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Politik

Corona-Proteste - ein deutscher Sonderfall?

14. Mai 2020

Impfgegner, Demokratiefeinde und Verschwörungstheoretiker demonstrieren gemeinsam gegen Deutschlands Corona-Politik. Diesen Schulterschluss gibt es außerhalb Deutschlands nur selten - am ehesten in den USA.

Eine Frau mit einem Tuch vor dem Gesicht, auf dem ein Zettel mit dem Wort "mundtot" gepinnt ist (Foto: picture-alliance/picturedesk.com/H. P. Oczeret)
Diese Person nahm in Österreich an der Demonstration der "Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen" teilBild: picture-alliance/picturedesk.com/H. P. Oczeret

Etwa 400 Menschen waren laut Medienberichten zum Bundeskanzleramt gekommen, um zu protestieren: gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, gegen angebliche Panikmache, gegen eine vermeintlich angestrebte Impfpflicht. Gemeint ist ausnahmsweise keine der zahlreicher werdenden Demonstrationen in Deutschland, sondern eine Kundgebung in Österreich. Die Kundgebung am 1. Mai war laut der Tageszeitung "Standard" die zweite nennenswerte Demo dieser Art in der Alpenrepublik, gekommen war auch der Star der neurechten Identitären Bewegung, Martin Sellner. Am 14. Mai will die "Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen" erneut ihre Anhänger in Wien versammeln.

Es handelt sich um eines der wenigen Beispiele außerhalb Deutschlands für eine Allianz, die sich ohne das Coronavirus wohl kaum gebildet hätte: Vor allem in der Bundesrepublik begegnen sich Verschwörungstheoretiker, Demokratieverächter und Reichsbürger, aber auch Impfgegner und Esoteriker auf solchen Kundgebungen.

Andere Länder, andere Themen

Dabei ist es nicht so, dass außerhalb des deutschen Sprachraums überhaupt nicht zum Thema Corona demonstriert wird: In Polen gingen vor allem Grenzpendler und Hoteliers in grenznahen Orten für eine Rückkehr zur europäischen Reisefreiheit auf die Straße. In Warschau kam es bei einer Demonstration für Wirtschaftsöffnungen am vergangenen Wochenende zu mehreren Festnahmen. Bei Demonstrationen in französischen Vorstädten im April ging es vor allem um die Situation von sozial Benachteiligten während der Ausgangssperre - und um Polizeiwillkür: Auslöser war eine Verfolgungsjagd, bei der Polizisten einen Motorradfahrer verletzt haben sollen.

Bei den Fahrraddemos in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana kam eine kritische Masse zusammenBild: Reuters/B. Zivulovic

In Sloweniens Hauptstadt Ljubljana, aber auch in der zweitgrößten Stadt Maribor, schwangen sich Tausende aufs Fahrrad, um gegen die Regierung von Ministerpräsident Janez Janša zu protestieren. Bei dem Aufruf verschiedener zivilgesellschaftlicher Organisationen ging es um mutmaßlich veruntreute Gelder bei der Beschaffung von Schutzmasken und Beatmungsgeräten.

Verschwörungstheorien, wie sie in Deutschland gerade an Zulauf gewinnen, scheinen im restlichen Europa ungleich weniger Menschen auf die Straße zu treiben - so erschienen laut Medienberichten zu einer Demo gegen Corona und den Mobilfunkstandard 5G in London Berichten zufolge nur 40 Menschen.

Querfront schon 2014 aktiv 

2014 richteten sich die Demonstranten vor dem Schloss Bellevue gegen Bundespräsident Gauck, die USA, aber auch IsraelBild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

In Deutschland ziehen Protestforscher immer wieder Parallelen zu den sogenannten Friedensmahnwachen 2014: Ausgelöst von der Ukraine-Krise bildete sich eine Protestbewegung, die zunehmend anti-amerikanische, rechtsextreme, antisemitische und verschwörungstheoretische Tendenzen entwickelte. Zu einer Demo im Dezember 2014 vor dem Schloss Bellevue titelte der "Tagesspiegel" damals: "Verschwörungstheoretiker, Linke und Neonazis gegen Gauck" - und traf damit das Wesen der sogenannten Querfront, an die sich in diesem Corona-Frühling viele in Deutschland erinnert fühlen.

"Die Art und Weise, wie sich der Protest ausdrückt, ist sicherlich unter den kulturellen Vorzeichen Deutschlands zu sehen", sagt Jan Rathje, der bei der Amadeu Antonio Stiftung ein Forschungsprojekt zu Antisemitismus und Verschwörungstheorien leitet. "Wie 2014 kommt es zu sogenannten Querfronten, also von Menschen, die sich selbst als links bezeichnen würden, und von Rechten bis Rechtsextremen. Sie tun sich zusammen gegen 'die da oben', gegen die angebliche große Verschwörung und wollen versuchen, sie abzuwenden und dagegen Widerstand zu leisten."

Vorbild USA

Einige Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker in Deutschland tauschen sich online mit Gleichgesinnten aus anderen Ländern aus - so auch Stefan B., der sich im Oktober 2019 in einem selbstgedrehten Video als "Anon" vorstellte, bevor er erfolglos versuchte, in die Synagoge von Halle einzudringen, wo er jüdische Menschen ermorden wollte. "Anon" ist ein gebräuchlicher Code in rechtsextremen Foren, deren Nutzer anonym bleiben. 2017 stellte dort ein "Anon", der sich als Mitarbeiter des US-Energieministeriums ausgab und behauptete, geheime Dokumente der Freigabestufe "Q" einsehen zu dürfen, Behauptungen zu angeblichen Verschwörungen hinter den staatlichen Stellen der USA auf.

Allmählich entwickelte sich "QAnon" zu einer regelrechten Ideologie, die glaubt, das Pädophile Tausende Kinder in Höhlen gefangen hielten und dass Ex-Präsident Barack Obama, Ex-Außenministerin Hillary Clinton und Milliardär George Soros gemeinsame Putschpläne schmieden würden. US-Präsident Donald Trump hingegen gilt ihnen als Befreier. Immer wieder halten Besucher öffentlicher Veranstaltungen "Q"-Plakate hinter dem Präsidenten in die Höhe.

Eine Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen in Pennsylvania: Einige Teilnehmer sind bewaffnet Bild: picture-alliance/AP/Pittsburgh Post-Gazette/A. Rush

Auch bei Demonstrationen gegen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in den USA - zu denen Trump teils sogar aufgerufen hatte - sind "Q"-Banner zu sehen. Aber auch bewaffnete Libertäre, die nahezu jedes Handeln der Regierung als Angriff auf ihre Freiheit werten, sind dabei. Insgesamt beteiligten sich in den USA viele Personen aus dem extrem rechten bis rechtsextremen Spektrum, sagt Jan Rathje: "Auch die Milizen, die bewaffnet auftreten und Gebäude besetzen, haben wir dort in der Vergangenheit schon häufiger gesehen."

Bedingt vergleichbar

Ein Unterschied sei, dass für die Demonstrierenden in den USA in der Regel individualistische, libertäre Elemente im Vordergrund stünden, während in Deutschland ein "Volksgemeinschaftsaspekt" überwiege, erläutert Rathje. Gemeinsam sei jedoch "die Vorstellung, dass es eine große Mehrheit gibt, und eine kleine Minderheit, die über das Mittel der Verschwörung diese Mehrheit kontrollieren und manipulieren will".

In München demonstrierten am Wochenende 3000 Menschen mit teils verschwörungstheoretischen BotschaftenBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/S. Babbar

Trotz dieses Unterschieds übernehmen deutsche Verschwörungstheoretiker zunehmend Gedankengut von "QAnon": Sänger Xavier Naidoo, Koch Attila Hildmann und zuletzt auch Rapper Sido sind nur drei prominente Beispiele. So ist es kein Zufall, dass die Demos in Deutschland auch in "QAnon"-Kreisen gefeiert werden. Zusammenschnitte von Protesten bei YouTube, unterlegt mit pathetischer Musik, zeigen neben den USA und Kanada auch einige deutsche Aufnahmen - und Bilder etwa aus Slowenien und Polen, aber auch dem Libanon und Hongkong, die sicher nichts mit dem "Großen weltweiten Erwachen" zu tun haben, dass die Verschwörungstheoretiker gerne für sich reklamieren.

Fake-News schüren Ängste

05:19

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