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Corona: Politik kämpft gegen Impfmüdigkeit

12. Juli 2021

Die Delta-Variante des Coronavirus breitet sich aus. Aber die Deutschen sind zunehmend impfmüde. Politiker und Experten brüten nun über Ideen, wie sie mehr Bürger an die Spritzen bringen.

Deutschland Corona-Pandemie Impfkampagne | Frankfurt am Main
Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Eigentlich könnte der Kampf gegen die Corona-Pandemie in Deutschland so richtig an Fahrt gewinnen. In den Kühlschränken von Arztpraxen und Impfzentren liegen die Vakzine in ausreichender Menge bereit. Ärzte warten nur darauf, sie in den Schultern der Impflinge zu verspritzen. Aber: Die Impfbereitschaft der Bürger sinkt - obwohl sich die ansteckendere Delta-Variante des Coronavirus rasant ausbreitet. Kurz: Der Stoff ist da, es fehlt an Willen.

Immer weniger Bürger erscheinen zu ihren Impfterminen oder vereinbaren einen solchen. Als Impfbremser könnte sich offenbar auch die Urlaubszeit entpuppen. Einige Impfkandidaten aalen sich möglicherweise lieber an einem Mittelmeerstrand in der Sonne, als für Zweitimpfungen anzustehen.

Leerer Wartebereich in einem Münchner ImpfzentrumBild: Frank Hoermann/SvenSimon/picture alliance

Offenbar hat die vor einem halben Jahr gestartete Impfmotivationskampagne "Deutschland krempelt die Ärmel hoch" nicht den erhofften Erfolg gebracht. 25 Millionen Euro hat sich die Bundesregierung die Aktion kosten lassen: für Plakate, Fernsehspots und Online-Informationen. Nach über 1,4 Millionen täglich verabreichten Impfdosen Anfang Juni lag der Höchstwert Anfang Juli nur bei knapp einer Million. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wurden am Sonntag so wenige Menschen in Deutschland erstgeimpft wie zuletzt im Februar. "Anders als im Februar ist nun aber genug Impfstoff da", fügt Spahn allerdings auf Twitter hinzu.

Impfmüde Gesellschaft auf Trab bringen

Jüngste Zahlen des Robert-Koch-Instituts RKI machen wenig Mut. Bislang sind demnach lediglich rund 43 Prozent aller Deutschen vollständig geimpft. Eine erste Dosis haben etwas mehr als 58 Prozent erhalten. Eine RKI-Modellierung geht derzeit davon aus, dass mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen gegen Covid-19 geimpft sein müssen, um eine vierte Welle zu vermeiden. Bei den über 60-Jährigen müssten es sogar mehr als 90 Prozent sein.

Die Lage war mal entspannter. Ursprünglich prognostizierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass 70 Prozent reichen würden. Das galt allerdings für den Corona-Wildtyp, der vor allem im vergangenen Jahr auftrat. Neue Mutanten, wie die noch infektiösere Delta-Variante, verbreiten sich leichter und damit schneller. Um die Infektionsketten zu unterbrechen, müssen mehr Menschen vollständig geimpft sein.

Check-In am Flughafen Berlin-Brandenburg BER: So mancher Impfkandidat lässt den Impftermin vielleicht für den Urlaub sausenBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Experten und Politiker schlagen daher Alarm. Sie fordern, das Impfen einfacher zu machen. Möglichst kreativ solle das geschehen. Allerdings sind dem Einfallsreichtum, um die zunehmend impfmüde Gesellschaft auf Trab zu bringen, offenbar Grenzen gesetzt. So stößt der Vorschlag des saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans ähnlich wie in den USA eine Lotterie mit satten Gewinnen abzuhalten, auf weitgehende Ablehnung.

Die meisten Bundesländer setzen nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters weiter auf Aufklärung und mehr mobile Impfteams. "Damit sind wir bisher gut gefahren, da bedarf es meiner festen Überzeugung nach keiner Geschenke", sagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte.

Die "Woche des Impfens"

Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) hat gerade die "Woche des Impfens" gestartet. Trotz nach wie vor rund 80.000 Impfungen pro Tag und steigender Impfquoten verzeichnen die dortigen Impfzentren eine rückläufige Nachfrage nach Impfterminen. Noch rund 300.000 Termine stünden in den nächsten Tagen zur Verfügung, heißt es auf der Homepage des NRW-Gesundheitsministeriums. Die Kreise und kreisfreien Städte sollen deshalb möglichst niedrigschwellige Impfangebote ohne Terminvergabe schaffen. Zum Beispiel an viel frequentierten Orten wie Einkaufsstraßen, Sportstätten oder Shopping-Centern.

Eine der Sonderimpfaktionen findet direkt vor dem Kölner Dom statt. Unmittelbar vor dem Hauptbahnhof können alle Interessierte vom 16. bis zum 18. Juli eine Erstimpfung bekommen. Außerdem sind in den NRW-Impfzentren Impfungen auch ohne Termin möglich. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärte, man habe den "Wendepunkt der Impfkampagne" erreicht. "Wir wollen maximale Flexibilität schaffen. Und auch die Kreise und kreisfreien Städte dürfen gerne kreativ werden. Einige sind bereits mitten in den Planungen. Es gibt bereits Städte, die bei Diskomusik und alkoholfreien Cocktails impfen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Genauso muss es laufen."

Karl-Joseph Laumann, NRW-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, setzt auf die Kreativität der KommunenBild: Imago Images/Noah Wedel

Ähnlich äußerten sich weitere Politiker. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, erklärte in der Tageszeitung "Welt", Bürger müssten sich auch in Fußgängerzonen, Wohnsiedlungen und bei Veranstaltungen impfen lassen können. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller verweist auf eine neue Aufklärungskampagne, die auch Sachsen-Anhalt plant. In Sachsen will Ministerpräsident Michael Kretschmer am 20. Juli mit Unternehmensverbänden, Krankenkassen, Ärzten und Gewerkschaften beraten, wie man weiter vorgehen will.

Vorschlag: 500 Euro Belohnung für die Impfung

Die Ökonomin am Karlsruher Institut für Technologie, Nora Szech, schlug im Deutschlandfunk einen finanziellen Anreiz vor. Ihre Studien hätten gezeigt, dass die Impfbereitschaft deutlich steige, wenn es eine Kompensation gebe. Bei einer Entschädigung von 100 Euro seien bis zu 80 Prozent bereit, sich impfen zu lassen. Sie plädiert sogar für 500 Euro. Dann, so Szech, "kommen wir Richtung 90 Prozent."

Die Ökonomin, die auch Mitglied des Corona-Expertenkreises der Helmholtz-Gemeinschaft ist, verweist auf Berechnungen des Ifo-Instituts. Demnach liege der Wert einer Impfung für die Gemeinschaft bei etwa 1500 Euro. Die Ausgaben seien auch aus ökonomischer Sicht lohnenswert. Damit kein Gefühl der Ungleichheit entstehe und damit es keinen Anreiz gebe, mit einer Impfung zu warten, müssten mögliche Entschädigungen auch rückwirkend an alle bereits Geimpften ausgezahlt werden, erklärte Szech.

Der Kölner Dom: Zwischen dem Wahrzeichen der Rheinmetropole und dem Hauptbahnhof soll es Sonderimpfungen gebenBild: DW/M. M. Rahman

Mediziner mahnen ebenfalls zu weiteren Anstrengungen für eine höhere Impfquote. "Da ist etwas mehr Kreativität bei den lokalen Behörden gefragt", sagte die Vorsitzende Susanne Johna der Ärztegewerkschaft Marburger Bund der Düsseldorfer "Rheinischen Post". "Wir müssen Menschen auch direkt ansprechen und nicht warten, bis sie ins Impfzentrum oder zum Hausarzt kommen. Je niedrigschwelliger, desto besser", so Johna. Entscheidend sei, dass man nun auch all diejenigen erreiche, die bisher noch zögern oder überzeugt werden wollen.

Respekt, aber keine Panik

Immerhin fand der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, beruhigende Worte. Er sagte dem "Handelsblatt", für die nächsten Monate sehe er die Intensivmedizin gut gerüstet. "Ich blicke mit Respekt, aber nicht mit Panik auf den Herbst und eine mögliche vierte Welle." Dennoch: Der Wettlauf gegen die vierte Welle hat womöglich erst begonnen. 

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