soll die Maßnahmen zur Armutsbekämpfung von BrasiliensEx-Präsident Luíz Inácio Lula da Silva ersetzen. Mit dem Programm "Bolsa Familia" wurden in der Amszeit Lulas (2003 bis 2011) über 20 Millionen Brasilianer aus der Armut befreit.

Bolsonaros "Renda Brasil" wäre mit höheren Beträgen und einer höheren Anzahl von Empfängerfamilien wohl wesentlich teurer als "Bolsa Familia". Vollzieht der eigentlich mit neoliberalen Ideen angetretene Bolsonaro nun eine sozialpolitsche Wende? 

Zu beobachten bleibt auch, wie sich die brasilianische Wirtschaft nach dem Rekordeinbruch durch die Coronavirus-Pandemie insgesamt entwickelt. Cesar Zucco von der Hochschule und Denkfabrik Fundação Getúlio Vargas glaubt: "Wenn es gelingt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, könnte das dem Präsident 2022 die Wiederwahl bescheren."