Corona-Krise erschwert Kampf gegen Hunger
2. April 2020Jahrelang haben Entwicklungsländer und Hilfsorganisationen Fortschritte im Kampf gegen den Hunger erzielt: Zwischen den Jahren 2000 und 2019 ist der Welthungerindex im Durchschnitt von 29 auf 20 zurückgegangen - eine Verbesserung um 31 Prozent.
Nicht nur Hilfsprogramme, auch der wirtschaftliche und politische Fortschritt in vielen Ländern helfen dabei: Zum Beispiel können die Lieferketten für Nahrungsmittel regionale Missernten schneller kompensieren, weil Infrastrukturen leistungsfähiger geworden sind und lokale Märkte stärker mit nationalen und internationalen Produzenten vernetzt sind.
Nationale und globale Lieferketten intakt halten
Doch genau diese Lieferketten könnte die Covid-19-Pandemie gefährden, warnt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO): "Um Nahrungsmittelknappheit zu vermeiden, muss alles getan werden, um diese Netze intakt, flexibel und effizient zu halten", sagt FAO-Chefökonom Maximo Torero Cullen Ende.
Einerseits könnten zu rigide Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie den Handel einschränken, andererseits, so Cullen, sollten Regierungen auch die Möglichkeiten zur Erleichterung des internationalen Handels neu bewerten, sprich ihre Zoll- und Einfuhrrichtlinien. Der zu erwartende Anstieg der Weltmarktpreise betreffe Länder, die von Lebensmittel-Importen abhängig sind, besonders hart, wenn eine sinkende Wirtschaftsleistung auch noch die Kaufkraft senke.
Der weitaus größte Teil der Nahrungsmittelproduktion finde zwar auf nationaler Ebene statt. Nach FAO-Einschätzung sind aber ganze Lieferketten bedroht - derzeit weniger durch Covid-19 an sich, als durch Anordnungen vieler Regierungen zur Prävention.
Maßnahmen erschweren Arbeit von Hilfsorganisationen
Auch internationale Hilfsorganisationen müssen deswegen bereits umdenken: "Das hängt zum Einen damit zusammen, welche Krisenpläne in den Ländern gelten. Also: Gibt es Ausgangssperren, müssen die Leute im Homeoffice arbeiten, können wir überhaupt noch in Projektregionen fahren?", sagt Simone Pott, Sprecherin der Welthungerhilfe in Bonn.
Davon betroffen seien insbesondere Programme, die die Ernährungs- und Gesundheitslage mittel- und langfristig verbessern sollen, wie die Verbesserung von Bewässerungssystemen, Fortbildungen für Kleinbauern oder Hygieneschulungen, die derzeit besonders wichtig wären: "All diese Projekte können wir im Moment nicht in allen Ländern weiterführen wie bisher, weil es schlichtweg Restriktionen gibt. Die Kollegen können gar nicht mehr von A nach B fahren", schildert Pott die Lage.
Keine Schule, keine Mahlzeit
Eine Maßnahme mit weitreichenden Folgen sind beispielsweise Schulschließungen. Selbst im reichen Deutschland hat das schon dazu geführt, dass manche Kinder ihre einzige warme Mahlzeit des Tages nicht mehr bekommen. Während man in der Bundesrepublik davon ausgehen darf, dass die Kinder dennoch ausreichend Nahrung erhalten, ist das in ärmeren Ländern oftmals nicht der Fall.
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hat eine Karte erstellt, die die Dimension dieses Problems verdeutlicht: Demnach erhalten weltweit annähernd 370 Millionen Kinder wegen Covid-19 nicht das gewohnte Mittagessen in der Schule. Fast zwölf Millionen von ihnen sind in Schulspeisungsprogrammen des WFP. Für viele von ihnen ist die Schulspeisung die einzige regelmäßige Mahlzeit überhaupt.
Wirtschaftliche Ausfälle bedrohen die Schwächsten
Doch auch Erwachsene sind von Schließungen bestimmter Einrichtungen betroffen: In Deutschland versorgen die mehr als 940 "Tafeln" nach eigenen Angaben rund 1,65 Millionen Bedürftige mit Nahrungsmitteln kurz vor dem Verfallsdatum, die sonst in den Abfall kämen. Doch fast die Hälfte der Tafeln haben ihren Betrieb vorübergehend eingestellt. Solche Angebote gibt es in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern gar nicht. Da aber, wo es sie gibt, wie in Indien oder Brasilien, droht durch die Corona-Auswirkungen, dass Arme keine Möglichkeit mehr haben, an preiswerte oder gar kostenlose Mahlzeiten zu kommen.
Hinzu kommt die Verschärfung der ökonomischen Probleme von Geringverdienern: Schuhputzern und Straßenhändlern bleiben bei Ausgangssperren die Kunden aus, Tagelöhner sind die ersten, denen der Lohn gestrichen wird. Besonders betroffen seien Menschen im informellen Sektor, sagt Simone Pott von der Welthungerhilfe: "Das wirkt sich natürlich auf die Ernährungslage der Familien aus, wenn ein Einkommen fehlt."
Hilfsorganisationen rechnen mit Spendenrückgängen
Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Hilfsorganisationen mit sinkenden Einnahmen rechnen müssen. Bisher sei in Deutschland noch kein Rückgang erkennbar - wahrscheinlich aber nur, weil noch keine Zahlen vorlägen, sagt die Geschäftsführerin des Deutschen Fundraising-Verbands (DFRV), Larissa Probst. Vieles weise aber darauf hin, dass die Spenden zurückgehen könnten, allein weil wichtige Methoden des Fundraisings derzeit nicht umsetzbar seien: "Also so etwas wie der Spendenlauf, eine Gala oder auch die Ansprache in der Fußgängerzone - all diese Möglichkeiten fallen jetzt natürlich weg."
Dazu kämen die wirtschaftlichen Probleme in Geberländern wie Deutschland, sagt Probst: "Viele Menschen sind jetzt von Kurzarbeit betroffen, haben also selber nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten, und teilweise haben sie wirklich Existenzängste. Und das gilt natürlich auch für die Unternehmen." Abhilfe, so Probst, könnten eventuell die Förderstiftungen leisten, die bereits die Bereitschaft zeigten, nun höhere Spenden mit weniger bürokratischen Auflagen an Hilfsorganisationen zu vergeben.