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Politik

Corona: Restaurants schlagen Alarm

17. November 2021

Ist der Lockdown noch zu verhindern? In der Gastronomie haben vielerorts (nur) noch Geimpfte und Genesene Zutritt. Doch die Gäste bleiben aus. Die Zweifel der Wirte wachsen und mit ihnen die Angst vor der Insolvenz.

Coronavirus - Corona-Inzidenz im Nordosten
Bild: picture alliance/dpa

Bleigrau hängt der November-Himmel über Aachen, einer Stadt mit 280.000 Einwohnern ganz im Westen Deutschlands. Im Cafélysée, einem Lokal in bester Innenstadtlage in der Nähe des Aachener Doms, ist alles für den Mittagstisch vorbereitet. Akkurat gefaltete weiße Stoffservietten liegen auf Marmortischen, flankiert von Besteck, Weingläsern und kleinen weißen Tellern für Brot. Es ist kurz vor 12 Uhr mittags und das Lokal ist leer. "Normalerweise haben wir tagsüber zwischen 60 und 80 Gäste hier", sagt Wirt Konstantin Archontoglou. "Aber seit Anfang November werden es jeden Tag weniger."

Wirt Konstantin Archontoglou wartet in Aachen auf GästeBild: Sabine Kinkartz/DW

Dem gebürtigen Griechen ist die Sorge deutlich anzumerken. Die Corona-Infektionszahlen steigen immer weiter und seit zwei Wochen werden mehr und mehr Weihnachtsfeiern abgesagt. "Eine Bank hat gecancelt, die wären im Dezember mit 50 Leuten gekommen." Feiern mit insgesamt 1500 Gästen waren fest reserviert. Zwei Drittel davon sind bereits abgesagt.

Umsätze im freien Fall

Für die Gastronomie ist der Dezember der wichtigste Monat im Jahr. Bis zu 50 Prozent mehr Umsatz als sonst ist drin, entsprechend muss aber auch das Personal aufgestockt werden. Weil der deutsche Arbeitsmarkt für Servicekräfte leergefegt ist, hat der Aachener Wirt Kellner und Köche aus Griechenland, Italien, Spanien und Tunesien angeworben. Er hat Unterkünfte besorgt, langfristige Arbeitsverträge unterschrieben. "Wenn man Leute im Ausland anwirbt, muss man denen einen Vertrag für mindestens ein Jahr bieten, sonst lohnt sich das für die nicht."

Die gedeckten Tische bleiben immer häufiger leerBild: Sabine Kinkartz/DW

Wegen der düsteren Aussichten hat Archontoglou einen Einstellungsstopp beschlossen, die bestehenden Verträge muss er aber einhalten. "Wir haben Kündigungsschutz, ich kann den Leuten nicht sagen, wir haben keinen Umsatz, ihr könnt nach Hause gehen." Wie er die Kosten stemmen soll, weiß er noch nicht. "Wir haben den letzten Lockdown finanziell noch nicht wieder ausgeglichen, ich zahle mir seit einem halben Jahr kein Gehalt aus und muss demnächst damit beginnen, die staatlichen Corona-Hilfskredite zurückzuzahlen. Das ist alles richtig beängstigend."

Geimpft, genesen und trotzdem auch noch getestet?

In Aachen gilt derzeit noch die 3G-Regel, das heißt, neben Geimpften und Genesenen dürfen auch ungeimpfte Gäste mit einem negativen Corona-Test das Lokal betreten. Das ändert sich jedoch bald. Ab nächster Woche soll 2G im Bundesland Nordrhein-Westfalen in der Gastronomie gelten, hat Ministerpräsident Hendrik Wüst angekündigt. Dann sind Ungeimpfte ausgeschlossen. Konstantin Archontoglou begrüßt die Verschärfung. "Meine Gäste sind ohnehin meistens geimpft."

In Aachen wird der Weihnachtsmarkt aufgebaut. Aber wird er auch stattfinden können?Bild: Sabine Kinkartz/DW

Von 2G+ hält der Wirt hingegen nichts. "Wenn meine geimpften Gäste auch noch einen Test mitbringen müssten, das würde schwierig", sagt er. Das sei zu viel Aufwand. "Die Impfung wird als Eintrittskarte gesehen und wenn das nicht mehr ausreicht, dann kochen die meisten wahrscheinlich wieder zu Hause oder lassen sich etwas liefern."

Wirte werden angefeindet und beschimpft

640 Kilometer nordöstlich von Aachen, in Berlin, könnte 2G+ schon nächste Woche eingeführt werden. Dabei hatte die Landesregierung dort erst Anfang der Woche 2G verordnet. Vincenzo Berenyi, Wirt der Kurpfalz-Weinstuben in Berlin-Wilmersdorf, fände die Verschärfung gut. Die Angst, dass dann noch weniger Gäste kommen könnten, sieht er zwar auch. "Ich bemühe mich im Moment darum, eine Test-Befähigung zu bekommen", erzählt er. Entsprechend geschult könnte er sich vorstellen, geimpften und genesenen Gästen einen Test in seinem Lokal anzubieten. "Ich versuche, nach vorne zu schauen und etwas Konstruktives zu machen", sagt er am Telefon.

In den Kurpfalz-Weinstuben wird schon lange eine "harte Türpolitik" gemacht, wie der Wirt betont. Bei allen Gästen wird penibel kontrolliert, ob sie die gesetzlichen Vorgaben zum Corona-Schutz erfüllen. Schön sei das nicht, sagt Berenyi, weil er von Gästen teils heftig beschimpft und angegangen würde. Sätze wie: "Das ist ja hier wie bei einer Grenzkontrolle" oder entnervte Ausrufe wie: "Muss das denn sein", wären noch das Geringste. "Ein Angestellter von mir hat das einen Abend lang gemacht und danach gesagt: Nie wieder."

Vincenzo Berenyi (li.) und sein Partner und Küchenchef Sebastian Schmidt im Mai 2021Bild: Sabine Kinkartz/DW

Ganz schlimm sei es, wenn er Gäste abweisen müsse, beispielsweise, weil sie das in Berlin vorgeschriebene digitale Impfzertifikat nicht vorweisen könnten. "Es passiert immer häufiger, dass sich Leute dafür rächen wollen, wenn sie nicht reinkommen und dann schreiben sie schlechte Bewertungen über unser Lokal auf den Online-Portalen."

Kommt doch noch ein Lockdown?

Wie in Aachen, so werden auch in Berlin seit Tagen reihenweise die Weihnachtsfeiern abgesagt. Berenyi kämpft aber auch mit sinkenden Umsätzen im normalen Restaurant-Geschäft. "Gestern hatte eine größere Gruppe ein Gänse-Essen bestellt und hat erst abgesagt, als die vier Gänse schon im Ofen waren", schimpft der Berliner Wirt. "Am vergangenen Freitag sind 40 Gäste nicht gekommen, die ihre reservierten Tische vorher nicht einmal abgesagt hatten."

Im ersten Lockdown wurden fertig gekochte Gerichte mit Aufwärmanleitung für zuhause verkauftBild: Sabine Kinkartz/DW

Erfahrungen, die auch andere Kollegen machen würden, berichtet der Wirt. "Ich war vor ein paar Tagen mit anderen Kollegen zusammen, die wissen alle nicht, wie es weitergehen soll." Berenyi selbst geht davon aus, dass im Dezember ein Lockdown kommt. Wenn die Infektionszahlen weiter steigen würden, bleibe der Regierung doch gar nichts anderes übrig, sagt er. Natürlich müsse der Staat dann wieder einspringen und neue Rettungspakete schnüren. "Ohne Finanzhilfen wird es definitiv nicht gehen", betont der Berliner Wirt.

Lockdown als Atempause

Der Aachener Gastwirt Konstantin Archontoglou würde sich einen Lockdown inzwischen sogar wünschen. "Wenn es mit den Umsätzen weiter bergab geht, dann können sich große Betriebe vielleicht noch zwei bis drei Monate über Wasser halten", schätzt er. "Ich fände es gut, wenn wir zumachen würden, der Staat würde die laufenden Kosten übernehmen und dann könnte sich die Sache erstmal wieder beruhigen."

Ein Glühwein am Stehtisch mit Heizpilz - mehr Außengastronomie ist im November nicht mehr drin Bild: Sabine Kinkartz/DW

Sollte es keinen Lockdown geben und auch keine weiteren Finanzhilfen, müsste er neue Kredite aufnehmen, so Archontoglou. Doch ist dieses erneute Risiko überhaupt tragbar? "Gehen wir in eine Insolvenz, verliert meine Familie hier alles, unser Leben, unseren Status, unser Haus." Das Cafélysée gibt es noch nicht lange, auf dem Haus lasten Kredite. Von zwei weiteren Lokalen, die dem Aachener Wirt gehören, ist eins wegen Personalmangels geschlossen. "Unsere Köche sind während des letzten Lockdowns nach Italien zurückgegangen und arbeiten jetzt in der Schweiz und in Österreich, weil sie dort besser bezahlt werden."

Zurück nach Griechenland

Immer häufiger stellt sich Archontoglou die Frage, ob es sich angesichts der nicht enden wollenden Pandemie und ihren Folgen noch lohnt, weiterzumachen. Er war fünf Jahre alt, als er aus Griechenland nach Deutschland gekommen ist. Er wuchs in Aachen auf, die Stadt ist seine Heimat. Kosta, wie er in der Gastroszene auch genannt wird, gehöre zu Aachen "wie der Weißwein zum Fisch", schrieb eine Lokalzeitung mal über ihn. Trotzdem denkt er inzwischen darüber nach, ob er nicht nach Griechenland zurückgehen sollte. "Ich bin jetzt 52 Jahre alt und könnte von dem, was ich mir erarbeitet habe, in Griechenland sicherlich noch 30 Jahre gut leben." Eine Idee nur, aber eine, die ihm nicht aus dem Kopf gehen will -  auch wenn er eigentlich Gastwirt in Aachen bleiben will. 

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