Sind Reinfektionen durch Corona-Mutationen möglich?
21. Januar 2021Lange Zeit wurde nicht so genau analysiert, an welchem Coronavirus-Stamm die COVID-19-Infizierten genau erkrankt waren. Erst durch eine intensivierte Sequenzierung fanden einige Länder heraus, welche jeweilige Mutation gerade in ihren Ländern grassiert: die britische Variante, die südafrikanische Variante. Die jeweiligen Länder trifft dabei keinerlei Schuld, vielmehr haben sie das Virus nur besonders intensiv untersucht und dabei die Mutationen als erste bemerkt.
Durch die intensivierte Sequenzierung haben wir erfahren, dass die im vergangenen Dezember zunächst in Großbritannien und dann in Dänemark verbreitete Variante B.1.1.7 sich um bis zu 70 Prozent schneller ausbreitet. Inzwischen wurde sie in vielen anderen Ländern nachgewiesen – auch in Deutschland.
Mutationen sind bei Viren nichts Ungewöhnliches, im Schnitt gibt es jeden Monat zwei neue Varianten. Bei der mittlerweile vollständig entschlüsselten britischen Virusvariante wurden allerdings bereits 17 Genveränderungen festgestellt, was selbst Virologen erstaunt. Besonders aufmerksam werden dabei drei Mutationen beobachtet: N501Y, die eventuell die Bindung des Virus an menschliche Zellen verbessert, sowie die Löschung der Stellen 69 und 70, und die Mutation P681H.
Mutationen sorgen für raschere Ausbreitung
Grund für die rasche Ausbreitung könnte eine leichte Veränderung an einer Stelle des Spike-Proteins auf der Virus-Oberfläche sein. Durch diese Kopierfehler kann sich das mutierte Virus besser vermehren, übertragen oder dem Immunsystem entwischen als das ursprüngliche Coronavirus. Die Wahrscheinlichkeit ist damit hoch, dass sich dieses effektivere Virus als vorherrschende Variante lokal bzw. regional durchsetzt.
Die rasche Ausbreitung bedeutet aber nicht, dass etwa die britische Variante auch für schwerere COVID-19-Verläufe oder für eine höhere Sterblichkeitsrate verantwortlich ist, dafür gibt es bislang keine Beweise. Für den Infizierten ist es demnach unerheblich, mit welcher Variante er sich angesteckt hat. Die Mutation hat keinen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit.
Allerdings kann die rasche Ausbreitung dazu führen, dass in einigen Ländern die überlasteten Gesundheitssysteme kollabieren. Vielerorts fehlen schlichtweg Krankenhausbetten, Beatmungsgeräte, Intensiv-Pflegeplätze und Personal.
Die in Südafrika seit letztem August grassierende Variante B.1.351. ähnelt der britischen Variante, auch sie wird für den rasantesten Anstieg der Fallzahlen in Südafrika verantwortlich gemacht. Sie trägt neben der N501Y auch noch weitere Mutationen im Bereich des Spike-Proteins in sich, unter anderem eine Mutation namens E484K, die einen negativen Einfluss auf die Antikörper-Bindung und die Neutralisation von Corona hat.
Auch Genesene und Geimpfte könnten sich anstecken
Sorgen bereitet auch die erst vor kurzem in Brasilien identifizierte Variante P.1 mit 17 Mutationen, einige ebenfalls am Spike-Protein. Die Variante trägt die in der britischen und südafrikanischen Variante entdeckte N501Y-Mutation und die bislang nur in der südafrikanischen Variante nachgewiesenen E484K-Mutation in sich.
Aufgetaucht ist diese brasilianische Variante zuerst in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas, wo sich im vergangenen Jahr bereits drei Viertel der Bevölkerung mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hatten. Das hätte eigentlich zu einer gewissen Grundimmunisierung bei einem Großteil der Bevölkerung führen müssen, aber die Infektionszahlen stiegen dort jüngst wieder rasant an.
Das könnte bedeuten, dass die Immunantwort des Körpers bei Genesenen nach einer SARS-CoV-2 Infektion und auch nach einer Impfung nicht reicht, weil die neue Variante P.1 der Immunantwort entwischt. Bei solche einer Immun-Escape-Mutation im Spike-Protein können einige Antikörper nicht mehr binden und das Virus neutralisieren, es entkommt teilweise der Immunantwort. Mit anderen Worten: Auch Genesene und Geimpfte könnten sich anstecken.
Unklar ist bislang, ob eine mutierte Virusvariante für den Tod eines 73-Jährigen aus Süddeutschland verantwortlich ist, der Ende Dezember nach einer zweiten Corona-Infektion an einer Lungenentzündung und einer Sepsis mit Multiorganversagen verstorben ist. Es ist weltweit erst der dritte bekannt gewordene Todesfall nach einer Reinfektion. Möglicherweise hatte er nach der ersten Infektion keine starke Immunität ausgebildet. Geprüft wird jetzt, ob er sich jetzt mit einer der neuen Virusvarianten infiziert hatte.
Viele lokale Mutationen
Je intensiver die jeweiligen Coronafälle sequenziert werden, desto mehr Mutationen werden voraussichtlich in nächste Zeit noch entdeckt werden. Diese müssen jedoch nicht immer gravierend sein.
Die jüngst bei einem Corona-Ausbruch im Klinikum Garmisch-Partenkirchen festgestellte Virusvariante soll nur eine partielle Mutation sein, es soll sich also nicht um die britische oder südafrikanische Variante handeln. Zur Klärung werden die entsprechenden Proben in der Berliner Charité analysiert.
Und bei der im Großraum Los Angeles aufgetauchten Virusvariante handelt es sich offenbar um einen Stamm namens L452R, der erstmals im vergangenen März in Dänemark identifiziert wurde. Aber auch dort ist die Sorge groß, dass die Impfstoffe ihre Wirksamkeit verlieren könnten.
Gefährden die Mutationen die Wirksamkeit der Impfungen?
Bislang ist noch nicht abschließend untersucht, ob bzw. wie gut die entwickelten mRNA-Impfstoffe auch bei diesen zusätzlichen Mutationen wirken. Denn ändert sich ein Teil der markanten Stacheln, der für die Erkennung des Virus wichtig ist, können die vom Körper gebildeten Antikörper das Coronavirus womöglich weniger gut erkennen und neutralisieren. Der Impfschutz verliert an Wirksamkeit.
Nach aktuellem Stand wirken die Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna auch gegen die britische Virusvariante B.1.1.7., denn diese mRNA-Impfungen docken ja genau an dem betroffenen Spike-Protein an.
Inwieweit die bereits vorhandenen Impfstoffe auch mit den anderen bekannt gewordenen Mutationen und auch mit weiteren Varianten zurecht kommen, müssen weitere Untersuchen zeigen.
Sollte das Virus irgendwann so stark mutiert sein, dass die durch die Impfung ausgelöste Immunantwort es nicht mehr neutralisieren kann, dann müssten die Vakzine angepasst werden.
Ein solches Update ist bei den mRNA-Impftoffen laut BioNTech-Pfizer nicht sehr schwierig. Der im Impfstoff beinhaltete genetische Code des Virus kann relativ leicht innerhalb weniger Wochen gewechselt werden.
Aber die Testung und Zulassung sowie Produktion und Verteilung des angepassten Impfstoffs dauert bekanntlich - und schon jetzt warten viele Impfzentren sehnlichst auf den derzeit gültigen Impfstoff.
Dieser Artikel wurde am 21.1.2021 aktualisiert