Motivation gefragt für die Deutschen
11. Februar 2021Als Daniel Günther im vergangenen Jahr sein Corona-Expertengremium zusammenstellte, musste der schleswig-holsteinische Ministerpräsident nicht lange überlegen. Klar, ein ärztlicher Direktor aus einer Lungenklinik musste unbedingt dabei sein, natürlich auch eine Klinikdirektorin für Psychiatrie und Psychotherapie und der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft war auch ein absolutes Muss.
Doch Günther wollte unbedingt auch einen Experten dabei haben, der sich in Sachen Krisenkommunikation auskennt - denn der CDU-Politiker ahnte schon 2020, dass die knapp drei Millionen Schleswig-Holsteiner im Kampf gegen das Virus nur mitziehen, wenn die verhängten Maßnahmen aus Kiel transparent und nachvollziehbar erklärt werden.
Günther holte Frank Roselieb mit ins Boot. Er ist seit mehr als 20 Jahren Krisenforscher, Krisentrainer für Unternehmen, Kommunen und Verbände und sitzt im Vorstand des Berufsverbandes der Krisenmanager. Roselieb sagt: "Kommunikation wird im Fortgang der Pandemie immer wichtiger. Weil die Pandemiemüdigkeit immer deutlicher erkennbar wird und weil sich nicht jede Entscheidung der Politik als richtig herausgestellt hat."
Bevölkerung durch den Dauer-Lockdown erschöpft
Vielleicht ist Roseliebs Job nie schwieriger gewesen als jetzt: Nicht nur Schleswig-Holstein, ganz Deutschland ist angesichts des nicht endend wollenden Lockdowns zermürbt, erschöpft und mit den Kräften am Ende. Die Pandemie liegt wie Mehltau über dem Land, die Bevölkerung sieht sich gefangen zwischen geschlossenen Geschäften, Homeoffice und Homeschooling. Wie würde Roselieb, dessen Mantra unbeirrt lautet, dass jeder einzelne Krisenmanager dieser Pandemie ist, die Menschen motivieren?
"Man muss erstens rechtzeitig den Silberstreif aufzeigen, also das Ziel, das alle gemeinsam erreichen wollen, als Lehrer bei Schülern zum Beispiel das Abitur im Juni oder die Sommerferien im August", so der Krisenmanager, "zweitens klipp und klar kommunizieren, was man alles nicht weiß. Und drittens erwartet bei Extremrisiken niemand perfekte Lösungen. Ein gelegentliches 'Sorry' motiviert vielleicht, neue Wege auszuprobieren und die Hoffnung nicht aufzugeben."
Roselieb spricht gerne in anschaulichen Bildern. Er vergleicht die Pandemie mit einem Fußballspiel, dessen erste und zweite Halbzeit sowie die Verlängerung schon vorbei seien und in dem sich Deutschland seit Monaten im Elfmeterschießen befinde, das erlösende Tor aber einfach nicht fallen will.
Deutschland gut gerüstet für den Neustart nach der Krise
Roselieb hofft auf den von vielen Landesregierungen ausgearbeiteten Stufenplan, damit der Pilot endlich wieder wisse, wo man bei besseren Wetterverhältnissen landen kann. Und verteidigt die unterschiedliche Umsetzung der Corona-Maßnahmen in den Bundesländern mit dem Bußgeldkatalog beim Falschparken, wo das Abschleppen auch von Region zu Region unterschiedlich teuer sei.
"Noch nie hat irgendeine Krisensituation - kein Terroranschlag, keine Finanzmarktkrise, kein Lebensmittelskandal und keine Parteispendenaffäre - selbst sehr erfahrene Spitzenpolitiker so sehr an ihre Grenzen geführt wie die Corona-Pandemie", sagt der Krisenmanager, blickt aber trotzdem optimistisch in die Zukunft.
"Die gesamte Versorgungsinfrastruktur bleibt bei Pandemien intakt und ermöglicht einen vergleichsweise schnellen Neustart nach der Krise. Und in Deutschland werden Härten nach Kräften ausgeglichen, sei es beim üppig aufgestockten Kurzarbeitergeld oder den kostenlosen Masken für Bedürftige."
Psychologen fordern Strategiewechsel beim Kampf gegen Corona
Was die Politiker hierzulande aber zunehmend beunruhigt, sind die jüngsten Ergebnisse der Cosmo-Studie, welche die Stimmung der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie misst: Auch bei den Befürwortern von strengen Maßnahmen bröckelt das Vertrauen. Zwei von drei unter 30-Jährigen sagen, dass sie sich momentan belastet fühlen, der bisherige Höchststand. Und fast 80 Prozent der Menschen wünschen sich eine langfristige Lösungsstrategie mit einheitlichen Regeln.
"Ich glaube, einfach so weiterzumachen geht nicht mehr. Die meisten von uns haben sich in der Vergangenheit sehr an die Regeln gehalten", sagt Ulrich Wagner, "einfach so weiterzumachen führt immer weiter in dieses Gefühl der gelernten Hilflosigkeit, wie wir Psychologen sagen. Egal, was wir machen, es ändert sich nichts. Und das führt in Widerstand und Depression."
Wagner ist Professor für Sozialpsychologie an der Philipps-Universität in Marburg und wäre er auch in einem Team, das die Regierung beraten würde, würde er sich für einen Strategiewechsel stark machen. Wie ein Fußballtrainer, der bei einem Rückstand in der Halbzeitpause zwei Joker einwechselt, so Wagner, könnten Politiker durch die neue Strategie eines Stufenplans, der sich vor allem an den Inzidenzwerten orientiert, bei der Bevölkerung neue Kräfte freisetzen. Und gleichzeitig die Struktur der Pandemiebekämpfung ändern.
Vertrauen in die Politiker gesunken
Ganz wichtig dabei: die Kommunikation nach der Wenn-dann-Regel. "Wenn es uns gelingt, die Fallzahlen in den Krankenhäusern erheblich zu reduzieren, dann kommt es auch zu einer Lockerung. Wenn ich mich also an die Regeln halte und keine Ausnahmen mache, dann kann ich dazu beitragen, dass für uns alle die Situation besser wird", sagt der Sozialpsychologe, "wenn wir die Inzidenz also kommunikativ daran koppeln, dass es mit dem eigenen Verhalten zu tun hat, sorgt das für eine Selbstwirksamkeit."
Ulrich Wagner fordert von der Politik aber ein einheitliches Vorgehen, sollte sie sich tatsächlich für ein Stufenmodell entscheiden. "Man kann in Regionen, in denen die Inzidenzen niedriger sind, zu anderen Maßnahmen greifen als in Regionen, wo die Inzidenzen höher sind. Aber das Prinzip muss gleich sein und das muss von allen gleich vertreten werden. Sonst leidet die Glaubwürdigkeit massiv."
Das Vertrauen in die Regierung bei der Corona-Bekämpfung ist laut Cosmos-Studie im Vergleich zum Vorjahr von 60 auf 40 Prozent gesunken. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn oder auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier diesen Glaubwürdigkeitsverlust von jetzt auf gleich kompensieren, könnte dagegen dauern.
Kampagne "Deutschland krempelt die Ärmel hoch" misslungen
"Psychologische Studien haben gezeigt, dass Reputation sehr langsam aufgebaut wird, aber gleichzeitig auch sehr schnell zerstört werden kann", sagt Professor Stefan Schulz-Hardt, erster Vizepräsident bei der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, "wenn erst einmal das Vertrauen weg ist, kann man das nicht von einem Tag auf den anderen wieder aufbauen."
Vor allem wenn die Bevölkerung täglich daran erinnert wird, dass in der Corona-Bekämpfung etwas ganz gewaltig schiefgelaufen ist. Die Kampagne der Bundesregierung "Deutschland krempelt die Ärmel hoch" zum Beispiel sollte die Impfbereitschaft in der Bevölkerung erhöhen, jetzt kommt den Menschen beim Anblick der Plakate zunächst einmal der stotternde Impfstart in den Sinn.
"In der Entstehungsgeschichte war das eine richtige Maßnahme, in der gegenwärtigen Situation ist das im besten Fall unfreiwillige Komik oder, noch schlimmer, ein Bumerang und sorgt für Kopfschütteln", sagt Schulz-Hardt, der Sozialpsychologie an der Universität Göttingen lehrt.
Ein Marathon mit ungewissem Ziel
Auch er hält die Einführung eines Stufenplans für einen schlüssigen Ansatz, um den Menschen ein Gefühl von verlorener Kontrolle zurückzugeben. "Die wahrgenommene Kontrolle steht aus psychologischer Sicht auf drei Säulen: Erklärbarkeit, Vorhersehbarkeit und Beeinflussbarkeit. Und bei allen dreien hätte man in Deutschland die Möglichkeit zur Optimierung."
Doch gerade bei der Vorhersehbarkeit wird nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt noch den einen oder anderen Kontrollverlust einplanen müssen. Wissenschaftler und Ärzte haben immer wieder gesagt, der Kampf gegen Corona sei kein Sprint, sondern ein Marathon. Das Problem: Der Marathonläufer weiß, auch wenn er bei Kilometer 30 vollkommen durchhängt, dass das Ziel bei 42 Kilometern und 195 Metern in greifbarer Nähe ist.
Bei der Pandemie ist das hingegen anders. Der Psychologe Stefan Schulz-Hardt: "Es ist ein Marathon, von dem man gar nicht genau weiß, wie lange die Distanz und wie dicht man jetzt vom Ziel entfernt ist. Und das ist in der Tat etwas, was der menschliche Organismus sehr schlecht leisten kann: über einen so langen Zeitraum alarmiert zu bleiben."